Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

das Institut der Ehe gehört; es weiß nur, daß jener
Trieb ungeheuer stark sein muß, weil sonst aus --
stille davon! -- kein Mensch gezeugt würde; darüber
macht es ihn im Eifer noch stärker, als nothwendig,
und daraus entsteht in unzähligen Kollisionen mit dem
Reich der Sitte unabsehliches, fürchterliches Elend.

Dieß ist die blinde Wildheit in der Natur, sie ist
der schwerste Stein im Wege des Forschens nach dem
Geheimniß der Gottheit. Man ziehe nicht das eigent¬
lich Böse, die Empörungen des Willens gegen die sitt¬
liche Welt herbei! Da liegt die Sache ungleich klarer.
Es wäre kein Gutes, wenn kein Böses wäre. Aus
dieser Nothwendigkeit des Bösen als Reiz, Ferment
und als Objekt des Guten folgt nicht im mindesten,
daß der Adler den Hasen, die Katze die Maus stunden¬
lang teuflisch quälen muß, statt die Beute kurzweg zu
treffen. Es ist etwas Dämonisches in der Natur --
es ist nicht anders, das eben ist "der dunkle Grund",
das traurige Geheimniß im Unterbau. Wem dieß
Wort sonderbar vorkommt, der möge nur bedenken, wie
räthselhaft das ist: aus dem Schooß der Natur kommt
ein Wesen, das die Natur (nicht ganz, aber doch in
Vielem) überwindet. Da nun die Welt keine eigene
Substanz neben und außer Gott haben kann, so folgt:
es ist eine Selbstsetzung und eine Negation und Ver¬
besserung dieser Setzung im absoluten Wesen. Der
Mythus von der Auferstehung Christi, wenn er einen

das Inſtitut der Ehe gehört; es weiß nur, daß jener
Trieb ungeheuer ſtark ſein muß, weil ſonſt aus —
ſtille davon! — kein Menſch gezeugt würde; darüber
macht es ihn im Eifer noch ſtärker, als nothwendig,
und daraus entſteht in unzähligen Kolliſionen mit dem
Reich der Sitte unabſehliches, fürchterliches Elend.

Dieß iſt die blinde Wildheit in der Natur, ſie iſt
der ſchwerſte Stein im Wege des Forſchens nach dem
Geheimniß der Gottheit. Man ziehe nicht das eigent¬
lich Böſe, die Empörungen des Willens gegen die ſitt¬
liche Welt herbei! Da liegt die Sache ungleich klarer.
Es wäre kein Gutes, wenn kein Böſes wäre. Aus
dieſer Nothwendigkeit des Böſen als Reiz, Ferment
und als Objekt des Guten folgt nicht im mindeſten,
daß der Adler den Haſen, die Katze die Maus ſtunden¬
lang teufliſch quälen muß, ſtatt die Beute kurzweg zu
treffen. Es iſt etwas Dämoniſches in der Natur —
es iſt nicht anders, das eben iſt „der dunkle Grund“,
das traurige Geheimniß im Unterbau. Wem dieß
Wort ſonderbar vorkommt, der möge nur bedenken, wie
räthſelhaft das iſt: aus dem Schooß der Natur kommt
ein Weſen, das die Natur (nicht ganz, aber doch in
Vielem) überwindet. Da nun die Welt keine eigene
Subſtanz neben und außer Gott haben kann, ſo folgt:
es iſt eine Selbſtſetzung und eine Negation und Ver¬
beſſerung dieſer Setzung im abſoluten Weſen. Der
Mythus von der Auferſtehung Chriſti, wenn er einen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0145" n="132"/>
das In&#x017F;titut der Ehe gehört; es weiß nur, daß jener<lb/>
Trieb ungeheuer &#x017F;tark &#x017F;ein muß, weil &#x017F;on&#x017F;t aus &#x2014;<lb/>
&#x017F;tille davon! &#x2014; kein Men&#x017F;ch gezeugt würde; darüber<lb/>
macht es ihn im Eifer noch &#x017F;tärker, als nothwendig,<lb/>
und daraus ent&#x017F;teht in unzähligen Kolli&#x017F;ionen mit dem<lb/>
Reich der Sitte unab&#x017F;ehliches, fürchterliches Elend.</p><lb/>
        <p>Dieß i&#x017F;t die blinde Wildheit in der Natur, &#x017F;ie i&#x017F;t<lb/>
der &#x017F;chwer&#x017F;te Stein im Wege des For&#x017F;chens nach dem<lb/>
Geheimniß der Gottheit. Man ziehe nicht das eigent¬<lb/>
lich Bö&#x017F;e, die Empörungen des Willens gegen die &#x017F;itt¬<lb/>
liche Welt herbei! Da liegt die Sache ungleich klarer.<lb/>
Es wäre kein Gutes, wenn kein Bö&#x017F;es wäre. Aus<lb/>
die&#x017F;er Nothwendigkeit des Bö&#x017F;en als Reiz, Ferment<lb/>
und als Objekt des Guten folgt nicht im minde&#x017F;ten,<lb/>
daß der Adler den Ha&#x017F;en, die Katze die Maus &#x017F;tunden¬<lb/>
lang teufli&#x017F;ch quälen muß, &#x017F;tatt die Beute kurzweg zu<lb/>
treffen. Es i&#x017F;t etwas Dämoni&#x017F;ches in der Natur &#x2014;<lb/>
es i&#x017F;t nicht anders, das eben i&#x017F;t &#x201E;der dunkle Grund&#x201C;,<lb/>
das traurige Geheimniß im Unterbau. Wem dieß<lb/>
Wort &#x017F;onderbar vorkommt, der möge nur bedenken, wie<lb/>
räth&#x017F;elhaft das i&#x017F;t: aus dem Schooß der Natur kommt<lb/>
ein We&#x017F;en, das die Natur (nicht ganz, aber doch in<lb/>
Vielem) überwindet. Da nun die Welt keine eigene<lb/>
Sub&#x017F;tanz neben und außer Gott haben kann, &#x017F;o folgt:<lb/>
es i&#x017F;t eine Selb&#x017F;t&#x017F;etzung und eine Negation und Ver¬<lb/>
be&#x017F;&#x017F;erung die&#x017F;er Setzung im ab&#x017F;oluten We&#x017F;en. Der<lb/>
Mythus von der Aufer&#x017F;tehung Chri&#x017F;ti, wenn er einen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0145] das Inſtitut der Ehe gehört; es weiß nur, daß jener Trieb ungeheuer ſtark ſein muß, weil ſonſt aus — ſtille davon! — kein Menſch gezeugt würde; darüber macht es ihn im Eifer noch ſtärker, als nothwendig, und daraus entſteht in unzähligen Kolliſionen mit dem Reich der Sitte unabſehliches, fürchterliches Elend. Dieß iſt die blinde Wildheit in der Natur, ſie iſt der ſchwerſte Stein im Wege des Forſchens nach dem Geheimniß der Gottheit. Man ziehe nicht das eigent¬ lich Böſe, die Empörungen des Willens gegen die ſitt¬ liche Welt herbei! Da liegt die Sache ungleich klarer. Es wäre kein Gutes, wenn kein Böſes wäre. Aus dieſer Nothwendigkeit des Böſen als Reiz, Ferment und als Objekt des Guten folgt nicht im mindeſten, daß der Adler den Haſen, die Katze die Maus ſtunden¬ lang teufliſch quälen muß, ſtatt die Beute kurzweg zu treffen. Es iſt etwas Dämoniſches in der Natur — es iſt nicht anders, das eben iſt „der dunkle Grund“, das traurige Geheimniß im Unterbau. Wem dieß Wort ſonderbar vorkommt, der möge nur bedenken, wie räthſelhaft das iſt: aus dem Schooß der Natur kommt ein Weſen, das die Natur (nicht ganz, aber doch in Vielem) überwindet. Da nun die Welt keine eigene Subſtanz neben und außer Gott haben kann, ſo folgt: es iſt eine Selbſtſetzung und eine Negation und Ver¬ beſſerung dieſer Setzung im abſoluten Weſen. Der Mythus von der Auferſtehung Chriſti, wenn er einen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/145
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/145>, abgerufen am 21.11.2024.