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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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er von Widerstand durch Menschenkraft ohne Grippo's
Hülfe! Was? Wie? Wer ist der, der uns des Bei¬
stands der Gottheit entblößen will, wenn unser Hab
und Gut und Leben und das Leben von Weib und
Kind bedroht ist? Nicht nur ein Ketzer, ein Hochver¬
räther ist er! Ihn, ihn fordern wie die Geistertöne
im heiligen Hain, so die furchtbaren Laute, die über
den Wassern um sein Gefängniß Luft und Ohr
erschüttern!, Gebt ihn mir' ruft Grippo, gebt ihn
uns,' seine Geister! Verloren seid ihr, wenn ihr das
Opfer weigert, gerettet, wenn ihr es bringt! Ihr
wißt, daß aus eurem Seelenhirten nicht Leidenschaft
spricht, der Verbrecher ist in aller Form abgeurtheilt;
reiche mir, Dyfuwal, du rechtgläubig Frommer, der
du mir zuerst jene Hohnworte des Erzketzers getreulich
hinterbracht hast!"

Einer der Alten in seiner Nähe erhob sich, ein
hohläugiger Greis, groß und dürr, vom Alter ge¬
krümmt, mit langem, doch sparsamem weißem Barte,
der in zwei Strängen vom spitzen Kinn niederhieng;
er trat an einen hohen Busch, über den eine Bastmatte
gebreitet war, hob sie, wollte hineingreifen, fuhr aber
wie von Scheu überwältigt zurück, denn aus dem
Busche erhob sich eine Gestalt, ganz in Schwarz ge¬
kleidet, ein Weib mit gelbem Gesicht, mit starr, weit
aufgerissenen Augen, hoch in der Hand einen weißen
Stab haltend. Geheimnißvolle Zeichen, eingeschnitten,

er von Widerſtand durch Menſchenkraft ohne Grippo's
Hülfe! Was? Wie? Wer iſt der, der uns des Bei¬
ſtands der Gottheit entblößen will, wenn unſer Hab
und Gut und Leben und das Leben von Weib und
Kind bedroht iſt? Nicht nur ein Ketzer, ein Hochver¬
räther iſt er! Ihn, ihn fordern wie die Geiſtertöne
im heiligen Hain, ſo die furchtbaren Laute, die über
den Waſſern um ſein Gefängniß Luft und Ohr
erſchüttern!‚ Gebt ihn mir' ruft Grippo, gebt ihn
uns,' ſeine Geiſter! Verloren ſeid ihr, wenn ihr das
Opfer weigert, gerettet, wenn ihr es bringt! Ihr
wißt, daß aus eurem Seelenhirten nicht Leidenſchaft
ſpricht, der Verbrecher iſt in aller Form abgeurtheilt;
reiche mir, Dyfuwal, du rechtgläubig Frommer, der
du mir zuerſt jene Hohnworte des Erzketzers getreulich
hinterbracht haſt!“

Einer der Alten in ſeiner Nähe erhob ſich, ein
hohläugiger Greis, groß und dürr, vom Alter ge¬
krümmt, mit langem, doch ſparſamem weißem Barte,
der in zwei Strängen vom ſpitzen Kinn niederhieng;
er trat an einen hohen Buſch, über den eine Baſtmatte
gebreitet war, hob ſie, wollte hineingreifen, fuhr aber
wie von Scheu überwältigt zurück, denn aus dem
Buſche erhob ſich eine Geſtalt, ganz in Schwarz ge¬
kleidet, ein Weib mit gelbem Geſicht, mit ſtarr, weit
aufgeriſſenen Augen, hoch in der Hand einen weißen
Stab haltend. Geheimnißvolle Zeichen, eingeſchnitten,

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[386/0401] er von Widerſtand durch Menſchenkraft ohne Grippo's Hülfe! Was? Wie? Wer iſt der, der uns des Bei¬ ſtands der Gottheit entblößen will, wenn unſer Hab und Gut und Leben und das Leben von Weib und Kind bedroht iſt? Nicht nur ein Ketzer, ein Hochver¬ räther iſt er! Ihn, ihn fordern wie die Geiſtertöne im heiligen Hain, ſo die furchtbaren Laute, die über den Waſſern um ſein Gefängniß Luft und Ohr erſchüttern!‚ Gebt ihn mir' ruft Grippo, gebt ihn uns,' ſeine Geiſter! Verloren ſeid ihr, wenn ihr das Opfer weigert, gerettet, wenn ihr es bringt! Ihr wißt, daß aus eurem Seelenhirten nicht Leidenſchaft ſpricht, der Verbrecher iſt in aller Form abgeurtheilt; reiche mir, Dyfuwal, du rechtgläubig Frommer, der du mir zuerſt jene Hohnworte des Erzketzers getreulich hinterbracht haſt!“ Einer der Alten in ſeiner Nähe erhob ſich, ein hohläugiger Greis, groß und dürr, vom Alter ge¬ krümmt, mit langem, doch ſparſamem weißem Barte, der in zwei Strängen vom ſpitzen Kinn niederhieng; er trat an einen hohen Buſch, über den eine Baſtmatte gebreitet war, hob ſie, wollte hineingreifen, fuhr aber wie von Scheu überwältigt zurück, denn aus dem Buſche erhob ſich eine Geſtalt, ganz in Schwarz ge¬ kleidet, ein Weib mit gelbem Geſicht, mit ſtarr, weit aufgeriſſenen Augen, hoch in der Hand einen weißen Stab haltend. Geheimnißvolle Zeichen, eingeſchnitten,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/401>, abgerufen am 25.05.2024.