fluß genannten Uebels entschuldigt wird, der Redner aber fühlt, daß dieß gegen den Strich seines Gedanken¬ gangs läuft und sich mühsam in diesen zurückhilft. Dabei drängte sich mir zugleich die Bemerkung auf, daß er sich im Verhältniß zum Umfang seiner Grille im Grund enthaltsam erwiesen habe, denn die Ver¬ suchung mußte groß genug sein, sich nicht auf das eine der sogenannten kleinen Uebel zu beschränken, sondern durch reichliche Einführung anderer eine Aus¬ sicht auf das unabsehliche Gebiet lästiger Durchkreuzungen menschlichen Seins und Thuns durch den winzigen Zufall zu eröffnen, mit dem er sich in so großer Aus¬ dehnung und so verbissen beschäftigte. Einzelnes der Art, was vorkommt, wie das Herabfallen des Druiden von der Kanzel, ist doch motivirt und zählt also eigent¬ lich nicht in die Sphäre des reinen Widersinns. Diese Einschränkung durfte ich ebenfalls für einen Erweis von Freiheit gelten lassen: er konnte eine Menge komischer Motive aus diesem Gebiete schöpfen, aber der Zusammenhang seiner Komposition wollte es nicht zulassen, und als Künstler fügte er sich in dieß Verbot, während er als Mensch doch gewiß auf Schritt und Tritt einen starken Reiz fühlen mußte, es zu übertreten.
So schwankte mir Denken und Gefühl hin und her, bis endlich die allgewaltige Macht der Zeit, die politischen Ereignisse, die Häufung täglicher Arbeit das Bild des Mannes und seines Werks mir in den Hinter¬
fluß genannten Uebels entſchuldigt wird, der Redner aber fühlt, daß dieß gegen den Strich ſeines Gedanken¬ gangs läuft und ſich mühſam in dieſen zurückhilft. Dabei drängte ſich mir zugleich die Bemerkung auf, daß er ſich im Verhältniß zum Umfang ſeiner Grille im Grund enthaltſam erwieſen habe, denn die Ver¬ ſuchung mußte groß genug ſein, ſich nicht auf das eine der ſogenannten kleinen Uebel zu beſchränken, ſondern durch reichliche Einführung anderer eine Aus¬ ſicht auf das unabſehliche Gebiet läſtiger Durchkreuzungen menſchlichen Seins und Thuns durch den winzigen Zufall zu eröffnen, mit dem er ſich in ſo großer Aus¬ dehnung und ſo verbiſſen beſchäftigte. Einzelnes der Art, was vorkommt, wie das Herabfallen des Druiden von der Kanzel, iſt doch motivirt und zählt alſo eigent¬ lich nicht in die Sphäre des reinen Widerſinns. Dieſe Einſchränkung durfte ich ebenfalls für einen Erweis von Freiheit gelten laſſen: er konnte eine Menge komiſcher Motive aus dieſem Gebiete ſchöpfen, aber der Zuſammenhang ſeiner Kompoſition wollte es nicht zulaſſen, und als Künſtler fügte er ſich in dieß Verbot, während er als Menſch doch gewiß auf Schritt und Tritt einen ſtarken Reiz fühlen mußte, es zu übertreten.
So ſchwankte mir Denken und Gefühl hin und her, bis endlich die allgewaltige Macht der Zeit, die politiſchen Ereigniſſe, die Häufung täglicher Arbeit das Bild des Mannes und ſeines Werks mir in den Hinter¬
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[5/0018]
fluß genannten Uebels entſchuldigt wird, der Redner
aber fühlt, daß dieß gegen den Strich ſeines Gedanken¬
gangs läuft und ſich mühſam in dieſen zurückhilft.
Dabei drängte ſich mir zugleich die Bemerkung auf,
daß er ſich im Verhältniß zum Umfang ſeiner Grille
im Grund enthaltſam erwieſen habe, denn die Ver¬
ſuchung mußte groß genug ſein, ſich nicht auf das
eine der ſogenannten kleinen Uebel zu beſchränken,
ſondern durch reichliche Einführung anderer eine Aus¬
ſicht auf das unabſehliche Gebiet läſtiger Durchkreuzungen
menſchlichen Seins und Thuns durch den winzigen
Zufall zu eröffnen, mit dem er ſich in ſo großer Aus¬
dehnung und ſo verbiſſen beſchäftigte. Einzelnes der
Art, was vorkommt, wie das Herabfallen des Druiden
von der Kanzel, iſt doch motivirt und zählt alſo eigent¬
lich nicht in die Sphäre des reinen Widerſinns. Dieſe
Einſchränkung durfte ich ebenfalls für einen Erweis
von Freiheit gelten laſſen: er konnte eine Menge
komiſcher Motive aus dieſem Gebiete ſchöpfen, aber
der Zuſammenhang ſeiner Kompoſition wollte es nicht
zulaſſen, und als Künſtler fügte er ſich in dieß Verbot,
während er als Menſch doch gewiß auf Schritt und Tritt
einen ſtarken Reiz fühlen mußte, es zu übertreten.
So ſchwankte mir Denken und Gefühl hin und
her, bis endlich die allgewaltige Macht der Zeit, die
politiſchen Ereigniſſe, die Häufung täglicher Arbeit das
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/18>, abgerufen am 03.12.2024.
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