Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

wieder mehr in Gesellschaft. Da die pure Partei¬
konfusion, links, rechts, überall; mir schwindelt das
Hirn, wenn ich mich in die undialektischen Köpfe ver¬
setze. -- Noch dummer: nehme gestern einmal wieder
eine Einladung an in patente Gesellschaft. Nobles
Haus, gastfreundlich, aber wie alle. Wer bewirthet,
trägt bei aller Güte doch meist eine Tücke im Herzen;
denkt: das Alles erweise ich euch nun, und ihr dürft
keinen Heller dafür zahlen; aber dafür verlange ich
Eines: ihr sollt euch verkälten. Es werden im Sommer
Fenster, im Winter Thüren aufgerissen, die einen Zug
geben. Der arme Gast zahlt die Zeche nach mit Elend!
o Elend! -- 's fängt schon an, beißt in der Nase,
ich spür's. O großer Buchbinder Weltgeist, warum hast
du mich zu fein eingebunden! -- In dieser Welt
braucht's Schweinsleder.


Dießmal war's ernst. Schnupfen nicht genug,
Zahnweh, acht Tage Gesichtsschmerz. Zwar darin
doch Fortschritt: doch der Mühe werth. -- Und hat
mir über's Aergste draußen in der Welt hinüber¬
geholfen. Blutbad von Sadowa. Entschieden! --
Was jetzt kommt? eine gute Weile schließ' ich die
Augen.


Nach innen fühle ich ein Etwas befördert, be¬
schleunigt, das freilich auch von selbst die Jahre mit

wieder mehr in Geſellſchaft. Da die pure Partei¬
konfuſion, links, rechts, überall; mir ſchwindelt das
Hirn, wenn ich mich in die undialektiſchen Köpfe ver¬
ſetze. — Noch dummer: nehme geſtern einmal wieder
eine Einladung an in patente Geſellſchaft. Nobles
Haus, gaſtfreundlich, aber wie alle. Wer bewirthet,
trägt bei aller Güte doch meiſt eine Tücke im Herzen;
denkt: das Alles erweiſe ich euch nun, und ihr dürft
keinen Heller dafür zahlen; aber dafür verlange ich
Eines: ihr ſollt euch verkälten. Es werden im Sommer
Fenſter, im Winter Thüren aufgeriſſen, die einen Zug
geben. Der arme Gaſt zahlt die Zeche nach mit Elend!
o Elend! — 's fängt ſchon an, beißt in der Naſe,
ich ſpür's. O großer Buchbinder Weltgeiſt, warum haſt
du mich zu fein eingebunden! — In dieſer Welt
braucht's Schweinsleder.


Dießmal war's ernſt. Schnupfen nicht genug,
Zahnweh, acht Tage Geſichtsſchmerz. Zwar darin
doch Fortſchritt: doch der Mühe werth. — Und hat
mir über's Aergſte draußen in der Welt hinüber¬
geholfen. Blutbad von Sadowa. Entſchieden! —
Was jetzt kommt? eine gute Weile ſchließ' ich die
Augen.


Nach innen fühle ich ein Etwas befördert, be¬
ſchleunigt, das freilich auch von ſelbſt die Jahre mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0360" n="347"/>
wieder mehr in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Da die pure Partei¬<lb/>
konfu&#x017F;ion, links, rechts, überall; mir &#x017F;chwindelt das<lb/>
Hirn, wenn ich mich in die undialekti&#x017F;chen Köpfe ver¬<lb/>
&#x017F;etze. &#x2014; Noch dummer: nehme ge&#x017F;tern einmal wieder<lb/>
eine Einladung an in patente Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Nobles<lb/>
Haus, ga&#x017F;tfreundlich, aber wie alle. Wer bewirthet,<lb/>
trägt bei aller Güte doch mei&#x017F;t eine Tücke im Herzen;<lb/>
denkt: das Alles erwei&#x017F;e ich euch nun, und ihr dürft<lb/>
keinen Heller dafür zahlen; aber dafür verlange ich<lb/>
Eines: ihr &#x017F;ollt euch verkälten. Es werden im Sommer<lb/>
Fen&#x017F;ter, im Winter Thüren aufgeri&#x017F;&#x017F;en, die einen Zug<lb/>
geben. Der arme Ga&#x017F;t zahlt die Zeche nach mit Elend!<lb/>
o Elend! &#x2014; 's fängt &#x017F;chon an, beißt in der Na&#x017F;e,<lb/>
ich &#x017F;pür's. O großer Buchbinder Weltgei&#x017F;t, warum ha&#x017F;t<lb/>
du mich zu fein eingebunden! &#x2014; In die&#x017F;er Welt<lb/>
braucht's Schweinsleder.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Dießmal war's ern&#x017F;t. Schnupfen nicht genug,<lb/>
Zahnweh, acht Tage Ge&#x017F;ichts&#x017F;chmerz. Zwar darin<lb/>
doch Fort&#x017F;chritt: doch der Mühe werth. &#x2014; Und hat<lb/>
mir über's Aerg&#x017F;te draußen in der Welt hinüber¬<lb/>
geholfen. Blutbad von Sadowa. Ent&#x017F;chieden! &#x2014;<lb/>
Was jetzt kommt? eine gute Weile &#x017F;chließ' ich die<lb/>
Augen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Nach innen fühle ich ein Etwas befördert, be¬<lb/>
&#x017F;chleunigt, das freilich auch von &#x017F;elb&#x017F;t die Jahre mit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0360] wieder mehr in Geſellſchaft. Da die pure Partei¬ konfuſion, links, rechts, überall; mir ſchwindelt das Hirn, wenn ich mich in die undialektiſchen Köpfe ver¬ ſetze. — Noch dummer: nehme geſtern einmal wieder eine Einladung an in patente Geſellſchaft. Nobles Haus, gaſtfreundlich, aber wie alle. Wer bewirthet, trägt bei aller Güte doch meiſt eine Tücke im Herzen; denkt: das Alles erweiſe ich euch nun, und ihr dürft keinen Heller dafür zahlen; aber dafür verlange ich Eines: ihr ſollt euch verkälten. Es werden im Sommer Fenſter, im Winter Thüren aufgeriſſen, die einen Zug geben. Der arme Gaſt zahlt die Zeche nach mit Elend! o Elend! — 's fängt ſchon an, beißt in der Naſe, ich ſpür's. O großer Buchbinder Weltgeiſt, warum haſt du mich zu fein eingebunden! — In dieſer Welt braucht's Schweinsleder. Dießmal war's ernſt. Schnupfen nicht genug, Zahnweh, acht Tage Geſichtsſchmerz. Zwar darin doch Fortſchritt: doch der Mühe werth. — Und hat mir über's Aergſte draußen in der Welt hinüber¬ geholfen. Blutbad von Sadowa. Entſchieden! — Was jetzt kommt? eine gute Weile ſchließ' ich die Augen. Nach innen fühle ich ein Etwas befördert, be¬ ſchleunigt, das freilich auch von ſelbſt die Jahre mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/360
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/360>, abgerufen am 17.06.2024.