Nun aber ist die Aufgabe, in dem, was ist, zu unterscheiden, was sich als wesenhaft bewährt und was zwar nothwendig, aber nicht wesenhaft, sondern nur Moment ist, damit Wesenhaftes sein könne. Das ver¬ mögen wir. Wesenhaft ist nicht die Materie, das meint ja auch Schopenhauer nicht. Wesenhaft sind die Gattungsformen. Wesenhaft ist die Wissenschaft. Wesen¬ haft ist die Kunst. Wesenhaft aber auch alle redliche Arbeit. Denn sie ist Arbeit an der sittlichen Weltordnung.
Ob es aber eine solche gibt? Nein, was man so sagt: "es gibt", das nicht. Das "es gibt" ist über¬ haupt, angewandt auf das wahre Sein, das nichts Einzelnes ist, ein Unsinn. "Gäbe" es einen Gott, so wäre er ein Einzelner, also nicht das Absolute. -- Die sittliche Weltordnung ist nicht außer dir. Sie ist nur durch dich. Glaube sie und du hilfst sie -- mit allen Guten -- machen. Da ist der Glaube die Ur¬ sache dessen, woran er glaubt. So ist es mit allem ethischen Glauben: was er glaubt, macht er. Vom Glauben im Sinne der positiven Religion ist hier nicht die Rede, das gehört in ein anderes Kapitel.
So ist es auch mit der Lust. Unser Glaube an Lust macht Lust. Wie kann man also meinen, man
Nun aber iſt die Aufgabe, in dem, was iſt, zu unterſcheiden, was ſich als weſenhaft bewährt und was zwar nothwendig, aber nicht weſenhaft, ſondern nur Moment iſt, damit Weſenhaftes ſein könne. Das ver¬ mögen wir. Weſenhaft iſt nicht die Materie, das meint ja auch Schopenhauer nicht. Weſenhaft ſind die Gattungsformen. Weſenhaft iſt die Wiſſenſchaft. Weſen¬ haft iſt die Kunſt. Weſenhaft aber auch alle redliche Arbeit. Denn ſie iſt Arbeit an der ſittlichen Weltordnung.
Ob es aber eine ſolche gibt? Nein, was man ſo ſagt: „es gibt“, das nicht. Das „es gibt“ iſt über¬ haupt, angewandt auf das wahre Sein, das nichts Einzelnes iſt, ein Unſinn. „Gäbe“ es einen Gott, ſo wäre er ein Einzelner, alſo nicht das Abſolute. — Die ſittliche Weltordnung iſt nicht außer dir. Sie iſt nur durch dich. Glaube ſie und du hilfſt ſie — mit allen Guten — machen. Da iſt der Glaube die Ur¬ ſache deſſen, woran er glaubt. So iſt es mit allem ethiſchen Glauben: was er glaubt, macht er. Vom Glauben im Sinne der poſitiven Religion iſt hier nicht die Rede, das gehört in ein anderes Kapitel.
So iſt es auch mit der Luſt. Unſer Glaube an Luſt macht Luſt. Wie kann man alſo meinen, man
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Nun aber iſt die Aufgabe, in dem, was iſt, zu
unterſcheiden, was ſich als weſenhaft bewährt und was
zwar nothwendig, aber nicht weſenhaft, ſondern nur
Moment iſt, damit Weſenhaftes ſein könne. Das ver¬
mögen wir. Weſenhaft iſt nicht die Materie, das
meint ja auch Schopenhauer nicht. Weſenhaft ſind die
Gattungsformen. Weſenhaft iſt die Wiſſenſchaft. Weſen¬
haft iſt die Kunſt. Weſenhaft aber auch alle redliche
Arbeit. Denn ſie iſt Arbeit an der ſittlichen Weltordnung.
Ob es aber eine ſolche gibt? Nein, was man ſo
ſagt: „es gibt“, das nicht. Das „es gibt“ iſt über¬
haupt, angewandt auf das wahre Sein, das nichts
Einzelnes iſt, ein Unſinn. „Gäbe“ es einen Gott, ſo
wäre er ein Einzelner, alſo nicht das Abſolute. —
Die ſittliche Weltordnung iſt nicht außer dir. Sie iſt
nur durch dich. Glaube ſie und du hilfſt ſie — mit
allen Guten — machen. Da iſt der Glaube die Ur¬
ſache deſſen, woran er glaubt. So iſt es mit allem
ethiſchen Glauben: was er glaubt, macht er. Vom
Glauben im Sinne der poſitiven Religion iſt hier nicht
die Rede, das gehört in ein anderes Kapitel.
So iſt es auch mit der Luſt. Unſer Glaube an
Luſt macht Luſt. Wie kann man alſo meinen, man
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/235>, abgerufen am 24.11.2024.
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