Tochter nach Christiania hinzubringen und die Hochzeit dort zu feiern. Und in diesem Momente war dem edlen jungen Manne die Pflege jenes Unseligen auf¬ gebürdet! Er konnte, er wollte ihn nicht im Stich lassen, zu tief bewegte ihn dieß dunkle Menschenschicksal. Auf der andern Seite, da er denn einmal die Für¬ sorge für ihn wie eine Pflicht fühlte, war die Sach¬ lage doch auch nicht ungünstig zu nennen, da ihr Drang zugleich das Mittel der Rettung aus drohenden Gefahren darbot; zwar daß der unfreiwillig Gebadete ausschwatzen werde, war offenbar nicht zu befürchten, aber wer konnte bürgen, ob von anderer Seite das Geheimniß bewahrt bleibe? Ob dem Todtengräber nicht ein unvorsichtiges Wort entfalle, ob sich die verstörte Dame nicht selbst, ob der Kranke sich nicht verrathe, wer wissen, wie der andere Arzt, den Erik nicht kannte, im Gewissenskonflikt sich entscheiden werde? Aufwühlung eines Grabes, Vergehen an einem Leichnam, -- die Behörden mußten thätig werden, ein allgemeines Auf¬ sehen mußte entstehen und die unheimlichen Folgen waren nicht zu überschauen. Besser konnte nicht vor¬ gebeugt werden, als wenn man den Mann, auf den vor Allem das allgemeine Aufsehen sich werfen mußte, den Thäter, den Kranken hinweg, weit hinwegschaffte -- aus den Augen, aus dem Sinn!
"Erik fand ihn, als er nach wenigen Stunden ihn besuchte, ruhiger, meist schlummernd, doch stark fiebernd,
Tochter nach Chriſtiania hinzubringen und die Hochzeit dort zu feiern. Und in dieſem Momente war dem edlen jungen Manne die Pflege jenes Unſeligen auf¬ gebürdet! Er konnte, er wollte ihn nicht im Stich laſſen, zu tief bewegte ihn dieß dunkle Menſchenſchickſal. Auf der andern Seite, da er denn einmal die Für¬ ſorge für ihn wie eine Pflicht fühlte, war die Sach¬ lage doch auch nicht ungünſtig zu nennen, da ihr Drang zugleich das Mittel der Rettung aus drohenden Gefahren darbot; zwar daß der unfreiwillig Gebadete ausſchwatzen werde, war offenbar nicht zu befürchten, aber wer konnte bürgen, ob von anderer Seite das Geheimniß bewahrt bleibe? Ob dem Todtengräber nicht ein unvorſichtiges Wort entfalle, ob ſich die verſtörte Dame nicht ſelbſt, ob der Kranke ſich nicht verrathe, wer wiſſen, wie der andere Arzt, den Erik nicht kannte, im Gewiſſenskonflikt ſich entſcheiden werde? Aufwühlung eines Grabes, Vergehen an einem Leichnam, — die Behörden mußten thätig werden, ein allgemeines Auf¬ ſehen mußte entſtehen und die unheimlichen Folgen waren nicht zu überſchauen. Beſſer konnte nicht vor¬ gebeugt werden, als wenn man den Mann, auf den vor Allem das allgemeine Aufſehen ſich werfen mußte, den Thäter, den Kranken hinweg, weit hinwegſchaffte — aus den Augen, aus dem Sinn!
„Erik fand ihn, als er nach wenigen Stunden ihn beſuchte, ruhiger, meiſt ſchlummernd, doch ſtark fiebernd,
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Tochter nach Chriſtiania hinzubringen und die Hochzeit
dort zu feiern. Und in dieſem Momente war dem
edlen jungen Manne die Pflege jenes Unſeligen auf¬
gebürdet! Er konnte, er wollte ihn nicht im Stich
laſſen, zu tief bewegte ihn dieß dunkle Menſchenſchickſal.
Auf der andern Seite, da er denn einmal die Für¬
ſorge für ihn wie eine Pflicht fühlte, war die Sach¬
lage doch auch nicht ungünſtig zu nennen, da ihr
Drang zugleich das Mittel der Rettung aus drohenden
Gefahren darbot; zwar daß der unfreiwillig Gebadete
ausſchwatzen werde, war offenbar nicht zu befürchten,
aber wer konnte bürgen, ob von anderer Seite das
Geheimniß bewahrt bleibe? Ob dem Todtengräber nicht
ein unvorſichtiges Wort entfalle, ob ſich die verſtörte
Dame nicht ſelbſt, ob der Kranke ſich nicht verrathe,
wer wiſſen, wie der andere Arzt, den Erik nicht kannte,
im Gewiſſenskonflikt ſich entſcheiden werde? Aufwühlung
eines Grabes, Vergehen an einem Leichnam, — die
Behörden mußten thätig werden, ein allgemeines Auf¬
ſehen mußte entſtehen und die unheimlichen Folgen
waren nicht zu überſchauen. Beſſer konnte nicht vor¬
gebeugt werden, als wenn man den Mann, auf den
vor Allem das allgemeine Aufſehen ſich werfen mußte,
den Thäter, den Kranken hinweg, weit hinwegſchaffte
— aus den Augen, aus dem Sinn!
„Erik fand ihn, als er nach wenigen Stunden ihn
beſuchte, ruhiger, meiſt ſchlummernd, doch ſtark fiebernd,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/215>, abgerufen am 23.11.2024.
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