freilich würde er Ja sagen! Denn unser Satz nimmt an, er lebe, ehe er lebt, sonst könnte man ihn ja nicht fragen. Dann hat er ja aber das Leben schon ver¬ schmeckt, schon sich angewöhnt, und diesem Reiz wider¬ stehe der Teufel!
Wen der Gedanke unglücklich macht, nach dem Tode nicht fortzuleben, der müßte eigentlich an die logische Konsequenz erinnert werden. Es ist doch Niemand unglücklich darüber, daß er einmal erst an¬ gefangen hat, zu leben, daß er vor seiner Geburt nicht lebte; ebensowenig sollte er darüber unglücklich sein, daß er einmal aufhören wird, zu leben. Frei¬ lich, da ist ein großer Unterschied: in der Zwischenzeit hat er sich das Leben angewöhnt und das schmeckt eben ungeheuer nach mehr, mehr! Wohl, aber dennoch steht jene Logik fest, unwiderlegbar, mathematisch exakt.
"Süßes Leben! Schöne, freundliche Gewohnheit des Daseins!" So über die Straße gehen; da kommt ein alter Kamerad gestiegen. "Ei, grüß' dich Gott! Was machst auch? Wie geht's? Komm' da herein, wir trinken ein Gläschen!" -- Ja, daß das einmal auf¬ hören muß, lernt sich nicht leicht.
freilich würde er Ja ſagen! Denn unſer Satz nimmt an, er lebe, ehe er lebt, ſonſt könnte man ihn ja nicht fragen. Dann hat er ja aber das Leben ſchon ver¬ ſchmeckt, ſchon ſich angewöhnt, und dieſem Reiz wider¬ ſtehe der Teufel!
Wen der Gedanke unglücklich macht, nach dem Tode nicht fortzuleben, der müßte eigentlich an die logiſche Konſequenz erinnert werden. Es iſt doch Niemand unglücklich darüber, daß er einmal erſt an¬ gefangen hat, zu leben, daß er vor ſeiner Geburt nicht lebte; ebenſowenig ſollte er darüber unglücklich ſein, daß er einmal aufhören wird, zu leben. Frei¬ lich, da iſt ein großer Unterſchied: in der Zwiſchenzeit hat er ſich das Leben angewöhnt und das ſchmeckt eben ungeheuer nach mehr, mehr! Wohl, aber dennoch ſteht jene Logik feſt, unwiderlegbar, mathematiſch exakt.
„Süßes Leben! Schöne, freundliche Gewohnheit des Daſeins!“ So über die Straße gehen; da kommt ein alter Kamerad geſtiegen. „Ei, grüß' dich Gott! Was machſt auch? Wie geht's? Komm' da herein, wir trinken ein Gläschen!“ — Ja, daß das einmal auf¬ hören muß, lernt ſich nicht leicht.
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freilich würde er Ja ſagen! Denn unſer Satz nimmt
an, er lebe, ehe er lebt, ſonſt könnte man ihn ja nicht
fragen. Dann hat er ja aber das Leben ſchon ver¬
ſchmeckt, ſchon ſich angewöhnt, und dieſem Reiz wider¬
ſtehe der Teufel!
Wen der Gedanke unglücklich macht, nach dem
Tode nicht fortzuleben, der müßte eigentlich an die
logiſche Konſequenz erinnert werden. Es iſt doch
Niemand unglücklich darüber, daß er einmal erſt an¬
gefangen hat, zu leben, daß er vor ſeiner Geburt
nicht lebte; ebenſowenig ſollte er darüber unglücklich
ſein, daß er einmal aufhören wird, zu leben. Frei¬
lich, da iſt ein großer Unterſchied: in der Zwiſchenzeit
hat er ſich das Leben angewöhnt und das ſchmeckt
eben ungeheuer nach mehr, mehr! Wohl, aber dennoch
ſteht jene Logik feſt, unwiderlegbar, mathematiſch exakt.
„Süßes Leben! Schöne, freundliche Gewohnheit
des Daſeins!“ So über die Straße gehen; da kommt
ein alter Kamerad geſtiegen. „Ei, grüß' dich Gott!
Was machſt auch? Wie geht's? Komm' da herein, wir
trinken ein Gläschen!“ — Ja, daß das einmal auf¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/296>, abgerufen am 24.11.2024.
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