sie überließ sich der befreienden Erschütterung, während ihr noch die hellen Thränen in den Augen standen. Und so lachten zwei redlich tiefbetrübte Menschen ein Duett.
Der Ernst stellte sich schnell genug wieder ein und sie erzählte:
"Herr Einhart kam im Frühjahr 1866 von seiner zweiten Reise nach Italien zurück. Die erste hat er im Jahre 1860 gemacht. Er hatte Italien früher sehen wollen; ein Jahr Urlaub von 1847 auf 1848 war, das weiß ich, zuerst für Norwegen, dann für Italien bestimmt. Damals muß ihn nicht nur ein Nervenfieber aufgehalten haben, das ihn dort heim¬ suchte, dort spielt ein Geheimniß, und statt über die Alpen gieng er in den Kampf für Schleswig-Holstein. Genug, es gelang ihm zwölf Jahre später, das er¬ sehnte Land endlich zu sehen. Er kam sehr erfrischt und erheitert zurück, mit ganz besonderer Empfindung sprach er von den umbrischen Bergstädten, hielt aber ein paarmal auffallend schnell inne, als ihn die Schilderung der Madonnen der alten sienesischen Mei¬ ster auf den dortigen Frauentypus zu sprechen brachte. Das neue größere Amt, das er um dieselbe Zeit an¬ getreten, nahm nun seine ganze, stets willige Arbeits¬ kraft in Anspruch. Lassen Sie mich für jetzt schweigen von den Dingen, die nachher kamen, von seinem Sturz, von der Stimmung, in welcher er die zweite Reise nach Italien unternahm, auf welcher er im Hin¬
ſie überließ ſich der befreienden Erſchütterung, während ihr noch die hellen Thränen in den Augen ſtanden. Und ſo lachten zwei redlich tiefbetrübte Menſchen ein Duett.
Der Ernſt ſtellte ſich ſchnell genug wieder ein und ſie erzählte:
„Herr Einhart kam im Frühjahr 1866 von ſeiner zweiten Reiſe nach Italien zurück. Die erſte hat er im Jahre 1860 gemacht. Er hatte Italien früher ſehen wollen; ein Jahr Urlaub von 1847 auf 1848 war, das weiß ich, zuerſt für Norwegen, dann für Italien beſtimmt. Damals muß ihn nicht nur ein Nervenfieber aufgehalten haben, das ihn dort heim¬ ſuchte, dort ſpielt ein Geheimniß, und ſtatt über die Alpen gieng er in den Kampf für Schleswig-Holſtein. Genug, es gelang ihm zwölf Jahre ſpäter, das er¬ ſehnte Land endlich zu ſehen. Er kam ſehr erfriſcht und erheitert zurück, mit ganz beſonderer Empfindung ſprach er von den umbriſchen Bergſtädten, hielt aber ein paarmal auffallend ſchnell inne, als ihn die Schilderung der Madonnen der alten ſieneſiſchen Mei¬ ſter auf den dortigen Frauentypus zu ſprechen brachte. Das neue größere Amt, das er um dieſelbe Zeit an¬ getreten, nahm nun ſeine ganze, ſtets willige Arbeits¬ kraft in Anſpruch. Laſſen Sie mich für jetzt ſchweigen von den Dingen, die nachher kamen, von ſeinem Sturz, von der Stimmung, in welcher er die zweite Reiſe nach Italien unternahm, auf welcher er im Hin¬
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ſie überließ ſich der befreienden Erſchütterung, während
ihr noch die hellen Thränen in den Augen ſtanden. Und
ſo lachten zwei redlich tiefbetrübte Menſchen ein Duett.
Der Ernſt ſtellte ſich ſchnell genug wieder ein und
ſie erzählte:
„Herr Einhart kam im Frühjahr 1866 von ſeiner
zweiten Reiſe nach Italien zurück. Die erſte hat er
im Jahre 1860 gemacht. Er hatte Italien früher
ſehen wollen; ein Jahr Urlaub von 1847 auf 1848
war, das weiß ich, zuerſt für Norwegen, dann für
Italien beſtimmt. Damals muß ihn nicht nur ein
Nervenfieber aufgehalten haben, das ihn dort heim¬
ſuchte, dort ſpielt ein Geheimniß, und ſtatt über die
Alpen gieng er in den Kampf für Schleswig-Holſtein.
Genug, es gelang ihm zwölf Jahre ſpäter, das er¬
ſehnte Land endlich zu ſehen. Er kam ſehr erfriſcht
und erheitert zurück, mit ganz beſonderer Empfindung
ſprach er von den umbriſchen Bergſtädten, hielt aber
ein paarmal auffallend ſchnell inne, als ihn die
Schilderung der Madonnen der alten ſieneſiſchen Mei¬
ſter auf den dortigen Frauentypus zu ſprechen brachte.
Das neue größere Amt, das er um dieſelbe Zeit an¬
getreten, nahm nun ſeine ganze, ſtets willige Arbeits¬
kraft in Anſpruch. Laſſen Sie mich für jetzt ſchweigen
von den Dingen, die nachher kamen, von ſeinem
Sturz, von der Stimmung, in welcher er die zweite
Reiſe nach Italien unternahm, auf welcher er im Hin¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/26>, abgerufen am 21.11.2024.
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