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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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Ich meldete ihm jetzt vom Testamente, von der Voll¬
macht, die es in meine Hand gelegt, theilte ihm mit,
daß ich eben im Begriff stehe, das Interessanteste aus
dem Tagebuch zu veröffentlichen, und ließ nicht uner¬
wähnt, daß ich hier auf Lücken und Andeutungen
räthselhafter Art, auf schweres Dunkel zwischen jähen,
kurzen Lichtern gestoßen sei. "Einige Aufhellung kann
ich Ihnen geben, wenn auch keine volle," sagte der
schmerzlich bewegte Mann, "Sie werden dann auch erst
ganz verstehen, warum mir die Worte nicht gehorchen
wollen, ein Bild von jener Scheidestunde zu geben;
wer vermochte es mit trockenem Auge zu sehen, wie
er ihre blasse Hand drückte und mit Thränen bedeckte,
mit welchem Blick seine Augen zu ihr aufschauten! --
Sie sollen, so viel ich zu berichten weiß, erfahren,
was in Norwegen geschehen ist, lassen Sie uns hinaus
in's Freie gehen."

Ich nahm die nöthigste Erfrischung und trat dann
einen Gang in die nächsten Feldwege mit ihm an,
der uns nahe an der tosenden Reuß hinführte; ihr
dumpfes Donnern in tiefgefressener Felsschlucht war
die rechte Begleitung zu dem, was der Mann mir zu
sagen hatte.

In einer Bewegung, die der Leser im Verfolg
begreifen wird, nahm ich Abschied von Vater und
Enkeln, die in der Nacht noch Flüelen erreichen wollten.
Die Knaben waren schlank emporgewachsen, seit ich sie

Ich meldete ihm jetzt vom Teſtamente, von der Voll¬
macht, die es in meine Hand gelegt, theilte ihm mit,
daß ich eben im Begriff ſtehe, das Intereſſanteſte aus
dem Tagebuch zu veröffentlichen, und ließ nicht uner¬
wähnt, daß ich hier auf Lücken und Andeutungen
räthſelhafter Art, auf ſchweres Dunkel zwiſchen jähen,
kurzen Lichtern geſtoßen ſei. „Einige Aufhellung kann
ich Ihnen geben, wenn auch keine volle,“ ſagte der
ſchmerzlich bewegte Mann, „Sie werden dann auch erſt
ganz verſtehen, warum mir die Worte nicht gehorchen
wollen, ein Bild von jener Scheideſtunde zu geben;
wer vermochte es mit trockenem Auge zu ſehen, wie
er ihre blaſſe Hand drückte und mit Thränen bedeckte,
mit welchem Blick ſeine Augen zu ihr aufſchauten! —
Sie ſollen, ſo viel ich zu berichten weiß, erfahren,
was in Norwegen geſchehen iſt, laſſen Sie uns hinaus
in's Freie gehen.“

Ich nahm die nöthigſte Erfriſchung und trat dann
einen Gang in die nächſten Feldwege mit ihm an,
der uns nahe an der toſenden Reuß hinführte; ihr
dumpfes Donnern in tiefgefreſſener Felsſchlucht war
die rechte Begleitung zu dem, was der Mann mir zu
ſagen hatte.

In einer Bewegung, die der Leſer im Verfolg
begreifen wird, nahm ich Abſchied von Vater und
Enkeln, die in der Nacht noch Flüelen erreichen wollten.
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[106/0119] Ich meldete ihm jetzt vom Teſtamente, von der Voll¬ macht, die es in meine Hand gelegt, theilte ihm mit, daß ich eben im Begriff ſtehe, das Intereſſanteſte aus dem Tagebuch zu veröffentlichen, und ließ nicht uner¬ wähnt, daß ich hier auf Lücken und Andeutungen räthſelhafter Art, auf ſchweres Dunkel zwiſchen jähen, kurzen Lichtern geſtoßen ſei. „Einige Aufhellung kann ich Ihnen geben, wenn auch keine volle,“ ſagte der ſchmerzlich bewegte Mann, „Sie werden dann auch erſt ganz verſtehen, warum mir die Worte nicht gehorchen wollen, ein Bild von jener Scheideſtunde zu geben; wer vermochte es mit trockenem Auge zu ſehen, wie er ihre blaſſe Hand drückte und mit Thränen bedeckte, mit welchem Blick ſeine Augen zu ihr aufſchauten! — Sie ſollen, ſo viel ich zu berichten weiß, erfahren, was in Norwegen geſchehen iſt, laſſen Sie uns hinaus in's Freie gehen.“ Ich nahm die nöthigſte Erfriſchung und trat dann einen Gang in die nächſten Feldwege mit ihm an, der uns nahe an der toſenden Reuß hinführte; ihr dumpfes Donnern in tiefgefreſſener Felsſchlucht war die rechte Begleitung zu dem, was der Mann mir zu ſagen hatte. In einer Bewegung, die der Leſer im Verfolg begreifen wird, nahm ich Abſchied von Vater und Enkeln, die in der Nacht noch Flüelen erreichen wollten. Die Knaben waren ſchlank emporgewachſen, ſeit ich ſie

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/119>, abgerufen am 18.05.2024.