See, Fels und hohe Bergeshäupter, nicht eben zu ge¬ hobener Naturempfindung gestimmt, der Himmel war bedeckt, die Spitzen des Nieder- und Oberbauen, des Uri-Rothstocks verhüllt, ein schweres Grau lag auf allen Höhen, Tiefen und Flächen. Dennoch war die Landschaft nicht tonlos. Eine eigenthümliche Unruhe schien im See sich zu rühren, der doch kaum von einem Wind¬ hauch bewegt wurde: kleine Wellen hoben sich da und dort, als brennte ein Feuer unter dem großen Becken und das Wasser käme in's Kochen; das gedämpfte Rauschen mußte ich mit dem Knistern einer leis an¬ wachsenden Feuersbrunst vergleichen. Seltsam blitzte da und dort ein scharfer Lichtstreifen aus dem Wasser¬ spiegel auf wie ein zorniger Blick aus einem Auge schießt. Es war etwas Geheimnißvolles, dumpf Ver¬ hülltes rings umher, wiewohl alle bestimmten Anzeichen nahen Unwetters fehlten. Das verschleiert Drohende, das sich dunkel zu fühlen gab, führte mir doch die Sturmbilder aus Schiller's Tell vor die Phantasie. Versenkt in diese innere Anschauung gieng ich meines Wegs und hatte einen Lärm, der in mäßiger Ent¬ fernung sich hören ließ, mit dem körperlichen Ohre wohl längst aufgenommen, ehe mir die Sinnesempfin¬ dung zum Bewußtsein kam. Es war heftiges, zorniges Geschrei von Männerstimmen, Hundegebell dazwischen. Jetzt erschollen die wilden Laute schon ganz nahe und wie ich um eine Ecke bog, sah ich eine Szene höchst
See, Fels und hohe Bergeshäupter, nicht eben zu ge¬ hobener Naturempfindung geſtimmt, der Himmel war bedeckt, die Spitzen des Nieder- und Oberbauen, des Uri-Rothſtocks verhüllt, ein ſchweres Grau lag auf allen Höhen, Tiefen und Flächen. Dennoch war die Landſchaft nicht tonlos. Eine eigenthümliche Unruhe ſchien im See ſich zu rühren, der doch kaum von einem Wind¬ hauch bewegt wurde: kleine Wellen hoben ſich da und dort, als brennte ein Feuer unter dem großen Becken und das Waſſer käme in's Kochen; das gedämpfte Rauſchen mußte ich mit dem Kniſtern einer leis an¬ wachſenden Feuersbrunſt vergleichen. Seltſam blitzte da und dort ein ſcharfer Lichtſtreifen aus dem Waſſer¬ ſpiegel auf wie ein zorniger Blick aus einem Auge ſchießt. Es war etwas Geheimnißvolles, dumpf Ver¬ hülltes rings umher, wiewohl alle beſtimmten Anzeichen nahen Unwetters fehlten. Das verſchleiert Drohende, das ſich dunkel zu fühlen gab, führte mir doch die Sturmbilder aus Schiller's Tell vor die Phantaſie. Verſenkt in dieſe innere Anſchauung gieng ich meines Wegs und hatte einen Lärm, der in mäßiger Ent¬ fernung ſich hören ließ, mit dem körperlichen Ohre wohl längſt aufgenommen, ehe mir die Sinnesempfin¬ dung zum Bewußtſein kam. Es war heftiges, zorniges Geſchrei von Männerſtimmen, Hundegebell dazwiſchen. Jetzt erſchollen die wilden Laute ſchon ganz nahe und wie ich um eine Ecke bog, ſah ich eine Szene höchſt
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See, Fels und hohe Bergeshäupter, nicht eben zu ge¬
hobener Naturempfindung geſtimmt, der Himmel war
bedeckt, die Spitzen des Nieder- und Oberbauen, des
Uri-Rothſtocks verhüllt, ein ſchweres Grau lag auf allen
Höhen, Tiefen und Flächen. Dennoch war die Landſchaft
nicht tonlos. Eine eigenthümliche Unruhe ſchien im
See ſich zu rühren, der doch kaum von einem Wind¬
hauch bewegt wurde: kleine Wellen hoben ſich da und
dort, als brennte ein Feuer unter dem großen Becken
und das Waſſer käme in's Kochen; das gedämpfte
Rauſchen mußte ich mit dem Kniſtern einer leis an¬
wachſenden Feuersbrunſt vergleichen. Seltſam blitzte
da und dort ein ſcharfer Lichtſtreifen aus dem Waſſer¬
ſpiegel auf wie ein zorniger Blick aus einem Auge
ſchießt. Es war etwas Geheimnißvolles, dumpf Ver¬
hülltes rings umher, wiewohl alle beſtimmten Anzeichen
nahen Unwetters fehlten. Das verſchleiert Drohende,
das ſich dunkel zu fühlen gab, führte mir doch die
Sturmbilder aus Schiller's Tell vor die Phantaſie.
Verſenkt in dieſe innere Anſchauung gieng ich meines
Wegs und hatte einen Lärm, der in mäßiger Ent¬
fernung ſich hören ließ, mit dem körperlichen Ohre
wohl längſt aufgenommen, ehe mir die Sinnesempfin¬
dung zum Bewußtſein kam. Es war heftiges, zorniges
Geſchrei von Männerſtimmen, Hundegebell dazwiſchen.
Jetzt erſchollen die wilden Laute ſchon ganz nahe und
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/51>, abgerufen am 22.12.2024.
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