Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

sie war zu eng, die Leidenschaft erlaubte ihm nicht,
den Bewegungsdrang zu hemmen, er vergaß in seinem
Eifer die offene Stelle in der Reisigbrüstung der Redner¬
bühne, die ihm doch gedient hatte, seinen Druidenfuß
so bewußt vorzuzeigen, -- bei einem zornigen Vorstoß
durchbrach sein dicker Körper die schmale Spalte des
biegsamen Tannenzweiggeflechts, er fiel hinaus und
purzelte zu Boden, fünf Fuß tief etwa.

Die zwei Barden waren die Ersten, die herbeieilten,
ihn aufzuheben, rasch drang ihnen die Gemeinde nach,
schnell umdrängte den unglücklichen Redner ein dichter
Knäuel von Menschen, die sichtbar nicht von Einem
Gefühle getrieben waren, in dem Wirrwarr von Tönen
konnte man Stimmen des Mitleids, frommes Seufzen,
rauhes Murren und Fluchen und nur halb unter¬
drücktes Lachen wohl unterscheiden, die Aufregung wuchs
und es sah ganz darnach aus, als müsse es hier zu
einem wilden Handgemenge kommen; da erscholl plötz¬
lich eine helle, starke Stimme von oben, von unbe¬
kannter Höhe herab:

"Hört, hört! Hört mich! Mich hört!"

Alles schaute empor. Auf dem Wagsteine steht
eine dunkle Gestalt. Jetzt erscheint noch ein Wesen
neben ihr, man hört das Bellen einer mächtigen Hunds¬
stimme. ,Schweig, Tyras!' ruft es jetzt wieder aus
Menschenkehle, in diesem Augenblicke tritt der Mond
aus den verfinsternden Wolken und man erkennt Arthur.

ſie war zu eng, die Leidenſchaft erlaubte ihm nicht,
den Bewegungsdrang zu hemmen, er vergaß in ſeinem
Eifer die offene Stelle in der Reiſigbrüſtung der Redner¬
bühne, die ihm doch gedient hatte, ſeinen Druidenfuß
ſo bewußt vorzuzeigen, — bei einem zornigen Vorſtoß
durchbrach ſein dicker Körper die ſchmale Spalte des
biegſamen Tannenzweiggeflechts, er fiel hinaus und
purzelte zu Boden, fünf Fuß tief etwa.

Die zwei Barden waren die Erſten, die herbeieilten,
ihn aufzuheben, raſch drang ihnen die Gemeinde nach,
ſchnell umdrängte den unglücklichen Redner ein dichter
Knäuel von Menſchen, die ſichtbar nicht von Einem
Gefühle getrieben waren, in dem Wirrwarr von Tönen
konnte man Stimmen des Mitleids, frommes Seufzen,
rauhes Murren und Fluchen und nur halb unter¬
drücktes Lachen wohl unterſcheiden, die Aufregung wuchs
und es ſah ganz darnach aus, als müſſe es hier zu
einem wilden Handgemenge kommen; da erſcholl plötz¬
lich eine helle, ſtarke Stimme von oben, von unbe¬
kannter Höhe herab:

„Hört, hört! Hört mich! Mich hört!“

Alles ſchaute empor. Auf dem Wagſteine ſteht
eine dunkle Geſtalt. Jetzt erſcheint noch ein Weſen
neben ihr, man hört das Bellen einer mächtigen Hunds¬
ſtimme. ‚Schweig, Tyras!‘ ruft es jetzt wieder aus
Menſchenkehle, in dieſem Augenblicke tritt der Mond
aus den verfinſternden Wolken und man erkennt Arthur.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0299" n="286"/>
&#x017F;ie war zu eng, die Leiden&#x017F;chaft erlaubte ihm nicht,<lb/>
den Bewegungsdrang zu hemmen, er vergaß in &#x017F;einem<lb/>
Eifer die offene Stelle in der Rei&#x017F;igbrü&#x017F;tung der Redner¬<lb/>
bühne, die ihm doch gedient hatte, &#x017F;einen Druidenfuß<lb/>
&#x017F;o bewußt vorzuzeigen, &#x2014; bei einem zornigen Vor&#x017F;toß<lb/>
durchbrach &#x017F;ein dicker Körper die &#x017F;chmale Spalte des<lb/>
bieg&#x017F;amen Tannenzweiggeflechts, er fiel hinaus und<lb/>
purzelte zu Boden, fünf Fuß tief etwa.</p><lb/>
        <p>Die zwei Barden waren die Er&#x017F;ten, die herbeieilten,<lb/>
ihn aufzuheben, ra&#x017F;ch drang ihnen die Gemeinde nach,<lb/>
&#x017F;chnell umdrängte den unglücklichen Redner ein dichter<lb/>
Knäuel von Men&#x017F;chen, die &#x017F;ichtbar nicht von Einem<lb/>
Gefühle getrieben waren, in dem Wirrwarr von Tönen<lb/>
konnte man Stimmen des Mitleids, frommes Seufzen,<lb/>
rauhes Murren und Fluchen und nur halb unter¬<lb/>
drücktes Lachen wohl unter&#x017F;cheiden, die Aufregung wuchs<lb/>
und es &#x017F;ah ganz darnach aus, als mü&#x017F;&#x017F;e es hier zu<lb/>
einem wilden Handgemenge kommen; da er&#x017F;choll plötz¬<lb/>
lich eine helle, &#x017F;tarke Stimme von oben, von unbe¬<lb/>
kannter Höhe herab:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hört, hört! Hört mich! Mich hört!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Alles &#x017F;chaute empor. Auf dem Wag&#x017F;teine &#x017F;teht<lb/>
eine dunkle Ge&#x017F;talt. Jetzt er&#x017F;cheint noch ein We&#x017F;en<lb/>
neben ihr, man hört das Bellen einer mächtigen Hunds¬<lb/>
&#x017F;timme. &#x201A;Schweig, Tyras!&#x2018; ruft es jetzt wieder aus<lb/>
Men&#x017F;chenkehle, in die&#x017F;em Augenblicke tritt der Mond<lb/>
aus den verfin&#x017F;ternden Wolken und man erkennt Arthur.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[286/0299] ſie war zu eng, die Leidenſchaft erlaubte ihm nicht, den Bewegungsdrang zu hemmen, er vergaß in ſeinem Eifer die offene Stelle in der Reiſigbrüſtung der Redner¬ bühne, die ihm doch gedient hatte, ſeinen Druidenfuß ſo bewußt vorzuzeigen, — bei einem zornigen Vorſtoß durchbrach ſein dicker Körper die ſchmale Spalte des biegſamen Tannenzweiggeflechts, er fiel hinaus und purzelte zu Boden, fünf Fuß tief etwa. Die zwei Barden waren die Erſten, die herbeieilten, ihn aufzuheben, raſch drang ihnen die Gemeinde nach, ſchnell umdrängte den unglücklichen Redner ein dichter Knäuel von Menſchen, die ſichtbar nicht von Einem Gefühle getrieben waren, in dem Wirrwarr von Tönen konnte man Stimmen des Mitleids, frommes Seufzen, rauhes Murren und Fluchen und nur halb unter¬ drücktes Lachen wohl unterſcheiden, die Aufregung wuchs und es ſah ganz darnach aus, als müſſe es hier zu einem wilden Handgemenge kommen; da erſcholl plötz¬ lich eine helle, ſtarke Stimme von oben, von unbe¬ kannter Höhe herab: „Hört, hört! Hört mich! Mich hört!“ Alles ſchaute empor. Auf dem Wagſteine ſteht eine dunkle Geſtalt. Jetzt erſcheint noch ein Weſen neben ihr, man hört das Bellen einer mächtigen Hunds¬ ſtimme. ‚Schweig, Tyras!‘ ruft es jetzt wieder aus Menſchenkehle, in dieſem Augenblicke tritt der Mond aus den verfinſternden Wolken und man erkennt Arthur.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/299
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/299>, abgerufen am 23.12.2024.