Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich unterbrach sie mit der Frage, ob sie ihn auch
schwer krank gesehen und wie er dann sich gehalten habe.

"O, wie ein Lamm," war die Antwort; "kein
Wort der Klage. Zweimal hab' ich's erlebt: einmal
Gesichtsschmerz, glücklicherweise vorübergehend; man
hörte kaum ein unterdrücktes Stöhnen; einmal eine
Luftröhrentzündung; dieses Mal sprach man ihm von
möglichem Tode und er nahm es ganz unbewegt auf.
Nur zu beklagen war's, daß er fast alle Pflege abwies.
Ein Kranker sei ein Lump, stieß er aus, der müsse
bescheiden sein und sich hübsch verbergen. Uebrigens
sagte er auch gern, wenn man seine Geduld rühmte:
,Das Moralische versteht sich immer von selbst. 'Um
jene Zeit nahmen auch seine sehr guten Augen etwas
ab, er wurde fernsichtig, mußte zum Lesen eine Brille,
zu augenblicklicher Aushülfe eine Lorgnette tragen.
Nun kam das häufige Suchen, das ewige Putzen,
wobei er jedesmal über die Heimtücke der Stangen
wetterte, daß sie hindernd über die Gläser hereinfielen,
und, was noch schlimmer war: die Schnur, woran
er das Gläschen trug, that ihm gar so viel Schaber¬
nack, fieng sich an einem Westenknopf, schob sich in
die Brusttasche mit ein, wenn er sein Notizbuch hin¬
einstecken wollte, so daß es sich staute, und das immer
am liebsten, wenn die Sache Eile hatte. Herr meines
Lebens, ist er da wild geworden!"

"Kenne, kenne, weiß," sagte ich etwas ungeduldig.

Ich unterbrach ſie mit der Frage, ob ſie ihn auch
ſchwer krank geſehen und wie er dann ſich gehalten habe.

„O, wie ein Lamm,“ war die Antwort; „kein
Wort der Klage. Zweimal hab' ich's erlebt: einmal
Geſichtsſchmerz, glücklicherweiſe vorübergehend; man
hörte kaum ein unterdrücktes Stöhnen; einmal eine
Luftröhrentzündung; dieſes Mal ſprach man ihm von
möglichem Tode und er nahm es ganz unbewegt auf.
Nur zu beklagen war's, daß er faſt alle Pflege abwies.
Ein Kranker ſei ein Lump, ſtieß er aus, der müſſe
beſcheiden ſein und ſich hübſch verbergen. Uebrigens
ſagte er auch gern, wenn man ſeine Geduld rühmte:
‚Das Moraliſche verſteht ſich immer von ſelbſt. 'Um
jene Zeit nahmen auch ſeine ſehr guten Augen etwas
ab, er wurde fernſichtig, mußte zum Leſen eine Brille,
zu augenblicklicher Aushülfe eine Lorgnette tragen.
Nun kam das häufige Suchen, das ewige Putzen,
wobei er jedesmal über die Heimtücke der Stangen
wetterte, daß ſie hindernd über die Gläſer hereinfielen,
und, was noch ſchlimmer war: die Schnur, woran
er das Gläschen trug, that ihm gar ſo viel Schaber¬
nack, fieng ſich an einem Weſtenknopf, ſchob ſich in
die Bruſttaſche mit ein, wenn er ſein Notizbuch hin¬
einſtecken wollte, ſo daß es ſich ſtaute, und das immer
am liebſten, wenn die Sache Eile hatte. Herr meines
Lebens, iſt er da wild geworden!“

„Kenne, kenne, weiß,“ ſagte ich etwas ungeduldig.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0028" n="15"/>
      <p>Ich unterbrach &#x017F;ie mit der Frage, ob &#x017F;ie ihn auch<lb/>
&#x017F;chwer krank ge&#x017F;ehen und wie er dann &#x017F;ich gehalten habe.</p><lb/>
      <p>&#x201E;O, wie ein Lamm,&#x201C; war die Antwort; &#x201E;kein<lb/>
Wort der Klage. Zweimal hab' ich's erlebt: einmal<lb/>
Ge&#x017F;ichts&#x017F;chmerz, glücklicherwei&#x017F;e vorübergehend; man<lb/>
hörte kaum ein unterdrücktes Stöhnen; einmal eine<lb/>
Luftröhrentzündung; die&#x017F;es Mal &#x017F;prach man ihm von<lb/>
möglichem Tode und er nahm es ganz unbewegt auf.<lb/>
Nur zu beklagen war's, daß er fa&#x017F;t alle Pflege abwies.<lb/>
Ein Kranker &#x017F;ei ein Lump, &#x017F;tieß er aus, der mü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
be&#x017F;cheiden &#x017F;ein und &#x017F;ich hüb&#x017F;ch verbergen. Uebrigens<lb/>
&#x017F;agte er auch gern, wenn man &#x017F;eine Geduld rühmte:<lb/>
&#x201A;Das Morali&#x017F;che ver&#x017F;teht &#x017F;ich immer von &#x017F;elb&#x017F;t. 'Um<lb/>
jene Zeit nahmen auch &#x017F;eine &#x017F;ehr guten Augen etwas<lb/>
ab, er wurde fern&#x017F;ichtig, mußte zum Le&#x017F;en eine Brille,<lb/>
zu augenblicklicher Aushülfe eine Lorgnette tragen.<lb/>
Nun kam das häufige Suchen, das ewige Putzen,<lb/>
wobei er jedesmal über die Heimtücke der Stangen<lb/>
wetterte, daß &#x017F;ie hindernd über die Glä&#x017F;er hereinfielen,<lb/>
und, was noch &#x017F;chlimmer war: die Schnur, woran<lb/>
er das Gläschen trug, that ihm gar &#x017F;o viel Schaber¬<lb/>
nack, fieng &#x017F;ich an einem We&#x017F;tenknopf, &#x017F;chob &#x017F;ich in<lb/>
die Bru&#x017F;tta&#x017F;che mit ein, wenn er &#x017F;ein Notizbuch hin¬<lb/>
ein&#x017F;tecken wollte, &#x017F;o daß es &#x017F;ich &#x017F;taute, und das immer<lb/>
am lieb&#x017F;ten, wenn die Sache Eile hatte. Herr meines<lb/>
Lebens, i&#x017F;t er da wild geworden!&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Kenne, kenne, weiß,&#x201C; &#x017F;agte ich etwas ungeduldig.</p><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0028] Ich unterbrach ſie mit der Frage, ob ſie ihn auch ſchwer krank geſehen und wie er dann ſich gehalten habe. „O, wie ein Lamm,“ war die Antwort; „kein Wort der Klage. Zweimal hab' ich's erlebt: einmal Geſichtsſchmerz, glücklicherweiſe vorübergehend; man hörte kaum ein unterdrücktes Stöhnen; einmal eine Luftröhrentzündung; dieſes Mal ſprach man ihm von möglichem Tode und er nahm es ganz unbewegt auf. Nur zu beklagen war's, daß er faſt alle Pflege abwies. Ein Kranker ſei ein Lump, ſtieß er aus, der müſſe beſcheiden ſein und ſich hübſch verbergen. Uebrigens ſagte er auch gern, wenn man ſeine Geduld rühmte: ‚Das Moraliſche verſteht ſich immer von ſelbſt. 'Um jene Zeit nahmen auch ſeine ſehr guten Augen etwas ab, er wurde fernſichtig, mußte zum Leſen eine Brille, zu augenblicklicher Aushülfe eine Lorgnette tragen. Nun kam das häufige Suchen, das ewige Putzen, wobei er jedesmal über die Heimtücke der Stangen wetterte, daß ſie hindernd über die Gläſer hereinfielen, und, was noch ſchlimmer war: die Schnur, woran er das Gläschen trug, that ihm gar ſo viel Schaber¬ nack, fieng ſich an einem Weſtenknopf, ſchob ſich in die Bruſttaſche mit ein, wenn er ſein Notizbuch hin¬ einſtecken wollte, ſo daß es ſich ſtaute, und das immer am liebſten, wenn die Sache Eile hatte. Herr meines Lebens, iſt er da wild geworden!“ „Kenne, kenne, weiß,“ ſagte ich etwas ungeduldig.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/28
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/28>, abgerufen am 21.11.2024.