und Witz verpönen zu wollen. Wo fängt nun aber das Gemeine, das Wachtstubenmäßige an? Was ist die Grenzlinie? Habe oft darüber nachgedacht, es ist schwer finden. Ungefähr so: das Gemeine beginnt, wo der Stoff nicht mehr durch zufälligen komischen Kontrast oder durch erzeugten, d. h. durch Witz ver¬ flüchtigt wird, sondern wo er als Stoff schon komisch interessant sein soll. Es muß ein Plus von komischem Kontrast oder Witz über den puren Stoff da sein. Wie eckeln mich die Kerle an, die meinen, es sei an sich schon witzig, wenn man Dieß oder Jenes auf das Geschlecht¬ liche bezieht! Dann das Augenzwinkern, Zunicken: weißt, wir verstehen, wir kennen das! Dann das stinkige Bocksgelächter. Diese Schweine in Glacehand¬ schuhen haben sogar vor dem Vater und Sohn, die neben einander saßen, Zoten gerissen. Schamlos; es sind Dreck¬ seelen. -- Man kann die Menschen nicht keusch machen, aber die Schamhaftigkeit sollten sie sich erhalten, Mann wie Weib. Keuschheit verloren ist noch nicht Scham ver¬ loren, sonst wäre ja die Ehe etwas Schamloses. Schamhaftigkeit zum Teufel, so ist die Schwungfeder zu allem Idealen in der Seele zum Teufel. -- Das Geschlechtsleben ist an sich ehrwürdig, heilig. Der un¬ verdorbene Jüngling verehrt unbewußt in der Jungfrau das geheimnißvolle Gefäß von Menschenkeimen. Das Geschlechtliche steht also an sich schlechtweg in keinem Kontrast zum rein Spirituellen in der Liebe. Der
und Witz verpönen zu wollen. Wo fängt nun aber das Gemeine, das Wachtſtubenmäßige an? Was iſt die Grenzlinie? Habe oft darüber nachgedacht, es iſt ſchwer finden. Ungefähr ſo: das Gemeine beginnt, wo der Stoff nicht mehr durch zufälligen komiſchen Kontraſt oder durch erzeugten, d. h. durch Witz ver¬ flüchtigt wird, ſondern wo er als Stoff ſchon komiſch intereſſant ſein ſoll. Es muß ein Plus von komiſchem Kontraſt oder Witz über den puren Stoff da ſein. Wie eckeln mich die Kerle an, die meinen, es ſei an ſich ſchon witzig, wenn man Dieß oder Jenes auf das Geſchlecht¬ liche bezieht! Dann das Augenzwinkern, Zunicken: weißt, wir verſtehen, wir kennen das! Dann das ſtinkige Bocksgelächter. Dieſe Schweine in Glacéhand¬ ſchuhen haben ſogar vor dem Vater und Sohn, die neben einander ſaßen, Zoten geriſſen. Schamlos; es ſind Dreck¬ ſeelen. — Man kann die Menſchen nicht keuſch machen, aber die Schamhaftigkeit ſollten ſie ſich erhalten, Mann wie Weib. Keuſchheit verloren iſt noch nicht Scham ver¬ loren, ſonſt wäre ja die Ehe etwas Schamloſes. Schamhaftigkeit zum Teufel, ſo iſt die Schwungfeder zu allem Idealen in der Seele zum Teufel. — Das Geſchlechtsleben iſt an ſich ehrwürdig, heilig. Der un¬ verdorbene Jüngling verehrt unbewußt in der Jungfrau das geheimnißvolle Gefäß von Menſchenkeimen. Das Geſchlechtliche ſteht alſo an ſich ſchlechtweg in keinem Kontraſt zum rein Spirituellen in der Liebe. Der
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und Witz verpönen zu wollen. Wo fängt nun aber
das Gemeine, das Wachtſtubenmäßige an? Was iſt
die Grenzlinie? Habe oft darüber nachgedacht, es iſt
ſchwer finden. Ungefähr ſo: das Gemeine beginnt,
wo der Stoff nicht mehr durch zufälligen komiſchen
Kontraſt oder durch erzeugten, d. h. durch Witz ver¬
flüchtigt wird, ſondern wo er als Stoff ſchon komiſch
intereſſant ſein ſoll. Es muß ein Plus von komiſchem
Kontraſt oder Witz über den puren Stoff da ſein. Wie
eckeln mich die Kerle an, die meinen, es ſei an ſich ſchon
witzig, wenn man Dieß oder Jenes auf das Geſchlecht¬
liche bezieht! Dann das Augenzwinkern, Zunicken:
weißt, wir verſtehen, wir kennen das! Dann das
ſtinkige Bocksgelächter. Dieſe Schweine in Glacéhand¬
ſchuhen haben ſogar vor dem Vater und Sohn, die neben
einander ſaßen, Zoten geriſſen. Schamlos; es ſind Dreck¬
ſeelen. — Man kann die Menſchen nicht keuſch machen,
aber die Schamhaftigkeit ſollten ſie ſich erhalten, Mann
wie Weib. Keuſchheit verloren iſt noch nicht Scham ver¬
loren, ſonſt wäre ja die Ehe etwas Schamloſes.
Schamhaftigkeit zum Teufel, ſo iſt die Schwungfeder
zu allem Idealen in der Seele zum Teufel. — Das
Geſchlechtsleben iſt an ſich ehrwürdig, heilig. Der un¬
verdorbene Jüngling verehrt unbewußt in der Jungfrau
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Kontraſt zum rein Spirituellen in der Liebe. Der
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/196>, abgerufen am 21.11.2024.
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