Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

"Hunten, Gegensatz von drunten, das ist gut, gutes
Wort, kannte es noch nicht, versteh' es aber;" jedoch,
einmal im Zuge, fuhr ich fort: "Sie glauben interes¬
sant zu reden und reden nur langweilig; Sie gefallen
sich darin, die Wahrheit des Lebens auf den Kopf zu
stellen; Sie haben einen Palast vor sich und nehmen
zum Standpunkt für Ihr Urtheil die Hinterseite mit
dem, was sie verbirgt; was man vergessen soll, bei
dem halten Sie sich auf, was des Denkens nicht werth
ist, darüber studieren Sie, daraus machen Sie ein
System! Was keiner Zeit werth ist, dem widmen Sie
Ihre beste Zeit, was winzig ist, treiben Sie auf und
vergrößern Sie, um recht närrisch zürnen zu können.
Nicht aufgespart, sondern aufgezehrt wird auf diesem
Wege die Kraft des Widerstandes gegen die großen
und ernsten Uebel des Lebens!"

A. E. besah während dieser Worte nachläßig seine
Cigarre, die dem Ende zuneigte; dieß reizte mich, noch
hinzuzusetzen: "Uebrigens rauchen Sie auch zu viel! Lassen
Sie das, und es wird mit den Katarrhen besser werden!"

Er hatte eben den Cigarrenstumpf aus der Meer¬
schaumspitze geblasen, dieser blieb an dem anklebenden
Ende des aufgerollten Deckblattes hängen; er ließ den
Klunker hin und her baumeln und sah diesen Pendel¬
schwingungen ein paar Sekunden zu, schickte dann
einen geruhigen Blick auf mich herüber und sagte:
"So? Tetem? Adjes!"

„Hunten, Gegenſatz von drunten, das iſt gut, gutes
Wort, kannte es noch nicht, verſteh' es aber;“ jedoch,
einmal im Zuge, fuhr ich fort: „Sie glauben intereſ¬
ſant zu reden und reden nur langweilig; Sie gefallen
ſich darin, die Wahrheit des Lebens auf den Kopf zu
ſtellen; Sie haben einen Palaſt vor ſich und nehmen
zum Standpunkt für Ihr Urtheil die Hinterſeite mit
dem, was ſie verbirgt; was man vergeſſen ſoll, bei
dem halten Sie ſich auf, was des Denkens nicht werth
iſt, darüber ſtudieren Sie, daraus machen Sie ein
Syſtem! Was keiner Zeit werth iſt, dem widmen Sie
Ihre beſte Zeit, was winzig iſt, treiben Sie auf und
vergrößern Sie, um recht närriſch zürnen zu können.
Nicht aufgeſpart, ſondern aufgezehrt wird auf dieſem
Wege die Kraft des Widerſtandes gegen die großen
und ernſten Uebel des Lebens!“

A. E. beſah während dieſer Worte nachläßig ſeine
Cigarre, die dem Ende zuneigte; dieß reizte mich, noch
hinzuzuſetzen: „Uebrigens rauchen Sie auch zu viel! Laſſen
Sie das, und es wird mit den Katarrhen beſſer werden!“

Er hatte eben den Cigarrenſtumpf aus der Meer¬
ſchaumſpitze geblaſen, dieſer blieb an dem anklebenden
Ende des aufgerollten Deckblattes hängen; er ließ den
Klunker hin und her baumeln und ſah dieſen Pendel¬
ſchwingungen ein paar Sekunden zu, ſchickte dann
einen geruhigen Blick auf mich herüber und ſagte:
„So? Tetem? Adjes!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0066" n="53"/>
&#x201E;Hunten, Gegen&#x017F;atz von drunten, das i&#x017F;t gut, gutes<lb/>
Wort, kannte es noch nicht, ver&#x017F;teh' es aber;&#x201C; jedoch,<lb/>
einmal im Zuge, fuhr ich fort: &#x201E;Sie glauben intere&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ant zu reden und reden nur langweilig; Sie gefallen<lb/>
&#x017F;ich darin, die Wahrheit des Lebens auf den Kopf zu<lb/>
&#x017F;tellen; Sie haben einen Pala&#x017F;t vor &#x017F;ich und nehmen<lb/>
zum Standpunkt für Ihr Urtheil die Hinter&#x017F;eite mit<lb/>
dem, was &#x017F;ie verbirgt; was man verge&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll, bei<lb/>
dem halten Sie &#x017F;ich auf, was des Denkens nicht werth<lb/>
i&#x017F;t, darüber &#x017F;tudieren Sie, daraus machen Sie ein<lb/>
Sy&#x017F;tem! Was keiner Zeit werth i&#x017F;t, dem widmen Sie<lb/>
Ihre be&#x017F;te Zeit, was winzig i&#x017F;t, treiben Sie auf und<lb/>
vergrößern Sie, um recht närri&#x017F;ch zürnen zu können.<lb/>
Nicht aufge&#x017F;part, &#x017F;ondern aufgezehrt wird auf die&#x017F;em<lb/>
Wege die Kraft des Wider&#x017F;tandes gegen die großen<lb/>
und ern&#x017F;ten Uebel des Lebens!&#x201C;</p><lb/>
        <p>A. E. be&#x017F;ah während die&#x017F;er Worte nachläßig &#x017F;eine<lb/>
Cigarre, die dem Ende zuneigte; dieß reizte mich, noch<lb/>
hinzuzu&#x017F;etzen: &#x201E;Uebrigens rauchen Sie auch zu viel! La&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Sie das, und es wird mit den Katarrhen be&#x017F;&#x017F;er werden!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er hatte eben den Cigarren&#x017F;tumpf aus der Meer¬<lb/>
&#x017F;chaum&#x017F;pitze gebla&#x017F;en, die&#x017F;er blieb an dem anklebenden<lb/>
Ende des aufgerollten Deckblattes hängen; er ließ den<lb/>
Klunker hin und her baumeln und &#x017F;ah die&#x017F;en Pendel¬<lb/>
&#x017F;chwingungen ein paar Sekunden zu, &#x017F;chickte dann<lb/>
einen geruhigen Blick auf mich herüber und &#x017F;agte:<lb/>
&#x201E;So? Tetem? Adjes!&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0066] „Hunten, Gegenſatz von drunten, das iſt gut, gutes Wort, kannte es noch nicht, verſteh' es aber;“ jedoch, einmal im Zuge, fuhr ich fort: „Sie glauben intereſ¬ ſant zu reden und reden nur langweilig; Sie gefallen ſich darin, die Wahrheit des Lebens auf den Kopf zu ſtellen; Sie haben einen Palaſt vor ſich und nehmen zum Standpunkt für Ihr Urtheil die Hinterſeite mit dem, was ſie verbirgt; was man vergeſſen ſoll, bei dem halten Sie ſich auf, was des Denkens nicht werth iſt, darüber ſtudieren Sie, daraus machen Sie ein Syſtem! Was keiner Zeit werth iſt, dem widmen Sie Ihre beſte Zeit, was winzig iſt, treiben Sie auf und vergrößern Sie, um recht närriſch zürnen zu können. Nicht aufgeſpart, ſondern aufgezehrt wird auf dieſem Wege die Kraft des Widerſtandes gegen die großen und ernſten Uebel des Lebens!“ A. E. beſah während dieſer Worte nachläßig ſeine Cigarre, die dem Ende zuneigte; dieß reizte mich, noch hinzuzuſetzen: „Uebrigens rauchen Sie auch zu viel! Laſſen Sie das, und es wird mit den Katarrhen beſſer werden!“ Er hatte eben den Cigarrenſtumpf aus der Meer¬ ſchaumſpitze geblaſen, dieſer blieb an dem anklebenden Ende des aufgerollten Deckblattes hängen; er ließ den Klunker hin und her baumeln und ſah dieſen Pendel¬ ſchwingungen ein paar Sekunden zu, ſchickte dann einen geruhigen Blick auf mich herüber und ſagte: „So? Tetem? Adjes!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/66
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/66>, abgerufen am 22.12.2024.