Goethe hat gesagt, der Humor sei zwar ein Element des Genies, aber sobald er vorwalte, begleite er die abnehmende Kunst, zerstöre und vernichte sie zuletzt. Dieß ist doch nur dann wahr, wenn man unter "vor¬ walten" außer dem Ueberhandnehmen besonders ver¬ steht eine Einmischung in das Dichtwerk auf Kosten der Objektivität. Belehrend ist hierin J. Paul; das humoristische Ich des Dichters drängt sich zersprengend in das Bild, das er geben soll. Er verwechselt Dichter und Gedicht. Er will Narren oder seltsame Begeben¬ heiten vorführen und statt dessen führt er seltsam und närrisch vor. So wird der reiche, herrliche Geist ungenießbar und Niemand liest ihn mehr, -- leider! Sollte es aber nicht eine schöne Aufgabe sein, zu zeigen, daß es auch einen Humor gibt, der dieser Versuchung widersteht und ein Bild des Närrischen mit der Objektivität des Künstlers entwirft und durch¬ führt? Zweite verbesserte Auflage J. Paul's, der mit Unrecht zu den Todten geworfen ist? Auferstandener, genießbar gewordener J. Paul?
Sei's, wie es kann, geh' hin, mein Kind! Und ich kann auch gehen. Abschied wie von einer lieben Heimat. Noch einmal den Colleoni gesehen, ehern, dunkel ragend im Mondschein. Bleibe mir, Bild, erinnere mich Zeitlebens an den Schlachttag!
Goethe hat geſagt, der Humor ſei zwar ein Element des Genies, aber ſobald er vorwalte, begleite er die abnehmende Kunſt, zerſtöre und vernichte ſie zuletzt. Dieß iſt doch nur dann wahr, wenn man unter „vor¬ walten“ außer dem Ueberhandnehmen beſonders ver¬ ſteht eine Einmiſchung in das Dichtwerk auf Koſten der Objektivität. Belehrend iſt hierin J. Paul; das humoriſtiſche Ich des Dichters drängt ſich zerſprengend in das Bild, das er geben ſoll. Er verwechſelt Dichter und Gedicht. Er will Narren oder ſeltſame Begeben¬ heiten vorführen und ſtatt deſſen führt er ſeltſam und närriſch vor. So wird der reiche, herrliche Geiſt ungenießbar und Niemand liest ihn mehr, — leider! Sollte es aber nicht eine ſchöne Aufgabe ſein, zu zeigen, daß es auch einen Humor gibt, der dieſer Verſuchung widerſteht und ein Bild des Närriſchen mit der Objektivität des Künſtlers entwirft und durch¬ führt? Zweite verbeſſerte Auflage J. Paul's, der mit Unrecht zu den Todten geworfen iſt? Auferſtandener, genießbar gewordener J. Paul?
Sei's, wie es kann, geh' hin, mein Kind! Und ich kann auch gehen. Abſchied wie von einer lieben Heimat. Noch einmal den Colleoni geſehen, ehern, dunkel ragend im Mondſchein. Bleibe mir, Bild, erinnere mich Zeitlebens an den Schlachttag!
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Goethe hat geſagt, der Humor ſei zwar ein Element
des Genies, aber ſobald er vorwalte, begleite er die
abnehmende Kunſt, zerſtöre und vernichte ſie zuletzt.
Dieß iſt doch nur dann wahr, wenn man unter „vor¬
walten“ außer dem Ueberhandnehmen beſonders ver¬
ſteht eine Einmiſchung in das Dichtwerk auf Koſten
der Objektivität. Belehrend iſt hierin J. Paul; das
humoriſtiſche Ich des Dichters drängt ſich zerſprengend
in das Bild, das er geben ſoll. Er verwechſelt Dichter
und Gedicht. Er will Narren oder ſeltſame Begeben¬
heiten vorführen und ſtatt deſſen führt er ſeltſam und
närriſch vor. So wird der reiche, herrliche Geiſt
ungenießbar und Niemand liest ihn mehr, — leider!
Sollte es aber nicht eine ſchöne Aufgabe ſein, zu
zeigen, daß es auch einen Humor gibt, der dieſer
Verſuchung widerſteht und ein Bild des Närriſchen
mit der Objektivität des Künſtlers entwirft und durch¬
führt? Zweite verbeſſerte Auflage J. Paul's, der mit
Unrecht zu den Todten geworfen iſt? Auferſtandener,
genießbar gewordener J. Paul?
Sei's, wie es kann, geh' hin, mein Kind! Und
ich kann auch gehen. Abſchied wie von einer
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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