mein leidenschaftlich Wesen. Auch Stoiker! Man liest sie zu wenig. Der Mensch ist eine Entelechie. Eine Burg. Will er recht, ihn kann nichts erschüttern. Erschüttern wohl, aber nicht brechen. Starke Thürme schwanken, wenn man läutet, gerade Beweis ihrer Festigkeit.
Auf dem Ball dann weg aus dem Saal in die Wirthsräume. Im Nebenzimmer die Gespräche gehört, die an den Tischen in der Volksstube los waren. Zwischen den Bürgern unzufriedene Arbeiter, unter den Bürgern selbst unruhige Köpfe. Die politische Luft wird schwül. Es flirrt elektrisch. In Frankreich wackelt Luis Philipp's großer Regenschirm, bekommt Risse. Wäre gut genug für die Franzosen, aber zu unritterlich und doch auch gemein, krämerhaft.
Es wird eine große Freiheitsbewegung kommen. Geschrei nach Republik. Eigentlich wäre auch mein Ge¬ schmack Republik, aber eine recht strenge, und die gibt's nicht mehr. Sie werden nach Republik brüllen und Ge¬ setzlosigkeit darunter verstehen. Alles begreiflich, weil Gesetz und Ordnung jetzt fast überall in unreinen Händen ist.
O Elend! Es ist freilich wahr: "Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein." Unrecht, ungerechter
mein leidenſchaftlich Weſen. Auch Stoiker! Man liest ſie zu wenig. Der Menſch iſt eine Entelechie. Eine Burg. Will er recht, ihn kann nichts erſchüttern. Erſchüttern wohl, aber nicht brechen. Starke Thürme ſchwanken, wenn man läutet, gerade Beweis ihrer Feſtigkeit.
Auf dem Ball dann weg aus dem Saal in die Wirthsräume. Im Nebenzimmer die Geſpräche gehört, die an den Tiſchen in der Volksſtube los waren. Zwiſchen den Bürgern unzufriedene Arbeiter, unter den Bürgern ſelbſt unruhige Köpfe. Die politiſche Luft wird ſchwül. Es flirrt elektriſch. In Frankreich wackelt Luis Philipp's großer Regenſchirm, bekommt Riſſe. Wäre gut genug für die Franzoſen, aber zu unritterlich und doch auch gemein, krämerhaft.
Es wird eine große Freiheitsbewegung kommen. Geſchrei nach Republik. Eigentlich wäre auch mein Ge¬ ſchmack Republik, aber eine recht ſtrenge, und die gibt's nicht mehr. Sie werden nach Republik brüllen und Ge¬ ſetzloſigkeit darunter verſtehen. Alles begreiflich, weil Geſetz und Ordnung jetzt faſt überall in unreinen Händen iſt.
O Elend! Es iſt freilich wahr: „Der Menſch iſt nicht geboren, frei zu ſein.“ Unrecht, ungerechter
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mein leidenſchaftlich Weſen. Auch Stoiker! Man liest
ſie zu wenig. Der Menſch iſt eine Entelechie. Eine
Burg. Will er recht, ihn kann nichts erſchüttern.
Erſchüttern wohl, aber nicht brechen. Starke Thürme
ſchwanken, wenn man läutet, gerade Beweis ihrer
Feſtigkeit.
Auf dem Ball dann weg aus dem Saal in die
Wirthsräume. Im Nebenzimmer die Geſpräche gehört,
die an den Tiſchen in der Volksſtube los waren.
Zwiſchen den Bürgern unzufriedene Arbeiter, unter
den Bürgern ſelbſt unruhige Köpfe. Die politiſche
Luft wird ſchwül. Es flirrt elektriſch. In Frankreich
wackelt Luis Philipp's großer Regenſchirm, bekommt
Riſſe. Wäre gut genug für die Franzoſen, aber zu
unritterlich und doch auch gemein, krämerhaft.
Es wird eine große Freiheitsbewegung kommen.
Geſchrei nach Republik. Eigentlich wäre auch mein Ge¬
ſchmack Republik, aber eine recht ſtrenge, und die gibt's
nicht mehr. Sie werden nach Republik brüllen und Ge¬
ſetzloſigkeit darunter verſtehen. Alles begreiflich, weil Geſetz
und Ordnung jetzt faſt überall in unreinen Händen iſt.
O Elend! Es iſt freilich wahr: „Der Menſch iſt
nicht geboren, frei zu ſein.“ Unrecht, ungerechter
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/149>, abgerufen am 21.11.2024.
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