Gleich kindisch ist es, dem Universum das Prädikat schlecht beilegen. Was absolut, was nothwendig ist, steht unendlich über Gut oder Schlecht. Das Uni¬ versum ist, weil es ist, und ist so wie es ist, weil es so ist. Das Prädikat gut oder schlecht ertheilen wir, indem wir unsern Standpunkt über und außer dem Gegenstand nehmen und ihn mit andern Gegenständen vergleichen. Wir können aber aus dem Universum ja nicht hinaus, es gibt kein Universum neben oder über demselben, auf das wir uns stellen und das Universum abschätzen könnten. -- Ich kann mein Vaterland ver¬ lassen und die Welt sehen, ich kann sie auch durch Bücher kennen lernen und ich gewinne so einen Stand¬ punkt über meinem Land und seinen Leuten, zu denen ich selbst gehöre und mit denen ich vorher unkritisch und selbstzufrieden in der Masse dahinschwamm, so daß ich sie nun einer Schätzung, einem Urtheil unter¬ werfen kann. Aber aus dem Universum kann ich nicht fortreisen, kann nicht andere Universa durch Bücher kennen lernen, kann es aus keiner Vogelperspektive sehen. Davon gar nicht zu reden, wie winzig der Theil des Einen und einzigen Alls ist, den ich über¬ sehe. Gibt es nun da neben dem, was wir gut nennen, Vieles, was wir übel nennen, was kann ein ver¬ nünftiger Mensch Anderes dazu sagen, als: ich über¬ sehe zu wenig, um die Summe zu ziehen, und da das Universum nothwendig ist, so wie es ist, so wird
Gleich kindiſch iſt es, dem Univerſum das Prädikat ſchlecht beilegen. Was abſolut, was nothwendig iſt, ſteht unendlich über Gut oder Schlecht. Das Uni¬ verſum iſt, weil es iſt, und iſt ſo wie es iſt, weil es ſo iſt. Das Prädikat gut oder ſchlecht ertheilen wir, indem wir unſern Standpunkt über und außer dem Gegenſtand nehmen und ihn mit andern Gegenſtänden vergleichen. Wir können aber aus dem Univerſum ja nicht hinaus, es gibt kein Univerſum neben oder über demſelben, auf das wir uns ſtellen und das Univerſum abſchätzen könnten. — Ich kann mein Vaterland ver¬ laſſen und die Welt ſehen, ich kann ſie auch durch Bücher kennen lernen und ich gewinne ſo einen Stand¬ punkt über meinem Land und ſeinen Leuten, zu denen ich ſelbſt gehöre und mit denen ich vorher unkritiſch und ſelbſtzufrieden in der Maſſe dahinſchwamm, ſo daß ich ſie nun einer Schätzung, einem Urtheil unter¬ werfen kann. Aber aus dem Univerſum kann ich nicht fortreiſen, kann nicht andere Univerſa durch Bücher kennen lernen, kann es aus keiner Vogelperſpektive ſehen. Davon gar nicht zu reden, wie winzig der Theil des Einen und einzigen Alls iſt, den ich über¬ ſehe. Gibt es nun da neben dem, was wir gut nennen, Vieles, was wir übel nennen, was kann ein ver¬ nünftiger Menſch Anderes dazu ſagen, als: ich über¬ ſehe zu wenig, um die Summe zu ziehen, und da das Univerſum nothwendig iſt, ſo wie es iſt, ſo wird
<TEI><text><body><div><pbfacs="#f0233"n="220"/><p>Gleich kindiſch iſt es, dem Univerſum das Prädikat<lb/>ſchlecht beilegen. Was abſolut, was nothwendig iſt,<lb/>ſteht unendlich über Gut oder Schlecht. Das Uni¬<lb/>
verſum iſt, weil es iſt, und iſt ſo wie es iſt, weil es<lb/>ſo iſt. Das Prädikat gut oder ſchlecht ertheilen wir,<lb/>
indem wir unſern Standpunkt über und außer dem<lb/>
Gegenſtand nehmen und ihn mit andern Gegenſtänden<lb/>
vergleichen. Wir können aber aus dem Univerſum ja<lb/>
nicht hinaus, es gibt kein Univerſum neben oder über<lb/>
demſelben, auf das wir uns ſtellen und das Univerſum<lb/>
abſchätzen könnten. — Ich kann mein Vaterland ver¬<lb/>
laſſen und die Welt ſehen, ich kann ſie auch durch<lb/>
Bücher kennen lernen und ich gewinne ſo einen Stand¬<lb/>
punkt über meinem Land und ſeinen Leuten, zu denen<lb/>
ich ſelbſt gehöre und mit denen ich vorher unkritiſch<lb/>
und ſelbſtzufrieden in der Maſſe dahinſchwamm, ſo<lb/>
daß ich ſie nun einer Schätzung, einem Urtheil unter¬<lb/>
werfen kann. Aber aus dem Univerſum kann ich nicht<lb/>
fortreiſen, kann nicht andere Univerſa durch Bücher<lb/>
kennen lernen, kann es aus keiner Vogelperſpektive<lb/>ſehen. Davon gar nicht zu reden, wie winzig der<lb/>
Theil des Einen und einzigen Alls iſt, den ich über¬<lb/>ſehe. Gibt es nun da neben dem, was wir gut nennen,<lb/>
Vieles, was wir übel nennen, was kann ein ver¬<lb/>
nünftiger Menſch Anderes dazu ſagen, als: ich über¬<lb/>ſehe zu wenig, um die Summe zu ziehen, und da<lb/>
das Univerſum nothwendig iſt, ſo wie es iſt, ſo wird<lb/></p></div></body></text></TEI>
[220/0233]
Gleich kindiſch iſt es, dem Univerſum das Prädikat
ſchlecht beilegen. Was abſolut, was nothwendig iſt,
ſteht unendlich über Gut oder Schlecht. Das Uni¬
verſum iſt, weil es iſt, und iſt ſo wie es iſt, weil es
ſo iſt. Das Prädikat gut oder ſchlecht ertheilen wir,
indem wir unſern Standpunkt über und außer dem
Gegenſtand nehmen und ihn mit andern Gegenſtänden
vergleichen. Wir können aber aus dem Univerſum ja
nicht hinaus, es gibt kein Univerſum neben oder über
demſelben, auf das wir uns ſtellen und das Univerſum
abſchätzen könnten. — Ich kann mein Vaterland ver¬
laſſen und die Welt ſehen, ich kann ſie auch durch
Bücher kennen lernen und ich gewinne ſo einen Stand¬
punkt über meinem Land und ſeinen Leuten, zu denen
ich ſelbſt gehöre und mit denen ich vorher unkritiſch
und ſelbſtzufrieden in der Maſſe dahinſchwamm, ſo
daß ich ſie nun einer Schätzung, einem Urtheil unter¬
werfen kann. Aber aus dem Univerſum kann ich nicht
fortreiſen, kann nicht andere Univerſa durch Bücher
kennen lernen, kann es aus keiner Vogelperſpektive
ſehen. Davon gar nicht zu reden, wie winzig der
Theil des Einen und einzigen Alls iſt, den ich über¬
ſehe. Gibt es nun da neben dem, was wir gut nennen,
Vieles, was wir übel nennen, was kann ein ver¬
nünftiger Menſch Anderes dazu ſagen, als: ich über¬
ſehe zu wenig, um die Summe zu ziehen, und da
das Univerſum nothwendig iſt, ſo wie es iſt, ſo wird
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/233>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.