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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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so bissig gegen mich ausfuhr, nicht gefaßt war, ihm
die gehörige Antwort zu geben. Wenn ich unvor¬
bereitet mit scharfem Wort angegriffen werde, geht mir
eine türkische Musik im Kopfe los, alles Blut steigt
in's Hirn, die rechte Erwiderung fällt mir ein, wenn
der Mensch fort ist, und wird dann zu einer vortrefflichen
Rede komponirt. So bin ich wehrlos, aber darum
darf ich nicht ehrlos sein. Etwas muß doch geschehen
gegen den, der mich überfallen hat, als mein Gewehr un¬
geladen an der Wand hieng, ich meide ihn, ich spreche
womöglich nie mehr mit ihm. Blind, wie die Menschen
in ihrer Bosheit sind, weiß ein Solcher dann gewöhn¬
lich gar nicht mehr, was er mir angethan hat und
warum ich mit ihm gebrochen. Wird es ihm kund,
so meint er, ich sei ein Trutzer, ein Nachträger, wäh¬
rend ich im Grunde doch mir selbst eine Buße auf¬
lege: ich strafe mich für meinen erbärmlichen esprit
de l'escalier
dadurch, daß ich mir die Entbehrung
eines Umgangs auflege, der Werth für mich hatte,
worin ich aber jeden Tag unsicher bin, ob ich nicht
auf's Neue in den Fall komme, in der Blöße meiner
Wehrlosigkeit dazustehen. -- Es ist sehr fatal. Aber
macht' ich's nicht so, die Menschen würden am Ende
Holz auf mir spalten.


Hat mir Jemand Unrecht gethan, so passirt mir
oft und leicht die Verwechslung, daß ich mich vor ihm

ſo biſſig gegen mich ausfuhr, nicht gefaßt war, ihm
die gehörige Antwort zu geben. Wenn ich unvor¬
bereitet mit ſcharfem Wort angegriffen werde, geht mir
eine türkiſche Muſik im Kopfe los, alles Blut ſteigt
in's Hirn, die rechte Erwiderung fällt mir ein, wenn
der Menſch fort iſt, und wird dann zu einer vortrefflichen
Rede komponirt. So bin ich wehrlos, aber darum
darf ich nicht ehrlos ſein. Etwas muß doch geſchehen
gegen den, der mich überfallen hat, als mein Gewehr un¬
geladen an der Wand hieng, ich meide ihn, ich ſpreche
womöglich nie mehr mit ihm. Blind, wie die Menſchen
in ihrer Bosheit ſind, weiß ein Solcher dann gewöhn¬
lich gar nicht mehr, was er mir angethan hat und
warum ich mit ihm gebrochen. Wird es ihm kund,
ſo meint er, ich ſei ein Trutzer, ein Nachträger, wäh¬
rend ich im Grunde doch mir ſelbſt eine Buße auf¬
lege: ich ſtrafe mich für meinen erbärmlichen esprit
de l'escalier
dadurch, daß ich mir die Entbehrung
eines Umgangs auflege, der Werth für mich hatte,
worin ich aber jeden Tag unſicher bin, ob ich nicht
auf's Neue in den Fall komme, in der Blöße meiner
Wehrloſigkeit dazuſtehen. — Es iſt ſehr fatal. Aber
macht' ich's nicht ſo, die Menſchen würden am Ende
Holz auf mir ſpalten.


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[302/0315] ſo biſſig gegen mich ausfuhr, nicht gefaßt war, ihm die gehörige Antwort zu geben. Wenn ich unvor¬ bereitet mit ſcharfem Wort angegriffen werde, geht mir eine türkiſche Muſik im Kopfe los, alles Blut ſteigt in's Hirn, die rechte Erwiderung fällt mir ein, wenn der Menſch fort iſt, und wird dann zu einer vortrefflichen Rede komponirt. So bin ich wehrlos, aber darum darf ich nicht ehrlos ſein. Etwas muß doch geſchehen gegen den, der mich überfallen hat, als mein Gewehr un¬ geladen an der Wand hieng, ich meide ihn, ich ſpreche womöglich nie mehr mit ihm. Blind, wie die Menſchen in ihrer Bosheit ſind, weiß ein Solcher dann gewöhn¬ lich gar nicht mehr, was er mir angethan hat und warum ich mit ihm gebrochen. Wird es ihm kund, ſo meint er, ich ſei ein Trutzer, ein Nachträger, wäh¬ rend ich im Grunde doch mir ſelbſt eine Buße auf¬ lege: ich ſtrafe mich für meinen erbärmlichen esprit de l'escalier dadurch, daß ich mir die Entbehrung eines Umgangs auflege, der Werth für mich hatte, worin ich aber jeden Tag unſicher bin, ob ich nicht auf's Neue in den Fall komme, in der Blöße meiner Wehrloſigkeit dazuſtehen. — Es iſt ſehr fatal. Aber macht' ich's nicht ſo, die Menſchen würden am Ende Holz auf mir ſpalten. Hat mir Jemand Unrecht gethan, ſo paſſirt mir oft und leicht die Verwechslung, daß ich mich vor ihm

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/315>, abgerufen am 24.11.2024.