Er stockte und seine Augen starrten aufgerissen, glänzend in's Weite. Dann lächelte er, er schien sich durch einen Spaß aus der Wirrniß vorschwebender und doch unvollziehbarer Bilder befreien zu wollen. "Zeit," fuhr er fort, "Zeit -- Zeit -- o, das wird ein Geschlecht sein, da wird man meinen, noch Zeit herausbekommen zu müssen, wenn man von Robanus nach Turik fährt! -- Ueberhaupt: Zeit! -- Was ist Zeit? (Stimme: ,Zeit ist eben Zeit!') -- Nein! mir scheint: Zeit ist eigentlich -- doch halt, daran kommen wir nachher noch einmal. Jetzt denkt euch erst, versetzt euch in die unglaublich schnellen, hand- und gedankenschnellen Menschen, die es dann geben wird, an all' die kunstreichen Sachen, die sie hervor¬ bringen, treiben, haben werden, und fragt euch: wie müssen wir denen vorkommen, wenn unsere Städte und Dörfer einmal drunten im Seeschlamm liegen und sie ausgraben, was von unsern Sachen noch erhalten sein wird, und sinnen und grübeln und unge¬ fähr herausbringen, wie es bei uns ausgesehen haben mag?"
Er schwieg. Es wurde eine lange Stille. Die Zuhörer sahen etwas verblüfft vor sich nieder.
"Grämt euch nicht viel darum! Braucht euch nicht zu schämen! Die Leute, die uns herausscharren: wir, unsere Geister werden sie nicht allzu gelb und grün beneiden! Ueberklug werden sie sein, diese späten Enkel, hastig,
Er ſtockte und ſeine Augen ſtarrten aufgeriſſen, glänzend in's Weite. Dann lächelte er, er ſchien ſich durch einen Spaß aus der Wirrniß vorſchwebender und doch unvollziehbarer Bilder befreien zu wollen. „Zeit,“ fuhr er fort, „Zeit — Zeit — o, das wird ein Geſchlecht ſein, da wird man meinen, noch Zeit herausbekommen zu müſſen, wenn man von Robanus nach Turik fährt! — Ueberhaupt: Zeit! — Was iſt Zeit? (Stimme: ‚Zeit iſt eben Zeit!‘) — Nein! mir ſcheint: Zeit iſt eigentlich — doch halt, daran kommen wir nachher noch einmal. Jetzt denkt euch erſt, verſetzt euch in die unglaublich ſchnellen, hand- und gedankenſchnellen Menſchen, die es dann geben wird, an all' die kunſtreichen Sachen, die ſie hervor¬ bringen, treiben, haben werden, und fragt euch: wie müſſen wir denen vorkommen, wenn unſere Städte und Dörfer einmal drunten im Seeſchlamm liegen und ſie ausgraben, was von unſern Sachen noch erhalten ſein wird, und ſinnen und grübeln und unge¬ fähr herausbringen, wie es bei uns ausgeſehen haben mag?“
Er ſchwieg. Es wurde eine lange Stille. Die Zuhörer ſahen etwas verblüfft vor ſich nieder.
„Grämt euch nicht viel darum! Braucht euch nicht zu ſchämen! Die Leute, die uns herausſcharren: wir, unſere Geiſter werden ſie nicht allzu gelb und grün beneiden! Ueberklug werden ſie ſein, dieſe ſpäten Enkel, haſtig,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0281"n="268"/><p>Er ſtockte und ſeine Augen ſtarrten aufgeriſſen,<lb/>
glänzend in's Weite. Dann lächelte er, er ſchien ſich<lb/>
durch einen Spaß aus der Wirrniß vorſchwebender<lb/>
und doch unvollziehbarer Bilder befreien zu wollen.<lb/>„Zeit,“ fuhr er fort, „Zeit — Zeit — o, das wird<lb/>
ein Geſchlecht ſein, da wird man meinen, noch Zeit<lb/>
herausbekommen zu müſſen, wenn man von Robanus<lb/>
nach Turik fährt! — Ueberhaupt: Zeit! — Was iſt<lb/>
Zeit? (Stimme: ‚Zeit iſt eben Zeit!‘) — Nein!<lb/>
mir ſcheint: Zeit iſt eigentlich — doch halt, daran<lb/>
kommen wir nachher noch einmal. Jetzt denkt euch<lb/>
erſt, verſetzt euch in die unglaublich ſchnellen, hand-<lb/>
und gedankenſchnellen Menſchen, die es dann geben<lb/>
wird, an all' die kunſtreichen Sachen, die ſie hervor¬<lb/>
bringen, treiben, haben werden, und fragt euch: wie<lb/>
müſſen wir denen vorkommen, wenn unſere Städte<lb/>
und Dörfer einmal drunten im Seeſchlamm liegen<lb/>
und ſie ausgraben, was von unſern Sachen noch<lb/>
erhalten ſein wird, und ſinnen und grübeln und unge¬<lb/>
fähr herausbringen, wie es bei uns ausgeſehen haben<lb/>
mag?“</p><lb/><p>Er ſchwieg. Es wurde eine lange Stille. Die<lb/>
Zuhörer ſahen etwas verblüfft vor ſich nieder.</p><lb/><p>„Grämt euch nicht viel darum! Braucht euch nicht zu<lb/>ſchämen! Die Leute, die uns herausſcharren: wir, unſere<lb/>
Geiſter werden ſie nicht allzu gelb und grün beneiden!<lb/>
Ueberklug werden ſie ſein, dieſe ſpäten Enkel, haſtig,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[268/0281]
Er ſtockte und ſeine Augen ſtarrten aufgeriſſen,
glänzend in's Weite. Dann lächelte er, er ſchien ſich
durch einen Spaß aus der Wirrniß vorſchwebender
und doch unvollziehbarer Bilder befreien zu wollen.
„Zeit,“ fuhr er fort, „Zeit — Zeit — o, das wird
ein Geſchlecht ſein, da wird man meinen, noch Zeit
herausbekommen zu müſſen, wenn man von Robanus
nach Turik fährt! — Ueberhaupt: Zeit! — Was iſt
Zeit? (Stimme: ‚Zeit iſt eben Zeit!‘) — Nein!
mir ſcheint: Zeit iſt eigentlich — doch halt, daran
kommen wir nachher noch einmal. Jetzt denkt euch
erſt, verſetzt euch in die unglaublich ſchnellen, hand-
und gedankenſchnellen Menſchen, die es dann geben
wird, an all' die kunſtreichen Sachen, die ſie hervor¬
bringen, treiben, haben werden, und fragt euch: wie
müſſen wir denen vorkommen, wenn unſere Städte
und Dörfer einmal drunten im Seeſchlamm liegen
und ſie ausgraben, was von unſern Sachen noch
erhalten ſein wird, und ſinnen und grübeln und unge¬
fähr herausbringen, wie es bei uns ausgeſehen haben
mag?“
Er ſchwieg. Es wurde eine lange Stille. Die
Zuhörer ſahen etwas verblüfft vor ſich nieder.
„Grämt euch nicht viel darum! Braucht euch nicht zu
ſchämen! Die Leute, die uns herausſcharren: wir, unſere
Geiſter werden ſie nicht allzu gelb und grün beneiden!
Ueberklug werden ſie ſein, dieſe ſpäten Enkel, haſtig,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/281>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.