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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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fünfzehn Ellen hoch, dem das Alles bezwingende Ge¬
schick eine seltsame Verknüpfung des Furchtbaren mit
dem Komischen beschieden hatte: er trug ein Kartoffel¬
äckerchen auf seinem Rücken. Ich mußte geradezu
lachen; der Gegenstand schien mir so sehr bedürftig,
poetisch behandelt zu werden, daß ich in Wasen, wo
ich eine Erfrischung einnahm, trotz allem herzlichen
Verzicht auf den Anspruch, ein Dichter zu sein, ein
paar Verse darauf schmieden mußte. Der Leser wird
erfahren, warum ich so unbescheiden bin, dieß anzu¬
führen. Als ich weiter gieng, fühlte ich mich über
Erwarten müde. Ich hatte doch erst dritthalb Stunden
gemacht. Es war eine Schwüle gekommen, die Luft
wurde dunstig ohne Wolken, der Dunst nahm einen
strohähnlich fahlgelben Ton an, verdünnte sich aber
allmälig und wiech einer neuen, sonderbaren, unheimlichen
Helle, da von den Massen im Mittel- und Hinter¬
grund ganz jener bläuliche Duft hinwegschwand, welcher
doch eigentlich allein der Landschaft den malerischen
Schein verleiht, der sie vom Stoffartigen entlastet, zu¬
gleich aber die Entfernungsgrade klar unterscheidet und
dadurch unser Raumgefühl ausweitend lüftet und be¬
glückt. Zufrieden aber, daß man doch deutlich sehen
konnte, drang ich vorwärts, denn meiner wartete noch
das Größte: die starrste Felswelt und der wildeste
Kampf zwischen Wasser und Fels auf der Strecke von
Göschenen bis zum Urner-Loch, die schauerliche Schlucht,

fünfzehn Ellen hoch, dem das Alles bezwingende Ge¬
ſchick eine ſeltſame Verknüpfung des Furchtbaren mit
dem Komiſchen beſchieden hatte: er trug ein Kartoffel¬
äckerchen auf ſeinem Rücken. Ich mußte geradezu
lachen; der Gegenſtand ſchien mir ſo ſehr bedürftig,
poetiſch behandelt zu werden, daß ich in Waſen, wo
ich eine Erfriſchung einnahm, trotz allem herzlichen
Verzicht auf den Anſpruch, ein Dichter zu ſein, ein
paar Verſe darauf ſchmieden mußte. Der Leſer wird
erfahren, warum ich ſo unbeſcheiden bin, dieß anzu¬
führen. Als ich weiter gieng, fühlte ich mich über
Erwarten müde. Ich hatte doch erſt dritthalb Stunden
gemacht. Es war eine Schwüle gekommen, die Luft
wurde dunſtig ohne Wolken, der Dunſt nahm einen
ſtrohähnlich fahlgelben Ton an, verdünnte ſich aber
allmälig und wiech einer neuen, ſonderbaren, unheimlichen
Helle, da von den Maſſen im Mittel- und Hinter¬
grund ganz jener bläuliche Duft hinwegſchwand, welcher
doch eigentlich allein der Landſchaft den maleriſchen
Schein verleiht, der ſie vom Stoffartigen entlaſtet, zu¬
gleich aber die Entfernungsgrade klar unterſcheidet und
dadurch unſer Raumgefühl ausweitend lüftet und be¬
glückt. Zufrieden aber, daß man doch deutlich ſehen
konnte, drang ich vorwärts, denn meiner wartete noch
das Größte: die ſtarrſte Felswelt und der wildeſte
Kampf zwiſchen Waſſer und Fels auf der Strecke von
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[70/0083] fünfzehn Ellen hoch, dem das Alles bezwingende Ge¬ ſchick eine ſeltſame Verknüpfung des Furchtbaren mit dem Komiſchen beſchieden hatte: er trug ein Kartoffel¬ äckerchen auf ſeinem Rücken. Ich mußte geradezu lachen; der Gegenſtand ſchien mir ſo ſehr bedürftig, poetiſch behandelt zu werden, daß ich in Waſen, wo ich eine Erfriſchung einnahm, trotz allem herzlichen Verzicht auf den Anſpruch, ein Dichter zu ſein, ein paar Verſe darauf ſchmieden mußte. Der Leſer wird erfahren, warum ich ſo unbeſcheiden bin, dieß anzu¬ führen. Als ich weiter gieng, fühlte ich mich über Erwarten müde. Ich hatte doch erſt dritthalb Stunden gemacht. Es war eine Schwüle gekommen, die Luft wurde dunſtig ohne Wolken, der Dunſt nahm einen ſtrohähnlich fahlgelben Ton an, verdünnte ſich aber allmälig und wiech einer neuen, ſonderbaren, unheimlichen Helle, da von den Maſſen im Mittel- und Hinter¬ grund ganz jener bläuliche Duft hinwegſchwand, welcher doch eigentlich allein der Landſchaft den maleriſchen Schein verleiht, der ſie vom Stoffartigen entlaſtet, zu¬ gleich aber die Entfernungsgrade klar unterſcheidet und dadurch unſer Raumgefühl ausweitend lüftet und be¬ glückt. Zufrieden aber, daß man doch deutlich ſehen konnte, drang ich vorwärts, denn meiner wartete noch das Größte: die ſtarrſte Felswelt und der wildeſte Kampf zwiſchen Waſſer und Fels auf der Strecke von Göſchenen bis zum Urner-Loch, die ſchauerliche Schlucht,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/83>, abgerufen am 22.12.2024.