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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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ihm auf alle Weise, daß ich bei einem Gesammtgespräche
betheiligt bin. Ein andermal ebenso auf der Straße
unter Wagengerassel. Und das ist ein im Uebrigen
ganz gebildeter Mensch! -- Aber es spreche Niemand
von wahrer Bildung, der ungebildete Sinne hat!


Einmal wieder bei einem Leichenbegängniß gewesen,
im Zuge gegangen; sehr verdienstvoller Mann begraben.
Es war wieder, als zöge man mit einer wandelnden
Kaffeevisite; man schwatzt, gestikulirt, lacht, man mäßigt
nicht einmal die Stimme. Und es sind lauter Männer
aus den gebildeten Ständen! Also nicht einmal so
lang, nicht einmal, wo es doch gilt, den Ernst des
Todes, die Religion des pietätsvollen Andenkens auch
nur wenigstens der Form nach darzustellen -- auch
das nicht! Könnt ihr denn auch absolut nur Ord¬
nung halten, wenn ihr den Stock seht? Ein Beamter
gieng neben mir, redete mich immer an und begriff
nicht, warum ich ihm keine Antwort gab. Der wird
mich nun auch für ein Ungeheuer halten, für einen
Schweigtyrannen, während man mich da, wo Sprechen
vergönnt ist, für einen Gesprächtyrannen hält.


Auch die besten Todten haben eine Unart, sie
ziehen beim Begräbniß gern die Freunde zu sich hin¬

ihm auf alle Weiſe, daß ich bei einem Geſammtgeſpräche
betheiligt bin. Ein andermal ebenſo auf der Straße
unter Wagengeraſſel. Und das iſt ein im Uebrigen
ganz gebildeter Menſch! — Aber es ſpreche Niemand
von wahrer Bildung, der ungebildete Sinne hat!


Einmal wieder bei einem Leichenbegängniß geweſen,
im Zuge gegangen; ſehr verdienſtvoller Mann begraben.
Es war wieder, als zöge man mit einer wandelnden
Kaffeeviſite; man ſchwatzt, geſtikulirt, lacht, man mäßigt
nicht einmal die Stimme. Und es ſind lauter Männer
aus den gebildeten Ständen! Alſo nicht einmal ſo
lang, nicht einmal, wo es doch gilt, den Ernſt des
Todes, die Religion des pietätsvollen Andenkens auch
nur wenigſtens der Form nach darzuſtellen — auch
das nicht! Könnt ihr denn auch abſolut nur Ord¬
nung halten, wenn ihr den Stock ſeht? Ein Beamter
gieng neben mir, redete mich immer an und begriff
nicht, warum ich ihm keine Antwort gab. Der wird
mich nun auch für ein Ungeheuer halten, für einen
Schweigtyrannen, während man mich da, wo Sprechen
vergönnt iſt, für einen Geſprächtyrannen hält.


Auch die beſten Todten haben eine Unart, ſie
ziehen beim Begräbniß gern die Freunde zu ſich hin¬

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[231/0244] ihm auf alle Weiſe, daß ich bei einem Geſammtgeſpräche betheiligt bin. Ein andermal ebenſo auf der Straße unter Wagengeraſſel. Und das iſt ein im Uebrigen ganz gebildeter Menſch! — Aber es ſpreche Niemand von wahrer Bildung, der ungebildete Sinne hat! Einmal wieder bei einem Leichenbegängniß geweſen, im Zuge gegangen; ſehr verdienſtvoller Mann begraben. Es war wieder, als zöge man mit einer wandelnden Kaffeeviſite; man ſchwatzt, geſtikulirt, lacht, man mäßigt nicht einmal die Stimme. Und es ſind lauter Männer aus den gebildeten Ständen! Alſo nicht einmal ſo lang, nicht einmal, wo es doch gilt, den Ernſt des Todes, die Religion des pietätsvollen Andenkens auch nur wenigſtens der Form nach darzuſtellen — auch das nicht! Könnt ihr denn auch abſolut nur Ord¬ nung halten, wenn ihr den Stock ſeht? Ein Beamter gieng neben mir, redete mich immer an und begriff nicht, warum ich ihm keine Antwort gab. Der wird mich nun auch für ein Ungeheuer halten, für einen Schweigtyrannen, während man mich da, wo Sprechen vergönnt iſt, für einen Geſprächtyrannen hält. Auch die beſten Todten haben eine Unart, ſie ziehen beim Begräbniß gern die Freunde zu ſich hin¬

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/244>, abgerufen am 23.11.2024.