grund der Erinnerung schoben, aus dem es nun seltener, doch allemal frisch und lebendig wieder auftauchte. Des Tages dachte ich weniger daran, aber häufig träumte mir von Urhixidur, vom Wisentkampf, vom Scheiter¬ haufen, zu welchem Arthur verdammt war, und ein andermal schwebte ich schwindelnd über Abgründen, tosenden Wassern, über mir, hoch am steilen Fels, eine geisterhafte, titanisch bewegte Gestalt, und oft erwachte ich dann schweißgebadet im Augenblick, wo ich in die jähe Tiefe zu stürzen glaubte. Es war in der Nacht, nachdem die französische Kriegserklärung 1870 bekannt geworden, als sich mir solche Erinnerungsbilder mit Vorstellungen, welche diese Kunde mit sich brachte, wunderlich im Traume verknüpften. Ich befand mich wieder in der Schöllenenschlucht und sah auf einer der wilden, steilen Felsenhöhen -- nicht meinen Mann, sondern einen Spahi, einen wilden Sohn Afrikas -- nicht stehen, sondern reiten; der Fels nahm die Form eines Pferdes an, der Spahi, während sein weißer Mantel dunkler und dunkler wurde, sich mehr und mehr ausbreitete und als silbergesäumte Wetterwolke am Himmel zu flattern schien, spornte es heftig in die Seite und rief: "Nach Berlin! nach Berlin!" Jetzt kam A. E. herbeigeeilt, schrie: "Herab, Pferdsschinder!" packte ihn am Bein, der Spahi springt aus dem granitnen Sattel herab, zieht seinen krummen Säbel, ich stürze hinzu, wir raufen, und im Handgemenge sehe ich A. E.
grund der Erinnerung ſchoben, aus dem es nun ſeltener, doch allemal friſch und lebendig wieder auftauchte. Des Tages dachte ich weniger daran, aber häufig träumte mir von Urhixidur, vom Wiſentkampf, vom Scheiter¬ haufen, zu welchem Arthur verdammt war, und ein andermal ſchwebte ich ſchwindelnd über Abgründen, toſenden Waſſern, über mir, hoch am ſteilen Fels, eine geiſterhafte, titaniſch bewegte Geſtalt, und oft erwachte ich dann ſchweißgebadet im Augenblick, wo ich in die jähe Tiefe zu ſtürzen glaubte. Es war in der Nacht, nachdem die franzöſiſche Kriegserklärung 1870 bekannt geworden, als ſich mir ſolche Erinnerungsbilder mit Vorſtellungen, welche dieſe Kunde mit ſich brachte, wunderlich im Traume verknüpften. Ich befand mich wieder in der Schöllenenſchlucht und ſah auf einer der wilden, ſteilen Felſenhöhen — nicht meinen Mann, ſondern einen Spahi, einen wilden Sohn Afrikas — nicht ſtehen, ſondern reiten; der Fels nahm die Form eines Pferdes an, der Spahi, während ſein weißer Mantel dunkler und dunkler wurde, ſich mehr und mehr ausbreitete und als ſilbergeſäumte Wetterwolke am Himmel zu flattern ſchien, ſpornte es heftig in die Seite und rief: „Nach Berlin! nach Berlin!“ Jetzt kam A. E. herbeigeeilt, ſchrie: „Herab, Pferdsſchinder!“ packte ihn am Bein, der Spahi ſpringt aus dem granitnen Sattel herab, zieht ſeinen krummen Säbel, ich ſtürze hinzu, wir raufen, und im Handgemenge ſehe ich A. E.
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grund der Erinnerung ſchoben, aus dem es nun ſeltener,
doch allemal friſch und lebendig wieder auftauchte.
Des Tages dachte ich weniger daran, aber häufig träumte
mir von Urhixidur, vom Wiſentkampf, vom Scheiter¬
haufen, zu welchem Arthur verdammt war, und ein
andermal ſchwebte ich ſchwindelnd über Abgründen,
toſenden Waſſern, über mir, hoch am ſteilen Fels, eine
geiſterhafte, titaniſch bewegte Geſtalt, und oft erwachte
ich dann ſchweißgebadet im Augenblick, wo ich in die
jähe Tiefe zu ſtürzen glaubte. Es war in der Nacht,
nachdem die franzöſiſche Kriegserklärung 1870 bekannt
geworden, als ſich mir ſolche Erinnerungsbilder mit
Vorſtellungen, welche dieſe Kunde mit ſich brachte,
wunderlich im Traume verknüpften. Ich befand mich
wieder in der Schöllenenſchlucht und ſah auf einer
der wilden, ſteilen Felſenhöhen — nicht meinen Mann,
ſondern einen Spahi, einen wilden Sohn Afrikas —
nicht ſtehen, ſondern reiten; der Fels nahm die Form
eines Pferdes an, der Spahi, während ſein weißer
Mantel dunkler und dunkler wurde, ſich mehr und
mehr ausbreitete und als ſilbergeſäumte Wetterwolke
am Himmel zu flattern ſchien, ſpornte es heftig in die
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A. E. herbeigeeilt, ſchrie: „Herab, Pferdsſchinder!“ packte
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/19>, abgerufen am 03.12.2024.
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