Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

schäme, statt mich für ihn zu schämen; mir ist, als
hätte ich das Unrecht ihm gethan. Anders, wenn es
in meiner Macht liegt, ihn zu strafen; ist dieß voll¬
zogen, so bin ich wieder leicht und frei und verzeihe
mir, will sagen: ihm, gern und ganz das Verübte.
Denn ich strafe eigentlich ungern, wiewohl scharf.


Briefe ohne besondern Inhalt lasse ich nun Frau
Hedwig ganz selber komponiren und unterzeiche nur.
Aber solche, die ich selbst abfassen muß, da ist eben
die alte Noth. O, wie schwer ist ein Brief! Gerade
auch an Freunde! -- Man meint: da darfst du dich
ja gehen lassen, es ist ja doch fast wie gesprochen, ist
ja kein Aufsatz, kein Amtsschreiben. Aber was Schwarz
auf Weiß dasteht, ist eben ein ander Ding als das
Gesprochene: hier ist der Ton der Stimme, Blick,
Mienenspiel dabei und bringt zu einem scharfen Wort,
einem stark gesalzenen Spaß die erklärende, versöhnende
Begleitung, während die schwarzen Haken auf dem
Papier abstrakt dastehen und am Leser herumkratzen.
Das mag der Teufel lernen, sich gehen lassen und
zugleich nicht gehen lassen, einen Besuch machen in
Hemdärmeln und doch im wohlgebürsteten und ge¬
knöpften Rock! -- Zehnmal lieber ein neues Polizei¬
gesetz verfassen oder hundert Paragraphen eines philo¬
sophischen Lehrbuchs in Lapidarstyl! Ich schreibe auch

ſchäme, ſtatt mich für ihn zu ſchämen; mir iſt, als
hätte ich das Unrecht ihm gethan. Anders, wenn es
in meiner Macht liegt, ihn zu ſtrafen; iſt dieß voll¬
zogen, ſo bin ich wieder leicht und frei und verzeihe
mir, will ſagen: ihm, gern und ganz das Verübte.
Denn ich ſtrafe eigentlich ungern, wiewohl ſcharf.


Briefe ohne beſondern Inhalt laſſe ich nun Frau
Hedwig ganz ſelber komponiren und unterzeiche nur.
Aber ſolche, die ich ſelbſt abfaſſen muß, da iſt eben
die alte Noth. O, wie ſchwer iſt ein Brief! Gerade
auch an Freunde! — Man meint: da darfſt du dich
ja gehen laſſen, es iſt ja doch faſt wie geſprochen, iſt
ja kein Aufſatz, kein Amtsſchreiben. Aber was Schwarz
auf Weiß daſteht, iſt eben ein ander Ding als das
Geſprochene: hier iſt der Ton der Stimme, Blick,
Mienenſpiel dabei und bringt zu einem ſcharfen Wort,
einem ſtark geſalzenen Spaß die erklärende, verſöhnende
Begleitung, während die ſchwarzen Haken auf dem
Papier abſtrakt daſtehen und am Leſer herumkratzen.
Das mag der Teufel lernen, ſich gehen laſſen und
zugleich nicht gehen laſſen, einen Beſuch machen in
Hemdärmeln und doch im wohlgebürſteten und ge¬
knöpften Rock! — Zehnmal lieber ein neues Polizei¬
geſetz verfaſſen oder hundert Paragraphen eines philo¬
ſophiſchen Lehrbuchs in Lapidarſtyl! Ich ſchreibe auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0316" n="303"/>
&#x017F;chäme, &#x017F;tatt mich <hi rendition="#g">für</hi> ihn zu &#x017F;chämen; mir i&#x017F;t, als<lb/>
hätte <hi rendition="#g">ich</hi> das Unrecht <hi rendition="#g">ihm</hi> gethan. Anders, wenn es<lb/>
in meiner Macht liegt, ihn zu &#x017F;trafen; i&#x017F;t dieß voll¬<lb/>
zogen, &#x017F;o bin ich wieder leicht und frei und verzeihe<lb/>
mir, will &#x017F;agen: ihm, gern und ganz das Verübte.<lb/>
Denn ich &#x017F;trafe eigentlich ungern, wiewohl &#x017F;charf.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Briefe ohne be&#x017F;ondern Inhalt la&#x017F;&#x017F;e ich nun Frau<lb/>
Hedwig ganz &#x017F;elber komponiren und unterzeiche nur.<lb/>
Aber &#x017F;olche, die ich &#x017F;elb&#x017F;t abfa&#x017F;&#x017F;en muß, da i&#x017F;t eben<lb/>
die alte Noth. O, wie &#x017F;chwer i&#x017F;t ein Brief! Gerade<lb/>
auch an Freunde! &#x2014; Man meint: da darf&#x017F;t du dich<lb/>
ja gehen la&#x017F;&#x017F;en, es i&#x017F;t ja doch fa&#x017F;t wie ge&#x017F;prochen, i&#x017F;t<lb/>
ja kein Auf&#x017F;atz, kein Amts&#x017F;chreiben. Aber was Schwarz<lb/>
auf Weiß da&#x017F;teht, i&#x017F;t eben ein ander Ding als das<lb/>
Ge&#x017F;prochene: hier i&#x017F;t der Ton der Stimme, Blick,<lb/>
Mienen&#x017F;piel dabei und bringt zu einem &#x017F;charfen Wort,<lb/>
einem &#x017F;tark ge&#x017F;alzenen Spaß die erklärende, ver&#x017F;öhnende<lb/>
Begleitung, während die &#x017F;chwarzen Haken auf dem<lb/>
Papier ab&#x017F;trakt da&#x017F;tehen und am Le&#x017F;er herumkratzen.<lb/>
Das mag der Teufel lernen, &#x017F;ich gehen la&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
zugleich nicht gehen la&#x017F;&#x017F;en, einen Be&#x017F;uch machen in<lb/>
Hemdärmeln und doch im wohlgebür&#x017F;teten und ge¬<lb/>
knöpften Rock! &#x2014; Zehnmal lieber ein neues Polizei¬<lb/>
ge&#x017F;etz verfa&#x017F;&#x017F;en oder hundert Paragraphen eines philo¬<lb/>
&#x017F;ophi&#x017F;chen Lehrbuchs in Lapidar&#x017F;tyl! Ich &#x017F;chreibe auch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303/0316] ſchäme, ſtatt mich für ihn zu ſchämen; mir iſt, als hätte ich das Unrecht ihm gethan. Anders, wenn es in meiner Macht liegt, ihn zu ſtrafen; iſt dieß voll¬ zogen, ſo bin ich wieder leicht und frei und verzeihe mir, will ſagen: ihm, gern und ganz das Verübte. Denn ich ſtrafe eigentlich ungern, wiewohl ſcharf. Briefe ohne beſondern Inhalt laſſe ich nun Frau Hedwig ganz ſelber komponiren und unterzeiche nur. Aber ſolche, die ich ſelbſt abfaſſen muß, da iſt eben die alte Noth. O, wie ſchwer iſt ein Brief! Gerade auch an Freunde! — Man meint: da darfſt du dich ja gehen laſſen, es iſt ja doch faſt wie geſprochen, iſt ja kein Aufſatz, kein Amtsſchreiben. Aber was Schwarz auf Weiß daſteht, iſt eben ein ander Ding als das Geſprochene: hier iſt der Ton der Stimme, Blick, Mienenſpiel dabei und bringt zu einem ſcharfen Wort, einem ſtark geſalzenen Spaß die erklärende, verſöhnende Begleitung, während die ſchwarzen Haken auf dem Papier abſtrakt daſtehen und am Leſer herumkratzen. Das mag der Teufel lernen, ſich gehen laſſen und zugleich nicht gehen laſſen, einen Beſuch machen in Hemdärmeln und doch im wohlgebürſteten und ge¬ knöpften Rock! — Zehnmal lieber ein neues Polizei¬ geſetz verfaſſen oder hundert Paragraphen eines philo¬ ſophiſchen Lehrbuchs in Lapidarſtyl! Ich ſchreibe auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/316
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/316>, abgerufen am 24.11.2024.