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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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in gemessenen Alexandrinern, worin mir eröffnet wurde,
daß Dithyramben fast eine Einladung zur Trunkenheit
und jeder Art von Exzeß repräsentiren. Daran er¬
wachte ich. Den Verweis überbrachte mir ein in die
toga hirsuta (Zotteltoga) gekleideter Kanzleidiener.
Die Beamten trugen die toga praetexta, untergeord¬
nete mit breitem, höhere mit schmalem, feinem Streifen
oder clavus. -- Es war kurz vor den Dingen, die
mich mein Amt gekostet haben, -- ahnungsvoll!


Das habe ich doch meist bewährt gefunden, daß
man den Menschen im Schlaf ihren Charakter ansieht.
Seit es Eisenbahnen gibt, hat man mehr Gelegenheit.
Da habe ich nun auch eine Gattung Menschen entdeckt,
die ein Gesicht machen, als kostete ihnen das Schlafen
Mühe. Es sind meist hart arbeitende Leute, denen
der Ausdruck vom Wachen her auf den Zügen stehen
bleibt. Doch nicht bloß, man kann es auch bei ge¬
bildeten und sicherlich nicht schwer beschäftigten Men¬
schen beobachten. Das sind nun offenbar Naturen,
denen alle Geistesfreiheit abgeht, denen im Wachen
Alles, selbst die Freude, Geschäft ist, die niemals zu
schweben verstehen, daher entbindet auch der Schlaf
ihre Züge nicht. Ich nenne den Ausdruck ungernig,
sie sehen aus, als schliefen sie ungern.


in gemeſſenen Alexandrinern, worin mir eröffnet wurde,
daß Dithyramben faſt eine Einladung zur Trunkenheit
und jeder Art von Exzeß repräſentiren. Daran er¬
wachte ich. Den Verweis überbrachte mir ein in die
toga hirsuta (Zotteltoga) gekleideter Kanzleidiener.
Die Beamten trugen die toga praetexta, untergeord¬
nete mit breitem, höhere mit ſchmalem, feinem Streifen
oder clavus. — Es war kurz vor den Dingen, die
mich mein Amt gekoſtet haben, — ahnungsvoll!


Das habe ich doch meiſt bewährt gefunden, daß
man den Menſchen im Schlaf ihren Charakter anſieht.
Seit es Eiſenbahnen gibt, hat man mehr Gelegenheit.
Da habe ich nun auch eine Gattung Menſchen entdeckt,
die ein Geſicht machen, als koſtete ihnen das Schlafen
Mühe. Es ſind meiſt hart arbeitende Leute, denen
der Ausdruck vom Wachen her auf den Zügen ſtehen
bleibt. Doch nicht bloß, man kann es auch bei ge¬
bildeten und ſicherlich nicht ſchwer beſchäftigten Men¬
ſchen beobachten. Das ſind nun offenbar Naturen,
denen alle Geiſtesfreiheit abgeht, denen im Wachen
Alles, ſelbſt die Freude, Geſchäft iſt, die niemals zu
ſchweben verſtehen, daher entbindet auch der Schlaf
ihre Züge nicht. Ich nenne den Ausdruck ungernig,
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[375/0388] in gemeſſenen Alexandrinern, worin mir eröffnet wurde, daß Dithyramben faſt eine Einladung zur Trunkenheit und jeder Art von Exzeß repräſentiren. Daran er¬ wachte ich. Den Verweis überbrachte mir ein in die toga hirsuta (Zotteltoga) gekleideter Kanzleidiener. Die Beamten trugen die toga praetexta, untergeord¬ nete mit breitem, höhere mit ſchmalem, feinem Streifen oder clavus. — Es war kurz vor den Dingen, die mich mein Amt gekoſtet haben, — ahnungsvoll! Das habe ich doch meiſt bewährt gefunden, daß man den Menſchen im Schlaf ihren Charakter anſieht. Seit es Eiſenbahnen gibt, hat man mehr Gelegenheit. Da habe ich nun auch eine Gattung Menſchen entdeckt, die ein Geſicht machen, als koſtete ihnen das Schlafen Mühe. Es ſind meiſt hart arbeitende Leute, denen der Ausdruck vom Wachen her auf den Zügen ſtehen bleibt. Doch nicht bloß, man kann es auch bei ge¬ bildeten und ſicherlich nicht ſchwer beſchäftigten Men¬ ſchen beobachten. Das ſind nun offenbar Naturen, denen alle Geiſtesfreiheit abgeht, denen im Wachen Alles, ſelbſt die Freude, Geſchäft iſt, die niemals zu ſchweben verſtehen, daher entbindet auch der Schlaf ihre Züge nicht. Ich nenne den Ausdruck ungernig, ſie ſehen aus, als ſchliefen ſie ungern.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/388>, abgerufen am 17.06.2024.