Sinn hat, muß diesen haben. -- Aber es ist und bleibt eben unbegreiflich: der Mensch findet unter sich die Natur, als unteren Theil seines Wesens, den er oft genug verächtlich hinabzwingen muß; da der Mensch aber doch aus der Natur kommt und Natur bleibt, so verachtet dann also in ihm die Natur sich selbst. Der Untergrund zieht sich, erstreckt sich in den Ober¬ bau hinauf, der ihn doch absetzt, entsetzt, der Unter¬ bau setzt sich also durch diesen selbst ab. Ich bin kein Raubthier und trage doch ein Raubthier in mir, ich bin ein wandelnder Sichselbsterhöher und Sichselbst¬ absetzer und darin ein Bild der Welt. -- So viel ist gewiß: das Universum ganz begreifen hieße die ganze Einheit im ganzen Widerspruch begreifen.
In diesem Dunkel gibt es keine Beruhigung, als diese: wo Liebe ist, wo Mitleid ist, dann, wo Klar¬ heit ist, da jedenfalls ist Gott. Da ist denn auch allein wirkliche Lust, und weil alles Gute erarbeitet sein will, also wahre Lust nur in der Arbeit.
Es ist einer der Grundfehler des Pessimismus, daß er eudämonistisch von der unmittelbaren Lust ausgeht, von da aus operirt. Sagt man zum Bei¬ spiel: Niemand arbeitet, wenn er nicht muß, so gilt dieß richtig vom Menschen, so lang er noch im Unter¬ grund, im untern Stockwerk steckt. Die zweite Ord¬
Sinn hat, muß dieſen haben. — Aber es iſt und bleibt eben unbegreiflich: der Menſch findet unter ſich die Natur, als unteren Theil ſeines Weſens, den er oft genug verächtlich hinabzwingen muß; da der Menſch aber doch aus der Natur kommt und Natur bleibt, ſo verachtet dann alſo in ihm die Natur ſich ſelbſt. Der Untergrund zieht ſich, erſtreckt ſich in den Ober¬ bau hinauf, der ihn doch abſetzt, entſetzt, der Unter¬ bau ſetzt ſich alſo durch dieſen ſelbſt ab. Ich bin kein Raubthier und trage doch ein Raubthier in mir, ich bin ein wandelnder Sichſelbſterhöher und Sichſelbſt¬ abſetzer und darin ein Bild der Welt. — So viel iſt gewiß: das Univerſum ganz begreifen hieße die ganze Einheit im ganzen Widerſpruch begreifen.
In dieſem Dunkel gibt es keine Beruhigung, als dieſe: wo Liebe iſt, wo Mitleid iſt, dann, wo Klar¬ heit iſt, da jedenfalls iſt Gott. Da iſt denn auch allein wirkliche Luſt, und weil alles Gute erarbeitet ſein will, alſo wahre Luſt nur in der Arbeit.
Es iſt einer der Grundfehler des Peſſimismus, daß er eudämoniſtiſch von der unmittelbaren Luſt ausgeht, von da aus operirt. Sagt man zum Bei¬ ſpiel: Niemand arbeitet, wenn er nicht muß, ſo gilt dieß richtig vom Menſchen, ſo lang er noch im Unter¬ grund, im untern Stockwerk ſteckt. Die zweite Ord¬
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Sinn hat, muß dieſen haben. — Aber es iſt und
bleibt eben unbegreiflich: der Menſch findet unter ſich
die Natur, als unteren Theil ſeines Weſens, den er
oft genug verächtlich hinabzwingen muß; da der Menſch
aber doch aus der Natur kommt und Natur bleibt,
ſo verachtet dann alſo in ihm die Natur ſich ſelbſt.
Der Untergrund zieht ſich, erſtreckt ſich in den Ober¬
bau hinauf, der ihn doch abſetzt, entſetzt, der Unter¬
bau ſetzt ſich alſo durch dieſen ſelbſt ab. Ich bin kein
Raubthier und trage doch ein Raubthier in mir, ich
bin ein wandelnder Sichſelbſterhöher und Sichſelbſt¬
abſetzer und darin ein Bild der Welt. — So viel iſt
gewiß: das Univerſum ganz begreifen hieße die ganze
Einheit im ganzen Widerſpruch begreifen.
In dieſem Dunkel gibt es keine Beruhigung, als
dieſe: wo Liebe iſt, wo Mitleid iſt, dann, wo Klar¬
heit iſt, da jedenfalls iſt Gott. Da iſt denn auch
allein wirkliche Luſt, und weil alles Gute erarbeitet
ſein will, alſo wahre Luſt nur in der Arbeit.
Es iſt einer der Grundfehler des Peſſimismus,
daß er eudämoniſtiſch von der unmittelbaren Luſt
ausgeht, von da aus operirt. Sagt man zum Bei¬
ſpiel: Niemand arbeitet, wenn er nicht muß, ſo gilt
dieß richtig vom Menſchen, ſo lang er noch im Unter¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/146>, abgerufen am 24.11.2024.
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