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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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die reiferen Jahre das Gepräge der Jugendlichkeit, der
Jungfräulichkeit bewahren; eine ältere Dame mit
langem, welkem Gesicht und gestrengen, essigsauren,
puritanischen Zügen, offenbar Gouvernante. Alle waren
in Schwarz gekleidet; eigenthümlich wohl stand jener
edlen Gestalt die ernste Farbe, ihr Wuchs war von
der reinsten Schlankheit, es war, als biege sich eine
junge Weide, wenn sie sich zu den Knaben niederneigte.
Ihre Gesichtsbildung war nicht eben regelmäßig schön,
aber durchdrungen und belebt von einem Ausdruck
der rührendsten Güte und Offenheit. Die Gesichtshaut
war blaß ohne Anschein von Kränklichkeit, überhaucht
von jenem Dufte, der an den weichsten Pfirsichflaum
erinnert, und vollkommen gestimmt zu dem glanzlosen
Aschblond der anspruchslos glatt gescheitelten Haare.
Man hätte zu dieser Farbe blaue oder graue Augen
erwartet, sie waren aber braun, dunkel, südlich, doch
ohne einen Funken der Leidenschaftlichkeit, die oft aus
solchen Augen blitzt, vielmehr lag darüber jenes Etwas,
das durch den Ausdruck: beflort, beschleiert nur
mangelhaft bezeichnet wird. Es war das nicht bloß
ein Zug von Trauer, wozu man die Erklärung in
ihrem schwarzen Anzug finden konnte, es waren die
langen Wimpern und ihre beschattende Wirkung, die
großen Augenlider, es war der mandelförmige Schnitt
des ganzen Auges, was jene Art träumerischer Verhüllung
bewirkte, wie man sie wohl bei umbrisch-italienischen

die reiferen Jahre das Gepräge der Jugendlichkeit, der
Jungfräulichkeit bewahren; eine ältere Dame mit
langem, welkem Geſicht und geſtrengen, eſſigſauren,
puritaniſchen Zügen, offenbar Gouvernante. Alle waren
in Schwarz gekleidet; eigenthümlich wohl ſtand jener
edlen Geſtalt die ernſte Farbe, ihr Wuchs war von
der reinſten Schlankheit, es war, als biege ſich eine
junge Weide, wenn ſie ſich zu den Knaben niederneigte.
Ihre Geſichtsbildung war nicht eben regelmäßig ſchön,
aber durchdrungen und belebt von einem Ausdruck
der rührendſten Güte und Offenheit. Die Geſichtshaut
war blaß ohne Anſchein von Kränklichkeit, überhaucht
von jenem Dufte, der an den weichſten Pfirſichflaum
erinnert, und vollkommen geſtimmt zu dem glanzloſen
Aſchblond der anſpruchslos glatt geſcheitelten Haare.
Man hätte zu dieſer Farbe blaue oder graue Augen
erwartet, ſie waren aber braun, dunkel, ſüdlich, doch
ohne einen Funken der Leidenſchaftlichkeit, die oft aus
ſolchen Augen blitzt, vielmehr lag darüber jenes Etwas,
das durch den Ausdruck: beflort, beſchleiert nur
mangelhaft bezeichnet wird. Es war das nicht bloß
ein Zug von Trauer, wozu man die Erklärung in
ihrem ſchwarzen Anzug finden konnte, es waren die
langen Wimpern und ihre beſchattende Wirkung, die
großen Augenlider, es war der mandelförmige Schnitt
des ganzen Auges, was jene Art träumeriſcher Verhüllung
bewirkte, wie man ſie wohl bei umbriſch-italieniſchen

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[55/0068] die reiferen Jahre das Gepräge der Jugendlichkeit, der Jungfräulichkeit bewahren; eine ältere Dame mit langem, welkem Geſicht und geſtrengen, eſſigſauren, puritaniſchen Zügen, offenbar Gouvernante. Alle waren in Schwarz gekleidet; eigenthümlich wohl ſtand jener edlen Geſtalt die ernſte Farbe, ihr Wuchs war von der reinſten Schlankheit, es war, als biege ſich eine junge Weide, wenn ſie ſich zu den Knaben niederneigte. Ihre Geſichtsbildung war nicht eben regelmäßig ſchön, aber durchdrungen und belebt von einem Ausdruck der rührendſten Güte und Offenheit. Die Geſichtshaut war blaß ohne Anſchein von Kränklichkeit, überhaucht von jenem Dufte, der an den weichſten Pfirſichflaum erinnert, und vollkommen geſtimmt zu dem glanzloſen Aſchblond der anſpruchslos glatt geſcheitelten Haare. Man hätte zu dieſer Farbe blaue oder graue Augen erwartet, ſie waren aber braun, dunkel, ſüdlich, doch ohne einen Funken der Leidenſchaftlichkeit, die oft aus ſolchen Augen blitzt, vielmehr lag darüber jenes Etwas, das durch den Ausdruck: beflort, beſchleiert nur mangelhaft bezeichnet wird. Es war das nicht bloß ein Zug von Trauer, wozu man die Erklärung in ihrem ſchwarzen Anzug finden konnte, es waren die langen Wimpern und ihre beſchattende Wirkung, die großen Augenlider, es war der mandelförmige Schnitt des ganzen Auges, was jene Art träumeriſcher Verhüllung bewirkte, wie man ſie wohl bei umbriſch-italieniſchen

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/68>, abgerufen am 22.12.2024.