Kunst und demnach gab es denn auch in diesem Ge¬ biete Techniker. Auf großen Holztafeln wurde die Flucht der Vorschneidarbeit aufgesetzt und jeder Gast nahm sich seinen Bissen mit dem Naturwerkzeuge der Hand. Löffel aber gab es, aus Horn und feinem Holze gar nicht übel geschnitzt, wiewohl etwas groß. Man bedurfte sie doch zu Suppe und Gemüs; ge¬ wöhnlich holte sich Jeder seinen Schub aus der ge¬ meinschaftlichen Schüssel und führte ihn geradlinig zu Munde. Bei Festschmäusen aber hatte ausnahmsweise, um die würzreiche Brühe, die zu den auserlesenen Fleischspeisen gehörte, mit Ruhe und Verstand genießen zu können, auch der Einzelne seinen Teller, d. h. seine mit schwerer Schnitzkunst erträglich konkav ge¬ bildete Holzscheibe. Das Abtropfen des Fetts, wenn der Esser seinen Bissen aus der gemeinschaftlichen Schüssel zum Mund herüberhob, hatte zu dieser Neue¬ rung den Anlaß gegeben. Nun aber kam es überdieß auf, daß man sich auch den Fleischbrocken erst auf eine eigene kleinere Holzplatte nahm und nach per¬ sönlichem Geschmack noch etwas mehr in's Spezielle bearbeitete, als der vielbeschäftigte Vorschneider es ge¬ than. Dieß geschah mit dem Steinmeißel, den Jeder sich mitbrachte. Ueber das Verfahren haben wir unsern modernen Leser bereits aufgeklärt: das Werkzeug wurde am Hirschhorngriff gefaßt, auf das Fleischstück aufgesetzt und die Hand war hart genug, um als Hammer zu dienen.
Kunſt und demnach gab es denn auch in dieſem Ge¬ biete Techniker. Auf großen Holztafeln wurde die Flucht der Vorſchneidarbeit aufgeſetzt und jeder Gaſt nahm ſich ſeinen Biſſen mit dem Naturwerkzeuge der Hand. Löffel aber gab es, aus Horn und feinem Holze gar nicht übel geſchnitzt, wiewohl etwas groß. Man bedurfte ſie doch zu Suppe und Gemüs; ge¬ wöhnlich holte ſich Jeder ſeinen Schub aus der ge¬ meinſchaftlichen Schüſſel und führte ihn geradlinig zu Munde. Bei Feſtſchmäuſen aber hatte ausnahmsweiſe, um die würzreiche Brühe, die zu den auserleſenen Fleiſchſpeiſen gehörte, mit Ruhe und Verſtand genießen zu können, auch der Einzelne ſeinen Teller, d. h. ſeine mit ſchwerer Schnitzkunſt erträglich konkav ge¬ bildete Holzſcheibe. Das Abtropfen des Fetts, wenn der Eſſer ſeinen Biſſen aus der gemeinſchaftlichen Schüſſel zum Mund herüberhob, hatte zu dieſer Neue¬ rung den Anlaß gegeben. Nun aber kam es überdieß auf, daß man ſich auch den Fleiſchbrocken erſt auf eine eigene kleinere Holzplatte nahm und nach per¬ ſönlichem Geſchmack noch etwas mehr in's Spezielle bearbeitete, als der vielbeſchäftigte Vorſchneider es ge¬ than. Dieß geſchah mit dem Steinmeißel, den Jeder ſich mitbrachte. Ueber das Verfahren haben wir unſern modernen Leſer bereits aufgeklärt: das Werkzeug wurde am Hirſchhorngriff gefaßt, auf das Fleiſchſtück aufgeſetzt und die Hand war hart genug, um als Hammer zu dienen.
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Kunſt und demnach gab es denn auch in dieſem Ge¬
biete Techniker. Auf großen Holztafeln wurde die
Flucht der Vorſchneidarbeit aufgeſetzt und jeder Gaſt
nahm ſich ſeinen Biſſen mit dem Naturwerkzeuge der
Hand. Löffel aber gab es, aus Horn und feinem
Holze gar nicht übel geſchnitzt, wiewohl etwas groß.
Man bedurfte ſie doch zu Suppe und Gemüs; ge¬
wöhnlich holte ſich Jeder ſeinen Schub aus der ge¬
meinſchaftlichen Schüſſel und führte ihn geradlinig zu
Munde. Bei Feſtſchmäuſen aber hatte ausnahmsweiſe,
um die würzreiche Brühe, die zu den auserleſenen
Fleiſchſpeiſen gehörte, mit Ruhe und Verſtand genießen
zu können, auch der Einzelne ſeinen Teller, d. h.
ſeine mit ſchwerer Schnitzkunſt erträglich konkav ge¬
bildete Holzſcheibe. Das Abtropfen des Fetts, wenn
der Eſſer ſeinen Biſſen aus der gemeinſchaftlichen
Schüſſel zum Mund herüberhob, hatte zu dieſer Neue¬
rung den Anlaß gegeben. Nun aber kam es überdieß
auf, daß man ſich auch den Fleiſchbrocken erſt auf
eine eigene kleinere Holzplatte nahm und nach per¬
ſönlichem Geſchmack noch etwas mehr in's Spezielle
bearbeitete, als der vielbeſchäftigte Vorſchneider es ge¬
than. Dieß geſchah mit dem Steinmeißel, den Jeder
ſich mitbrachte. Ueber das Verfahren haben wir unſern
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am Hirſchhorngriff gefaßt, auf das Fleiſchſtück aufgeſetzt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/387>, abgerufen am 23.12.2024.
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