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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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Auf! Auf! Lebe noch! Es gibt noch zu thun!
"Herz, mein Herz, halt aus, schon Schnöderes hast
du erduldet."


Abgeordneter? Gar noch? Ich? Doch es sei --
Ruf des Schicksals -- mich aufraffen -- aufraffen zu
mehr als Amt -- auch aus dem Schlag! -- Auf!
-- Hab' auch viel auf dem Herzen, es soll einmal
heraus an den Tag, einmal in's Große, Oeffentliche!


Wahlkämpfe. Wahlreden. Zungenfechterei, Ko¬
mödie. Doch gute Sprechübung. Das Reden geht
ja besser, als ich mir zugetraut hatte, wenn nur genug
Distanz ist. Sobald mir die Leute zu nahe sind, weiß
ich nichts oder bleibe stecken. Sie drücken auf mich,
sind statt bloße Bilder empirische Existenzen, die mich
lästig fragen: Nun, was hast du zu sagen? Wird's
bald? Nun, was weiter? -- Das wirft mich aus
dem Denken an die Sache heraus. In jedem Redner
laufen zwei Vorstellungsreihen nebeneinander; die eine
beschäftigt sich mit dem Thema, die andere mit den
sinnlichen Wahrnehmungen während des Redens. Dieß
geht so lang, bis auf die zweite zu viel Accent fällt,
dann wirft er um. Zu viel Accent: Ursache entweder
eine Beobachtung, z. B. dort wird geflüstert, gelacht

Auf! Auf! Lebe noch! Es gibt noch zu thun!
„Herz, mein Herz, halt aus, ſchon Schnöderes haſt
du erduldet.“


Abgeordneter? Gar noch? Ich? Doch es ſei —
Ruf des Schickſals — mich aufraffen — aufraffen zu
mehr als Amt — auch aus dem Schlag! — Auf!
— Hab' auch viel auf dem Herzen, es ſoll einmal
heraus an den Tag, einmal in's Große, Oeffentliche!


Wahlkämpfe. Wahlreden. Zungenfechterei, Ko¬
mödie. Doch gute Sprechübung. Das Reden geht
ja beſſer, als ich mir zugetraut hatte, wenn nur genug
Diſtanz iſt. Sobald mir die Leute zu nahe ſind, weiß
ich nichts oder bleibe ſtecken. Sie drücken auf mich,
ſind ſtatt bloße Bilder empiriſche Exiſtenzen, die mich
läſtig fragen: Nun, was haſt du zu ſagen? Wird's
bald? Nun, was weiter? — Das wirft mich aus
dem Denken an die Sache heraus. In jedem Redner
laufen zwei Vorſtellungsreihen nebeneinander; die eine
beſchäftigt ſich mit dem Thema, die andere mit den
ſinnlichen Wahrnehmungen während des Redens. Dieß
geht ſo lang, bis auf die zweite zu viel Accent fällt,
dann wirft er um. Zu viel Accent: Urſache entweder
eine Beobachtung, z. B. dort wird geflüſtert, gelacht

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[310/0323] Auf! Auf! Lebe noch! Es gibt noch zu thun! „Herz, mein Herz, halt aus, ſchon Schnöderes haſt du erduldet.“ Abgeordneter? Gar noch? Ich? Doch es ſei — Ruf des Schickſals — mich aufraffen — aufraffen zu mehr als Amt — auch aus dem Schlag! — Auf! — Hab' auch viel auf dem Herzen, es ſoll einmal heraus an den Tag, einmal in's Große, Oeffentliche! Wahlkämpfe. Wahlreden. Zungenfechterei, Ko¬ mödie. Doch gute Sprechübung. Das Reden geht ja beſſer, als ich mir zugetraut hatte, wenn nur genug Diſtanz iſt. Sobald mir die Leute zu nahe ſind, weiß ich nichts oder bleibe ſtecken. Sie drücken auf mich, ſind ſtatt bloße Bilder empiriſche Exiſtenzen, die mich läſtig fragen: Nun, was haſt du zu ſagen? Wird's bald? Nun, was weiter? — Das wirft mich aus dem Denken an die Sache heraus. In jedem Redner laufen zwei Vorſtellungsreihen nebeneinander; die eine beſchäftigt ſich mit dem Thema, die andere mit den ſinnlichen Wahrnehmungen während des Redens. Dieß geht ſo lang, bis auf die zweite zu viel Accent fällt, dann wirft er um. Zu viel Accent: Urſache entweder eine Beobachtung, z. B. dort wird geflüſtert, gelacht

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/323>, abgerufen am 25.06.2024.