Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Er stockte und seine Augen starrten aufgerissen,
glänzend in's Weite. Dann lächelte er, er schien sich
durch einen Spaß aus der Wirrniß vorschwebender
und doch unvollziehbarer Bilder befreien zu wollen.
"Zeit," fuhr er fort, "Zeit -- Zeit -- o, das wird
ein Geschlecht sein, da wird man meinen, noch Zeit
herausbekommen zu müssen, wenn man von Robanus
nach Turik fährt! -- Ueberhaupt: Zeit! -- Was ist
Zeit? (Stimme: ,Zeit ist eben Zeit!') -- Nein!
mir scheint: Zeit ist eigentlich -- doch halt, daran
kommen wir nachher noch einmal. Jetzt denkt euch
erst, versetzt euch in die unglaublich schnellen, hand-
und gedankenschnellen Menschen, die es dann geben
wird, an all' die kunstreichen Sachen, die sie hervor¬
bringen, treiben, haben werden, und fragt euch: wie
müssen wir denen vorkommen, wenn unsere Städte
und Dörfer einmal drunten im Seeschlamm liegen
und sie ausgraben, was von unsern Sachen noch
erhalten sein wird, und sinnen und grübeln und unge¬
fähr herausbringen, wie es bei uns ausgesehen haben
mag?"

Er schwieg. Es wurde eine lange Stille. Die
Zuhörer sahen etwas verblüfft vor sich nieder.

"Grämt euch nicht viel darum! Braucht euch nicht zu
schämen! Die Leute, die uns herausscharren: wir, unsere
Geister werden sie nicht allzu gelb und grün beneiden!
Ueberklug werden sie sein, diese späten Enkel, hastig,

Er ſtockte und ſeine Augen ſtarrten aufgeriſſen,
glänzend in's Weite. Dann lächelte er, er ſchien ſich
durch einen Spaß aus der Wirrniß vorſchwebender
und doch unvollziehbarer Bilder befreien zu wollen.
„Zeit,“ fuhr er fort, „Zeit — Zeit — o, das wird
ein Geſchlecht ſein, da wird man meinen, noch Zeit
herausbekommen zu müſſen, wenn man von Robanus
nach Turik fährt! — Ueberhaupt: Zeit! — Was iſt
Zeit? (Stimme: ‚Zeit iſt eben Zeit!‘) — Nein!
mir ſcheint: Zeit iſt eigentlich — doch halt, daran
kommen wir nachher noch einmal. Jetzt denkt euch
erſt, verſetzt euch in die unglaublich ſchnellen, hand-
und gedankenſchnellen Menſchen, die es dann geben
wird, an all' die kunſtreichen Sachen, die ſie hervor¬
bringen, treiben, haben werden, und fragt euch: wie
müſſen wir denen vorkommen, wenn unſere Städte
und Dörfer einmal drunten im Seeſchlamm liegen
und ſie ausgraben, was von unſern Sachen noch
erhalten ſein wird, und ſinnen und grübeln und unge¬
fähr herausbringen, wie es bei uns ausgeſehen haben
mag?“

Er ſchwieg. Es wurde eine lange Stille. Die
Zuhörer ſahen etwas verblüfft vor ſich nieder.

„Grämt euch nicht viel darum! Braucht euch nicht zu
ſchämen! Die Leute, die uns herausſcharren: wir, unſere
Geiſter werden ſie nicht allzu gelb und grün beneiden!
Ueberklug werden ſie ſein, dieſe ſpäten Enkel, haſtig,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0281" n="268"/>
        <p>Er &#x017F;tockte und &#x017F;eine Augen &#x017F;tarrten aufgeri&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
glänzend in's Weite. Dann lächelte er, er &#x017F;chien &#x017F;ich<lb/>
durch einen Spaß aus der Wirrniß vor&#x017F;chwebender<lb/>
und doch unvollziehbarer Bilder befreien zu wollen.<lb/>
&#x201E;Zeit,&#x201C; fuhr er fort, &#x201E;Zeit &#x2014; Zeit &#x2014; o, das wird<lb/>
ein Ge&#x017F;chlecht &#x017F;ein, da wird man meinen, noch Zeit<lb/>
herausbekommen zu mü&#x017F;&#x017F;en, wenn man von Robanus<lb/>
nach Turik fährt! &#x2014; Ueberhaupt: Zeit! &#x2014; Was i&#x017F;t<lb/>
Zeit? (Stimme: &#x201A;Zeit i&#x017F;t eben Zeit!&#x2018;) &#x2014; Nein!<lb/>
mir &#x017F;cheint: Zeit i&#x017F;t eigentlich &#x2014; doch halt, daran<lb/>
kommen wir nachher noch einmal. Jetzt denkt euch<lb/>
er&#x017F;t, ver&#x017F;etzt euch in die unglaublich &#x017F;chnellen, hand-<lb/>
und gedanken&#x017F;chnellen Men&#x017F;chen, die es dann geben<lb/>
wird, an all' die kun&#x017F;treichen Sachen, die &#x017F;ie hervor¬<lb/>
bringen, treiben, haben werden, und fragt euch: wie<lb/>&#x017F;&#x017F;en wir denen vorkommen, wenn un&#x017F;ere Städte<lb/>
und Dörfer einmal drunten im See&#x017F;chlamm liegen<lb/>
und &#x017F;ie ausgraben, was von un&#x017F;ern Sachen noch<lb/>
erhalten &#x017F;ein wird, und &#x017F;innen und grübeln und unge¬<lb/>
fähr herausbringen, wie es bei uns ausge&#x017F;ehen haben<lb/>
mag?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;chwieg. Es wurde eine lange Stille. Die<lb/>
Zuhörer &#x017F;ahen etwas verblüfft vor &#x017F;ich nieder.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Grämt euch nicht viel darum! Braucht euch nicht zu<lb/>
&#x017F;chämen! Die Leute, die uns heraus&#x017F;charren: wir, un&#x017F;ere<lb/>
Gei&#x017F;ter werden &#x017F;ie nicht allzu gelb und grün beneiden!<lb/>
Ueberklug werden &#x017F;ie &#x017F;ein, die&#x017F;e &#x017F;päten Enkel, ha&#x017F;tig,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0281] Er ſtockte und ſeine Augen ſtarrten aufgeriſſen, glänzend in's Weite. Dann lächelte er, er ſchien ſich durch einen Spaß aus der Wirrniß vorſchwebender und doch unvollziehbarer Bilder befreien zu wollen. „Zeit,“ fuhr er fort, „Zeit — Zeit — o, das wird ein Geſchlecht ſein, da wird man meinen, noch Zeit herausbekommen zu müſſen, wenn man von Robanus nach Turik fährt! — Ueberhaupt: Zeit! — Was iſt Zeit? (Stimme: ‚Zeit iſt eben Zeit!‘) — Nein! mir ſcheint: Zeit iſt eigentlich — doch halt, daran kommen wir nachher noch einmal. Jetzt denkt euch erſt, verſetzt euch in die unglaublich ſchnellen, hand- und gedankenſchnellen Menſchen, die es dann geben wird, an all' die kunſtreichen Sachen, die ſie hervor¬ bringen, treiben, haben werden, und fragt euch: wie müſſen wir denen vorkommen, wenn unſere Städte und Dörfer einmal drunten im Seeſchlamm liegen und ſie ausgraben, was von unſern Sachen noch erhalten ſein wird, und ſinnen und grübeln und unge¬ fähr herausbringen, wie es bei uns ausgeſehen haben mag?“ Er ſchwieg. Es wurde eine lange Stille. Die Zuhörer ſahen etwas verblüfft vor ſich nieder. „Grämt euch nicht viel darum! Braucht euch nicht zu ſchämen! Die Leute, die uns herausſcharren: wir, unſere Geiſter werden ſie nicht allzu gelb und grün beneiden! Ueberklug werden ſie ſein, dieſe ſpäten Enkel, haſtig,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/281
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/281>, abgerufen am 23.12.2024.