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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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Er zog den Hut, eilte hinweg und überließ mich
der vergeblichen Anstrengung, in dem freilich sehr schwa¬
chen Vorrath meiner Sprachkenntnisse eine Erklärung des
nie gehörten Wortes zu suchen. Es schien mir orien¬
talisch und ich mußte den Versuch aufgeben, da mein
Wissen an dem Gebiete der Sprachen des Morgen¬
landes rein aufhört. Ein Spott mußte jedenfalls
dahinter stecken. Dazu kam das "Adjes". Ich ver¬
langte nicht, daß er Adieu hätte sagen sollen, aber
wenigstens: Adje; das s war grob. -- Ich suchte
mir den schroffen Abbruch aus dem Sinn zu schlagen,
um mir die Reiselaune nicht zu verderben.

Flüelen war erreicht, A. E. aus meinen Augen
verschwunden. Ich schlenderte erst an der Schifflände,
es unterhielt mich, dem Treiben des Wasserverkehrs
zuzusehen. Ein abgehendes Dampfboot nahm Reisende
auf, die mit der Post über den Gotthard gekommen
waren, darunter drei Jesuiten, die, kaum eingestiegen,
ihr Brevier hervorzogen und, auf dem Verdeck wan¬
delnd, ihre Gebete halblaut ablasen; die Ankunft eines
großen Rachens, der eine als englisch oder schottisch
leicht erkennbare Familie an's Land setzte, zog mich
ab und befreite mich von dem widerlichen Anblick.
Ein würdiger älterer Herr, eine anmuthvolle Frau,
aus deren Schalten mit zwei schönen Knaben zu ent¬
nehmen war, daß sie ihre Mutter sein mußte, während
ihre ganze Erscheinung zu jenen gehörte, die sich in

Er zog den Hut, eilte hinweg und überließ mich
der vergeblichen Anſtrengung, in dem freilich ſehr ſchwa¬
chen Vorrath meiner Sprachkenntniſſe eine Erklärung des
nie gehörten Wortes zu ſuchen. Es ſchien mir orien¬
taliſch und ich mußte den Verſuch aufgeben, da mein
Wiſſen an dem Gebiete der Sprachen des Morgen¬
landes rein aufhört. Ein Spott mußte jedenfalls
dahinter ſtecken. Dazu kam das „Adjes“. Ich ver¬
langte nicht, daß er Adieu hätte ſagen ſollen, aber
wenigſtens: Adje; das s war grob. — Ich ſuchte
mir den ſchroffen Abbruch aus dem Sinn zu ſchlagen,
um mir die Reiſelaune nicht zu verderben.

Flüelen war erreicht, A. E. aus meinen Augen
verſchwunden. Ich ſchlenderte erſt an der Schifflände,
es unterhielt mich, dem Treiben des Waſſerverkehrs
zuzuſehen. Ein abgehendes Dampfboot nahm Reiſende
auf, die mit der Poſt über den Gotthard gekommen
waren, darunter drei Jeſuiten, die, kaum eingeſtiegen,
ihr Brevier hervorzogen und, auf dem Verdeck wan¬
delnd, ihre Gebete halblaut ablaſen; die Ankunft eines
großen Rachens, der eine als engliſch oder ſchottiſch
leicht erkennbare Familie an's Land ſetzte, zog mich
ab und befreite mich von dem widerlichen Anblick.
Ein würdiger älterer Herr, eine anmuthvolle Frau,
aus deren Schalten mit zwei ſchönen Knaben zu ent¬
nehmen war, daß ſie ihre Mutter ſein mußte, während
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[54/0067] Er zog den Hut, eilte hinweg und überließ mich der vergeblichen Anſtrengung, in dem freilich ſehr ſchwa¬ chen Vorrath meiner Sprachkenntniſſe eine Erklärung des nie gehörten Wortes zu ſuchen. Es ſchien mir orien¬ taliſch und ich mußte den Verſuch aufgeben, da mein Wiſſen an dem Gebiete der Sprachen des Morgen¬ landes rein aufhört. Ein Spott mußte jedenfalls dahinter ſtecken. Dazu kam das „Adjes“. Ich ver¬ langte nicht, daß er Adieu hätte ſagen ſollen, aber wenigſtens: Adje; das s war grob. — Ich ſuchte mir den ſchroffen Abbruch aus dem Sinn zu ſchlagen, um mir die Reiſelaune nicht zu verderben. Flüelen war erreicht, A. E. aus meinen Augen verſchwunden. Ich ſchlenderte erſt an der Schifflände, es unterhielt mich, dem Treiben des Waſſerverkehrs zuzuſehen. Ein abgehendes Dampfboot nahm Reiſende auf, die mit der Poſt über den Gotthard gekommen waren, darunter drei Jeſuiten, die, kaum eingeſtiegen, ihr Brevier hervorzogen und, auf dem Verdeck wan¬ delnd, ihre Gebete halblaut ablaſen; die Ankunft eines großen Rachens, der eine als engliſch oder ſchottiſch leicht erkennbare Familie an's Land ſetzte, zog mich ab und befreite mich von dem widerlichen Anblick. Ein würdiger älterer Herr, eine anmuthvolle Frau, aus deren Schalten mit zwei ſchönen Knaben zu ent¬ nehmen war, daß ſie ihre Mutter ſein mußte, während ihre ganze Erſcheinung zu jenen gehörte, die ſich in

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/67>, abgerufen am 18.05.2024.