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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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sie spüren, und der feinste Pferdelenker spürt sie
häufig nicht.

Beide Taktarten vereinigen sich aber äußerst schwer
und selten.

Die formelle lernen besonders die Gelehrten schwer.
Sie spannen sich zum Beispiel im Gespräch mit naivem
Eifer direkt auf den Gegenstand, und bedenken nicht,
wer die Zuhörer sind. Sie können nur zwei-, fast
nur einspännig fahren; es geht immer ungeschickt ehr¬
lich geradeaus auf Beweis, auf Erklärung los. Aehn¬
liches passirt aber auch Phantasiemenschen wie unser¬
einem; im raschen Bilderzug vergessen sie, wer herumsitzt.


Man meint immer, Einmal dürfe man sich doch
gehen lassen. Falsch! Man darf es nie. Es ist
kein Moment, wo man nicht gegen innern oder äußern
Feind auf der Wacht stehen muß. Die Menschen um
uns, selbst die besten, sie schenken uns keine Blöße.
Selbst in der Liebe darfst du nie dich gehen lassen.
Das liebreichste Weib möchte dich beherrschen. Nie ist
Waffenstillstand. Das Leben ist schwer! Wehe dem,
der nicht in jedem Augenblick geladen, Zündhütchen
auf, Finger am Drücker hat!


Das darf ich diesem Herrn von Y. nicht vergessen,
daß ich neulich, als er mitten im friedlichen Gespräch

ſie ſpüren, und der feinſte Pferdelenker ſpürt ſie
häufig nicht.

Beide Taktarten vereinigen ſich aber äußerſt ſchwer
und ſelten.

Die formelle lernen beſonders die Gelehrten ſchwer.
Sie ſpannen ſich zum Beiſpiel im Geſpräch mit naivem
Eifer direkt auf den Gegenſtand, und bedenken nicht,
wer die Zuhörer ſind. Sie können nur zwei-, faſt
nur einſpännig fahren; es geht immer ungeſchickt ehr¬
lich geradeaus auf Beweis, auf Erklärung los. Aehn¬
liches paſſirt aber auch Phantaſiemenſchen wie unſer¬
einem; im raſchen Bilderzug vergeſſen ſie, wer herumſitzt.


Man meint immer, Einmal dürfe man ſich doch
gehen laſſen. Falſch! Man darf es nie. Es iſt
kein Moment, wo man nicht gegen innern oder äußern
Feind auf der Wacht ſtehen muß. Die Menſchen um
uns, ſelbſt die beſten, ſie ſchenken uns keine Blöße.
Selbſt in der Liebe darfſt du nie dich gehen laſſen.
Das liebreichſte Weib möchte dich beherrſchen. Nie iſt
Waffenſtillſtand. Das Leben iſt ſchwer! Wehe dem,
der nicht in jedem Augenblick geladen, Zündhütchen
auf, Finger am Drücker hat!


Das darf ich dieſem Herrn von Y. nicht vergeſſen,
daß ich neulich, als er mitten im friedlichen Geſpräch

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[301/0314] ſie ſpüren, und der feinſte Pferdelenker ſpürt ſie häufig nicht. Beide Taktarten vereinigen ſich aber äußerſt ſchwer und ſelten. Die formelle lernen beſonders die Gelehrten ſchwer. Sie ſpannen ſich zum Beiſpiel im Geſpräch mit naivem Eifer direkt auf den Gegenſtand, und bedenken nicht, wer die Zuhörer ſind. Sie können nur zwei-, faſt nur einſpännig fahren; es geht immer ungeſchickt ehr¬ lich geradeaus auf Beweis, auf Erklärung los. Aehn¬ liches paſſirt aber auch Phantaſiemenſchen wie unſer¬ einem; im raſchen Bilderzug vergeſſen ſie, wer herumſitzt. Man meint immer, Einmal dürfe man ſich doch gehen laſſen. Falſch! Man darf es nie. Es iſt kein Moment, wo man nicht gegen innern oder äußern Feind auf der Wacht ſtehen muß. Die Menſchen um uns, ſelbſt die beſten, ſie ſchenken uns keine Blöße. Selbſt in der Liebe darfſt du nie dich gehen laſſen. Das liebreichſte Weib möchte dich beherrſchen. Nie iſt Waffenſtillſtand. Das Leben iſt ſchwer! Wehe dem, der nicht in jedem Augenblick geladen, Zündhütchen auf, Finger am Drücker hat! Das darf ich dieſem Herrn von Y. nicht vergeſſen, daß ich neulich, als er mitten im friedlichen Geſpräch

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/314>, abgerufen am 24.11.2024.