Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

zu den Teufelsfratzen gehöre ich -- grausen soll euch
vor mir" -- "Cordelia," sagt Erik, "leg' ihm die
Hand auf die Stirne" -- sie thut es, läßt sie über
meine Locken gleiten, -- da fällt mir König Lear ein
-- träumend, nur halb bewußt, halb kindisch -- er¬
wachend im Arm seines guten Kindes -- hat große
Thorheit, schwere Schuld begangen, viel gelitten, in
Sturmnacht umgewüthet, all' seiner Würde vergessen
in Wahnsinn getobt -- und jetzt gebettet in Kindes¬
liebe, sanft gepflegt, zu ihm geneigt die Gute, die Reine
-- läßt seine armen Locken durch ihre weichen Finger
gleiten --


Und ihre Stimme "sanft, mild und leis, ein köstlich
Ding an Frauen".


Gestern kommt sie mit einem Zeitungsblatt; "Erik
schickt's Ihnen," sagt sie. -- Was? Die Welt in
Flammen? Sturmbrausen von Frankreich herüber?
Deutschland aus dem Schlaf geweht -- Schleswig-
Holstein will frei werden, deutsch --

"Einhart," sagt sie, "Sie sollen leben, es gibt zu
thun!"

Ich Elender, ich hatte nur an mich gedacht --
mein Vaterland vergessen! Hab' Alles verdient --

zu den Teufelsfratzen gehöre ich — grauſen ſoll euch
vor mir“ — „Cordelia,“ ſagt Erik, „leg' ihm die
Hand auf die Stirne“ — ſie thut es, läßt ſie über
meine Locken gleiten, — da fällt mir König Lear ein
— träumend, nur halb bewußt, halb kindiſch — er¬
wachend im Arm ſeines guten Kindes — hat große
Thorheit, ſchwere Schuld begangen, viel gelitten, in
Sturmnacht umgewüthet, all' ſeiner Würde vergeſſen
in Wahnſinn getobt — und jetzt gebettet in Kindes¬
liebe, ſanft gepflegt, zu ihm geneigt die Gute, die Reine
— läßt ſeine armen Locken durch ihre weichen Finger
gleiten —


Und ihre Stimme „ſanft, mild und leis, ein köſtlich
Ding an Frauen“.


Geſtern kommt ſie mit einem Zeitungsblatt; „Erik
ſchickt's Ihnen,“ ſagt ſie. — Was? Die Welt in
Flammen? Sturmbrauſen von Frankreich herüber?
Deutſchland aus dem Schlaf geweht — Schleswig-
Holſtein will frei werden, deutſch —

„Einhart,“ ſagt ſie, „Sie ſollen leben, es gibt zu
thun!“

Ich Elender, ich hatte nur an mich gedacht —
mein Vaterland vergeſſen! Hab' Alles verdient —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0220" n="207"/>
zu den Teufelsfratzen gehöre ich &#x2014; grau&#x017F;en &#x017F;oll euch<lb/>
vor mir&#x201C; &#x2014; &#x201E;Cordelia,&#x201C; &#x017F;agt Erik, &#x201E;leg' ihm die<lb/>
Hand auf die Stirne&#x201C; &#x2014; &#x017F;ie thut es, läßt &#x017F;ie über<lb/>
meine Locken gleiten, &#x2014; da fällt mir König Lear ein<lb/>
&#x2014; träumend, nur halb bewußt, halb kindi&#x017F;ch &#x2014; er¬<lb/>
wachend im Arm &#x017F;eines guten Kindes &#x2014; hat große<lb/>
Thorheit, &#x017F;chwere Schuld begangen, viel gelitten, in<lb/>
Sturmnacht umgewüthet, all' &#x017F;einer Würde verge&#x017F;&#x017F;en<lb/>
in Wahn&#x017F;inn getobt &#x2014; und jetzt gebettet in Kindes¬<lb/>
liebe, &#x017F;anft gepflegt, zu ihm geneigt die Gute, die Reine<lb/>
&#x2014; läßt &#x017F;eine armen Locken durch ihre weichen Finger<lb/>
gleiten &#x2014;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Und ihre Stimme &#x201E;&#x017F;anft, mild und leis, ein kö&#x017F;tlich<lb/>
Ding an Frauen&#x201C;.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Ge&#x017F;tern kommt &#x017F;ie mit einem Zeitungsblatt; &#x201E;Erik<lb/>
&#x017F;chickt's Ihnen,&#x201C; &#x017F;agt &#x017F;ie. &#x2014; Was? Die Welt in<lb/>
Flammen? Sturmbrau&#x017F;en von Frankreich herüber?<lb/>
Deut&#x017F;chland aus dem Schlaf geweht &#x2014; Schleswig-<lb/>
Hol&#x017F;tein will frei werden, deut&#x017F;ch &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Einhart,&#x201C; &#x017F;agt &#x017F;ie, &#x201E;Sie &#x017F;ollen leben, es gibt zu<lb/>
thun!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich Elender, ich hatte nur an mich gedacht &#x2014;<lb/>
mein Vaterland verge&#x017F;&#x017F;en! Hab' Alles verdient &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0220] zu den Teufelsfratzen gehöre ich — grauſen ſoll euch vor mir“ — „Cordelia,“ ſagt Erik, „leg' ihm die Hand auf die Stirne“ — ſie thut es, läßt ſie über meine Locken gleiten, — da fällt mir König Lear ein — träumend, nur halb bewußt, halb kindiſch — er¬ wachend im Arm ſeines guten Kindes — hat große Thorheit, ſchwere Schuld begangen, viel gelitten, in Sturmnacht umgewüthet, all' ſeiner Würde vergeſſen in Wahnſinn getobt — und jetzt gebettet in Kindes¬ liebe, ſanft gepflegt, zu ihm geneigt die Gute, die Reine — läßt ſeine armen Locken durch ihre weichen Finger gleiten — Und ihre Stimme „ſanft, mild und leis, ein köſtlich Ding an Frauen“. Geſtern kommt ſie mit einem Zeitungsblatt; „Erik ſchickt's Ihnen,“ ſagt ſie. — Was? Die Welt in Flammen? Sturmbrauſen von Frankreich herüber? Deutſchland aus dem Schlaf geweht — Schleswig- Holſtein will frei werden, deutſch — „Einhart,“ ſagt ſie, „Sie ſollen leben, es gibt zu thun!“ Ich Elender, ich hatte nur an mich gedacht — mein Vaterland vergeſſen! Hab' Alles verdient —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/220
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/220>, abgerufen am 18.05.2024.