Dürft' ich einen zweiten erleben und dann so ein eiserner Reitersmann voraus im Pulverdampf: vor¬ wärts! vorwärts! Marsch! Marsch! -- Noch einmal Markusplatz in Mitternacht, im Florlicht des blassen Gestirns -- ob ich noch einmal herkommen werde? Ich Vergangenheit? -- Was bliebe mir noch zu stürmen! -- Zu meinem Fenster von der weiten Lagune her köstliche Nachtluft, Seeluft. Dort die Inseln wiegen sich schlafend auf dem weichen, freien, breitergossenen Elemente im Flimmerschleier der leise singenden Nacht.
Nun wieder zu Haus. Im Winter muß man zu Hause sein. Ofen. Ohne Ofen doch kein Gefühl des wahrhaft Heimischen. Völker, wo bloß Kamin herrscht, haben doch immer irgend einen unheimlichen Zug. -- Des Reisens vorerst wieder genug. Reisen ist Schund. Reisen heißt, sich über grobe und spitzbübische Menschen ärgern, von Leuten bedient werden, die zu wenig Zeit für mich haben, weil sie zu Viele bedienen müssen, die fortschnurren, wenn ich etwas frage, etwas bestelle. Reisen heißt in Zimmern wohnen, wo der Stiefelknecht fehlt oder zu weit, wo der Schrank nicht schließbar ist, weil der Reisende in Twist oder auch die Gräfin X gestern aus Versehen den Schlüssel mitgenommen hat, oder der Schlüssel zwar steckt, aber nicht geht. Reisen heißt in dummen Betten schlafen (Italien ausgenommen),
Dürft' ich einen zweiten erleben und dann ſo ein eiſerner Reitersmann voraus im Pulverdampf: vor¬ wärts! vorwärts! Marſch! Marſch! — Noch einmal Markusplatz in Mitternacht, im Florlicht des blaſſen Geſtirns — ob ich noch einmal herkommen werde? Ich Vergangenheit? — Was bliebe mir noch zu ſtürmen! — Zu meinem Fenſter von der weiten Lagune her köſtliche Nachtluft, Seeluft. Dort die Inſeln wiegen ſich ſchlafend auf dem weichen, freien, breitergoſſenen Elemente im Flimmerſchleier der leiſe ſingenden Nacht.
Nun wieder zu Haus. Im Winter muß man zu Hauſe ſein. Ofen. Ohne Ofen doch kein Gefühl des wahrhaft Heimiſchen. Völker, wo bloß Kamin herrſcht, haben doch immer irgend einen unheimlichen Zug. — Des Reiſens vorerſt wieder genug. Reiſen iſt Schund. Reiſen heißt, ſich über grobe und ſpitzbübiſche Menſchen ärgern, von Leuten bedient werden, die zu wenig Zeit für mich haben, weil ſie zu Viele bedienen müſſen, die fortſchnurren, wenn ich etwas frage, etwas beſtelle. Reiſen heißt in Zimmern wohnen, wo der Stiefelknecht fehlt oder zu weit, wo der Schrank nicht ſchließbar iſt, weil der Reiſende in Twiſt oder auch die Gräfin X geſtern aus Verſehen den Schlüſſel mitgenommen hat, oder der Schlüſſel zwar ſteckt, aber nicht geht. Reiſen heißt in dummen Betten ſchlafen (Italien ausgenommen),
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Dürft' ich einen zweiten erleben und dann ſo ein
eiſerner Reitersmann voraus im Pulverdampf: vor¬
wärts! vorwärts! Marſch! Marſch! — Noch einmal
Markusplatz in Mitternacht, im Florlicht des blaſſen
Geſtirns — ob ich noch einmal herkommen werde?
Ich Vergangenheit? — Was bliebe mir noch zu ſtürmen!
— Zu meinem Fenſter von der weiten Lagune her
köſtliche Nachtluft, Seeluft. Dort die Inſeln wiegen
ſich ſchlafend auf dem weichen, freien, breitergoſſenen
Elemente im Flimmerſchleier der leiſe ſingenden Nacht.
Nun wieder zu Haus. Im Winter muß man zu
Hauſe ſein. Ofen. Ohne Ofen doch kein Gefühl des
wahrhaft Heimiſchen. Völker, wo bloß Kamin herrſcht,
haben doch immer irgend einen unheimlichen Zug. —
Des Reiſens vorerſt wieder genug. Reiſen iſt Schund.
Reiſen heißt, ſich über grobe und ſpitzbübiſche Menſchen
ärgern, von Leuten bedient werden, die zu wenig Zeit
für mich haben, weil ſie zu Viele bedienen müſſen,
die fortſchnurren, wenn ich etwas frage, etwas beſtelle.
Reiſen heißt in Zimmern wohnen, wo der Stiefelknecht
fehlt oder zu weit, wo der Schrank nicht ſchließbar iſt,
weil der Reiſende in Twiſt oder auch die Gräfin X
geſtern aus Verſehen den Schlüſſel mitgenommen hat,
oder der Schlüſſel zwar ſteckt, aber nicht geht. Reiſen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/354>, abgerufen am 22.11.2024.
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