Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese drei Ausrufe, den hergebrachten Schluß eines
Todesurtheils, stieß sie mit einem Laute aus, so wild
grausig gellend, wie man sich den Schrei des blutigen
Kindes im "Macbeth" denken muß, das aus dem Hexen¬
kessel steigt; es ruft dreimal seinen Namen so entsetzlich,
daß er sagt: "Hätt' ich drei Ohren, hört' ich dich!"

Kaum war sie zu Ende, so rieß Angus, den
Augenblick benützend, wo Schauer alle Zungen band,
eine Fackel vom nächsten Pfahl, schwang sie, rief:
"Vorwärts!" setzte sich in Bewegung, ihm nach das
geisterhafte Weib, in der einen Hand den Runenstab,
in der andern die Fackel, die sie vorhin ergriffen
hatte und nun in Kreisen über dem Haupte drehte;
an sie schlossen sich rasch die Gemeindeältesten und
hinter diesen drängte sich Alles, was streng und
feindlich gegen Neuerungen gesinnt war; dagegen die
Barden, die Männer, die wir als eine Art von Linker
schon kennen, die Unentschiedenen, die sich gern einige
Nüchternheit bewahrten: sie Alle bedurften nur wenige
Minuten, sich vom lähmenden Grausen zu erholen,
dann stürzten sie sich nach, abmahnend, klagend, heftig
bemüht, die vorwärts Stürmenden aufzuhalten. Durch¬
einander schreiend, ziehend und stoßend, zerrend und
gezerrt, wälzte sich der wirre Menschenknäuel über
die Opferstätte hin, wo vor Grippo's Bild ein Scheiter¬
haufen aufgerichtet stand und röthlich im Fackel¬
licht aufglühte, wo auf dem Dolmen schon der Corid¬

Dieſe drei Ausrufe, den hergebrachten Schluß eines
Todesurtheils, ſtieß ſie mit einem Laute aus, ſo wild
grauſig gellend, wie man ſich den Schrei des blutigen
Kindes im „Macbeth“ denken muß, das aus dem Hexen¬
keſſel ſteigt; es ruft dreimal ſeinen Namen ſo entſetzlich,
daß er ſagt: „Hätt' ich drei Ohren, hört' ich dich!“

Kaum war ſie zu Ende, ſo rieß Angus, den
Augenblick benützend, wo Schauer alle Zungen band,
eine Fackel vom nächſten Pfahl, ſchwang ſie, rief:
„Vorwärts!“ ſetzte ſich in Bewegung, ihm nach das
geiſterhafte Weib, in der einen Hand den Runenſtab,
in der andern die Fackel, die ſie vorhin ergriffen
hatte und nun in Kreiſen über dem Haupte drehte;
an ſie ſchloſſen ſich raſch die Gemeindeälteſten und
hinter dieſen drängte ſich Alles, was ſtreng und
feindlich gegen Neuerungen geſinnt war; dagegen die
Barden, die Männer, die wir als eine Art von Linker
ſchon kennen, die Unentſchiedenen, die ſich gern einige
Nüchternheit bewahrten: ſie Alle bedurften nur wenige
Minuten, ſich vom lähmenden Grauſen zu erholen,
dann ſtürzten ſie ſich nach, abmahnend, klagend, heftig
bemüht, die vorwärts Stürmenden aufzuhalten. Durch¬
einander ſchreiend, ziehend und ſtoßend, zerrend und
gezerrt, wälzte ſich der wirre Menſchenknäuel über
die Opferſtätte hin, wo vor Grippo's Bild ein Scheiter¬
haufen aufgerichtet ſtand und röthlich im Fackel¬
licht aufglühte, wo auf dem Dolmen ſchon der Corid¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0405" n="390"/>
          <p>Die&#x017F;e drei Ausrufe, den hergebrachten Schluß eines<lb/>
Todesurtheils, &#x017F;tieß &#x017F;ie mit einem Laute aus, &#x017F;o wild<lb/>
grau&#x017F;ig gellend, wie man &#x017F;ich den Schrei des blutigen<lb/>
Kindes im &#x201E;Macbeth&#x201C; denken muß, das aus dem Hexen¬<lb/>
ke&#x017F;&#x017F;el &#x017F;teigt; es ruft dreimal &#x017F;einen Namen &#x017F;o ent&#x017F;etzlich,<lb/>
daß er &#x017F;agt: &#x201E;Hätt' ich drei Ohren, hört' ich dich!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Kaum war &#x017F;ie zu Ende, &#x017F;o rieß Angus, den<lb/>
Augenblick benützend, wo Schauer alle Zungen band,<lb/>
eine Fackel vom näch&#x017F;ten Pfahl, &#x017F;chwang &#x017F;ie, rief:<lb/>
&#x201E;Vorwärts!&#x201C; &#x017F;etzte &#x017F;ich in Bewegung, ihm nach das<lb/>
gei&#x017F;terhafte Weib, in der einen Hand den Runen&#x017F;tab,<lb/>
in der andern die Fackel, die &#x017F;ie vorhin ergriffen<lb/>
hatte und nun in Krei&#x017F;en über dem Haupte drehte;<lb/>
an &#x017F;ie &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich ra&#x017F;ch die Gemeindeälte&#x017F;ten und<lb/>
hinter die&#x017F;en drängte &#x017F;ich Alles, was &#x017F;treng und<lb/>
feindlich gegen Neuerungen ge&#x017F;innt war; dagegen die<lb/>
Barden, die Männer, die wir als eine Art von Linker<lb/>
&#x017F;chon kennen, die Unent&#x017F;chiedenen, die &#x017F;ich gern einige<lb/>
Nüchternheit bewahrten: &#x017F;ie Alle bedurften nur wenige<lb/>
Minuten, &#x017F;ich vom lähmenden Grau&#x017F;en zu erholen,<lb/>
dann &#x017F;türzten &#x017F;ie &#x017F;ich nach, abmahnend, klagend, heftig<lb/>
bemüht, die vorwärts Stürmenden aufzuhalten. Durch¬<lb/>
einander &#x017F;chreiend, ziehend und &#x017F;toßend, zerrend und<lb/>
gezerrt, wälzte &#x017F;ich der wirre Men&#x017F;chenknäuel über<lb/>
die Opfer&#x017F;tätte hin, wo vor Grippo's Bild ein Scheiter¬<lb/>
haufen aufgerichtet &#x017F;tand und röthlich im Fackel¬<lb/>
licht aufglühte, wo auf dem Dolmen &#x017F;chon der Corid¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[390/0405] Dieſe drei Ausrufe, den hergebrachten Schluß eines Todesurtheils, ſtieß ſie mit einem Laute aus, ſo wild grauſig gellend, wie man ſich den Schrei des blutigen Kindes im „Macbeth“ denken muß, das aus dem Hexen¬ keſſel ſteigt; es ruft dreimal ſeinen Namen ſo entſetzlich, daß er ſagt: „Hätt' ich drei Ohren, hört' ich dich!“ Kaum war ſie zu Ende, ſo rieß Angus, den Augenblick benützend, wo Schauer alle Zungen band, eine Fackel vom nächſten Pfahl, ſchwang ſie, rief: „Vorwärts!“ ſetzte ſich in Bewegung, ihm nach das geiſterhafte Weib, in der einen Hand den Runenſtab, in der andern die Fackel, die ſie vorhin ergriffen hatte und nun in Kreiſen über dem Haupte drehte; an ſie ſchloſſen ſich raſch die Gemeindeälteſten und hinter dieſen drängte ſich Alles, was ſtreng und feindlich gegen Neuerungen geſinnt war; dagegen die Barden, die Männer, die wir als eine Art von Linker ſchon kennen, die Unentſchiedenen, die ſich gern einige Nüchternheit bewahrten: ſie Alle bedurften nur wenige Minuten, ſich vom lähmenden Grauſen zu erholen, dann ſtürzten ſie ſich nach, abmahnend, klagend, heftig bemüht, die vorwärts Stürmenden aufzuhalten. Durch¬ einander ſchreiend, ziehend und ſtoßend, zerrend und gezerrt, wälzte ſich der wirre Menſchenknäuel über die Opferſtätte hin, wo vor Grippo's Bild ein Scheiter¬ haufen aufgerichtet ſtand und röthlich im Fackel¬ licht aufglühte, wo auf dem Dolmen ſchon der Corid¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/405
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/405>, abgerufen am 25.05.2024.