Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

schrei, verzweifeltes Hülferufen; die Nächsten, die den
Eindringenden hatten folgen wollen, machen wohlweis¬
lich Halt, drehen sich um, schreien nach Kähnen, die
Nachdrängenden, die noch nicht wissen, was vorgegangen,
schieben und stoßen vorwärts, so erleiden noch mehrere
Personen das Schicksal der Zugführer; nach und nach
lichten sich die Geister zum Verständniß, man eilt nach
Einbäumen, kann sie nicht schnell genug lösen, Dieser
und Jener springt aus freien Stücken in's Wasser, um
schwimmend die Hineingestürzten zu retten, Andere
wirft im Gedräng und der Hast um die Kähne der
Zufall in die Wellen und endlich befindet sich der
ganze männliche Theil der Gemeinde in dem wogenden
See, die Frauen sind inzwischen aus den Hütten ge¬
stürzt, wehklagen wie ein antiker Chor an den Gelän¬
dern, eines derselben bricht vom Drucke der Menge
und ein Haufen von Müttern und Töchtern stürzt
hinab, weit und breit ist nun die Wassermasse bedeckt,
durchschossen, durchrauscht von einem dunkeln Getümmel
schwimmender, kähnerudernder, drängender, zappelnder,
lautschreiender Gestalten; aus dem Schlaf aufgeschreckt
flattern schneeweiße Möven über dem tollen Schauspiel
und sagen durch Wimmern und fahrige, verrückte Zick¬
zackflüge ihr Erstaunen über den unbekannten Anblick.
Nur drei Menschen stehen unbemerkt ganz ruhig oben
und schauen auf das Getrieb hernieder; es sind die zwei
Barden und ein Jüngling, der sich so eben erst, stark er¬

ſchrei, verzweifeltes Hülferufen; die Nächſten, die den
Eindringenden hatten folgen wollen, machen wohlweis¬
lich Halt, drehen ſich um, ſchreien nach Kähnen, die
Nachdrängenden, die noch nicht wiſſen, was vorgegangen,
ſchieben und ſtoßen vorwärts, ſo erleiden noch mehrere
Perſonen das Schickſal der Zugführer; nach und nach
lichten ſich die Geiſter zum Verſtändniß, man eilt nach
Einbäumen, kann ſie nicht ſchnell genug löſen, Dieſer
und Jener ſpringt aus freien Stücken in's Waſſer, um
ſchwimmend die Hineingeſtürzten zu retten, Andere
wirft im Gedräng und der Haſt um die Kähne der
Zufall in die Wellen und endlich befindet ſich der
ganze männliche Theil der Gemeinde in dem wogenden
See, die Frauen ſind inzwiſchen aus den Hütten ge¬
ſtürzt, wehklagen wie ein antiker Chor an den Gelän¬
dern, eines derſelben bricht vom Drucke der Menge
und ein Haufen von Müttern und Töchtern ſtürzt
hinab, weit und breit iſt nun die Waſſermaſſe bedeckt,
durchſchoſſen, durchrauſcht von einem dunkeln Getümmel
ſchwimmender, kähnerudernder, drängender, zappelnder,
lautſchreiender Geſtalten; aus dem Schlaf aufgeſchreckt
flattern ſchneeweiße Möven über dem tollen Schauſpiel
und ſagen durch Wimmern und fahrige, verrückte Zick¬
zackflüge ihr Erſtaunen über den unbekannten Anblick.
Nur drei Menſchen ſtehen unbemerkt ganz ruhig oben
und ſchauen auf das Getrieb hernieder; es ſind die zwei
Barden und ein Jüngling, der ſich ſo eben erſt, ſtark er¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0407" n="392"/>
&#x017F;chrei, verzweifeltes Hülferufen; die Näch&#x017F;ten, die den<lb/>
Eindringenden hatten folgen wollen, machen wohlweis¬<lb/>
lich Halt, drehen &#x017F;ich um, &#x017F;chreien nach Kähnen, die<lb/>
Nachdrängenden, die noch nicht wi&#x017F;&#x017F;en, was vorgegangen,<lb/>
&#x017F;chieben und &#x017F;toßen vorwärts, &#x017F;o erleiden noch mehrere<lb/>
Per&#x017F;onen das Schick&#x017F;al der Zugführer; nach und nach<lb/>
lichten &#x017F;ich die Gei&#x017F;ter zum Ver&#x017F;tändniß, man eilt nach<lb/>
Einbäumen, kann &#x017F;ie nicht &#x017F;chnell genug lö&#x017F;en, Die&#x017F;er<lb/>
und Jener &#x017F;pringt aus freien Stücken in's Wa&#x017F;&#x017F;er, um<lb/>
&#x017F;chwimmend die Hineinge&#x017F;türzten zu retten, Andere<lb/>
wirft im Gedräng und der Ha&#x017F;t um die Kähne der<lb/>
Zufall in die Wellen und endlich befindet &#x017F;ich der<lb/>
ganze männliche Theil der Gemeinde in dem wogenden<lb/>
See, die Frauen &#x017F;ind inzwi&#x017F;chen aus den Hütten ge¬<lb/>
&#x017F;türzt, wehklagen wie ein antiker Chor an den Gelän¬<lb/>
dern, eines der&#x017F;elben bricht vom Drucke der Menge<lb/>
und ein Haufen von Müttern und Töchtern &#x017F;türzt<lb/>
hinab, weit und breit i&#x017F;t nun die Wa&#x017F;&#x017F;erma&#x017F;&#x017F;e bedeckt,<lb/>
durch&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en, durchrau&#x017F;cht von einem dunkeln Getümmel<lb/>
&#x017F;chwimmender, kähnerudernder, drängender, zappelnder,<lb/>
laut&#x017F;chreiender Ge&#x017F;talten; aus dem Schlaf aufge&#x017F;chreckt<lb/>
flattern &#x017F;chneeweiße Möven über dem tollen Schau&#x017F;piel<lb/>
und &#x017F;agen durch Wimmern und fahrige, verrückte Zick¬<lb/>
zackflüge ihr Er&#x017F;taunen über den unbekannten Anblick.<lb/>
Nur drei Men&#x017F;chen &#x017F;tehen unbemerkt ganz ruhig oben<lb/>
und &#x017F;chauen auf das Getrieb hernieder; es &#x017F;ind die zwei<lb/>
Barden und ein Jüngling, der &#x017F;ich &#x017F;o eben er&#x017F;t, &#x017F;tark er¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0407] ſchrei, verzweifeltes Hülferufen; die Nächſten, die den Eindringenden hatten folgen wollen, machen wohlweis¬ lich Halt, drehen ſich um, ſchreien nach Kähnen, die Nachdrängenden, die noch nicht wiſſen, was vorgegangen, ſchieben und ſtoßen vorwärts, ſo erleiden noch mehrere Perſonen das Schickſal der Zugführer; nach und nach lichten ſich die Geiſter zum Verſtändniß, man eilt nach Einbäumen, kann ſie nicht ſchnell genug löſen, Dieſer und Jener ſpringt aus freien Stücken in's Waſſer, um ſchwimmend die Hineingeſtürzten zu retten, Andere wirft im Gedräng und der Haſt um die Kähne der Zufall in die Wellen und endlich befindet ſich der ganze männliche Theil der Gemeinde in dem wogenden See, die Frauen ſind inzwiſchen aus den Hütten ge¬ ſtürzt, wehklagen wie ein antiker Chor an den Gelän¬ dern, eines derſelben bricht vom Drucke der Menge und ein Haufen von Müttern und Töchtern ſtürzt hinab, weit und breit iſt nun die Waſſermaſſe bedeckt, durchſchoſſen, durchrauſcht von einem dunkeln Getümmel ſchwimmender, kähnerudernder, drängender, zappelnder, lautſchreiender Geſtalten; aus dem Schlaf aufgeſchreckt flattern ſchneeweiße Möven über dem tollen Schauſpiel und ſagen durch Wimmern und fahrige, verrückte Zick¬ zackflüge ihr Erſtaunen über den unbekannten Anblick. Nur drei Menſchen ſtehen unbemerkt ganz ruhig oben und ſchauen auf das Getrieb hernieder; es ſind die zwei Barden und ein Jüngling, der ſich ſo eben erſt, ſtark er¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/407
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/407>, abgerufen am 22.12.2024.