Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

so wird sie vielleicht die Luftdurchströmung wecken;
wird etwa sein, als ob man einen großen Fluß durch¬
leitete. -- Doch gewiß langsam.


Halten sich in ihrer Selbstliebe für besonders ehrlich,
solid, reell -- während es mit der Gewissenhaftigkeit
in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar
besser steht als irgendwo in unserer Zeit. Herrschend
selbst in Städten, lang sogar in der Hauptstadt, lumpiger,
fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von diesen
gefälschten Mauern muß ein Geist der Unsolidität in alle
Geschäfte ausströmen. -- Hören gern: "biedre Schwa¬
ben". Der wahre Biedermann wird aber die Bieder¬
keit haben, dieß Prädikat nicht anzunehmen, weil es
klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären.


Das viele Talent sichtbar in viel Humor. Aber
dieser Humor öfters in's Kleine, eng Lokale verkräuselt.
Lach- und Spottneigung; gefährlich, kehrt sich leicht gegen
wahres wie gegen falsches Pathos. Spottlust dadurch
etwas entschuldigt, daß man sie selbst viel verspottet
und doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt ver¬
spottet man oft ungerecht; unter all' seiner Unschönheit
ist doch ein feiner Sprachsinn verborgen, ein Ohr, ein
Nerv von viel Schärfe für Sprachfehler moderner

ſo wird ſie vielleicht die Luftdurchſtrömung wecken;
wird etwa ſein, als ob man einen großen Fluß durch¬
leitete. — Doch gewiß langſam.


Halten ſich in ihrer Selbſtliebe für beſonders ehrlich,
ſolid, reell — während es mit der Gewiſſenhaftigkeit
in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar
beſſer ſteht als irgendwo in unſerer Zeit. Herrſchend
ſelbſt in Städten, lang ſogar in der Hauptſtadt, lumpiger,
fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von dieſen
gefälſchten Mauern muß ein Geiſt der Unſolidität in alle
Geſchäfte ausſtrömen. — Hören gern: „biedre Schwa¬
ben“. Der wahre Biedermann wird aber die Bieder¬
keit haben, dieß Prädikat nicht anzunehmen, weil es
klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären.


Das viele Talent ſichtbar in viel Humor. Aber
dieſer Humor öfters in's Kleine, eng Lokale verkräuſelt.
Lach- und Spottneigung; gefährlich, kehrt ſich leicht gegen
wahres wie gegen falſches Pathos. Spottluſt dadurch
etwas entſchuldigt, daß man ſie ſelbſt viel verſpottet
und doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt ver¬
ſpottet man oft ungerecht; unter all' ſeiner Unſchönheit
iſt doch ein feiner Sprachſinn verborgen, ein Ohr, ein
Nerv von viel Schärfe für Sprachfehler moderner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0257" n="244"/>
&#x017F;o wird &#x017F;ie vielleicht die Luftdurch&#x017F;trömung wecken;<lb/>
wird etwa &#x017F;ein, als ob man einen großen Fluß durch¬<lb/>
leitete. &#x2014; Doch gewiß lang&#x017F;am.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Halten &#x017F;ich in ihrer Selb&#x017F;tliebe für be&#x017F;onders ehrlich,<lb/>
&#x017F;olid, reell &#x2014; während es mit der Gewi&#x017F;&#x017F;enhaftigkeit<lb/>
in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;teht als irgendwo in un&#x017F;erer Zeit. Herr&#x017F;chend<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in Städten, lang &#x017F;ogar in der Haupt&#x017F;tadt, lumpiger,<lb/>
fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von die&#x017F;en<lb/>
gefäl&#x017F;chten Mauern muß ein Gei&#x017F;t der Un&#x017F;olidität in alle<lb/>
Ge&#x017F;chäfte aus&#x017F;trömen. &#x2014; Hören gern: &#x201E;biedre Schwa¬<lb/>
ben&#x201C;. Der wahre Biedermann wird aber die Bieder¬<lb/>
keit haben, dieß Prädikat nicht anzunehmen, weil es<lb/>
klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Das viele Talent &#x017F;ichtbar in viel Humor. Aber<lb/>
die&#x017F;er Humor öfters in's Kleine, eng Lokale verkräu&#x017F;elt.<lb/>
Lach- und Spottneigung; gefährlich, kehrt &#x017F;ich leicht gegen<lb/>
wahres wie gegen fal&#x017F;ches Pathos. Spottlu&#x017F;t dadurch<lb/>
etwas ent&#x017F;chuldigt, daß man &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t viel ver&#x017F;pottet<lb/>
und doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt ver¬<lb/>
&#x017F;pottet man oft ungerecht; unter all' &#x017F;einer Un&#x017F;chönheit<lb/>
i&#x017F;t doch ein feiner Sprach&#x017F;inn verborgen, ein Ohr, ein<lb/>
Nerv von viel Schärfe für Sprachfehler moderner<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0257] ſo wird ſie vielleicht die Luftdurchſtrömung wecken; wird etwa ſein, als ob man einen großen Fluß durch¬ leitete. — Doch gewiß langſam. Halten ſich in ihrer Selbſtliebe für beſonders ehrlich, ſolid, reell — während es mit der Gewiſſenhaftigkeit in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar beſſer ſteht als irgendwo in unſerer Zeit. Herrſchend ſelbſt in Städten, lang ſogar in der Hauptſtadt, lumpiger, fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von dieſen gefälſchten Mauern muß ein Geiſt der Unſolidität in alle Geſchäfte ausſtrömen. — Hören gern: „biedre Schwa¬ ben“. Der wahre Biedermann wird aber die Bieder¬ keit haben, dieß Prädikat nicht anzunehmen, weil es klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären. Das viele Talent ſichtbar in viel Humor. Aber dieſer Humor öfters in's Kleine, eng Lokale verkräuſelt. Lach- und Spottneigung; gefährlich, kehrt ſich leicht gegen wahres wie gegen falſches Pathos. Spottluſt dadurch etwas entſchuldigt, daß man ſie ſelbſt viel verſpottet und doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt ver¬ ſpottet man oft ungerecht; unter all' ſeiner Unſchönheit iſt doch ein feiner Sprachſinn verborgen, ein Ohr, ein Nerv von viel Schärfe für Sprachfehler moderner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/257
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/257>, abgerufen am 24.11.2024.