Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Klippe: wenn einmal doch, dann auch recht! --
Weinen, Jammern, Beten ringsum. Ich lasse mir
stark den Syrakusaner munden; der Kellner preßt sich,
um einschenken zu können, an Mastbaum oder Wand,
wenn ich dann nicht schnell trinke, ist der Wein fort,
als schlüge Jemand mit Gewalt unten an's Glas.
Nacht, unmöglich oben zu bleiben, ich muß hinab in
meine Koje und wie ich entkleidet bin, beschleicht mich
eine kurze Anwandlung von Feigheit. Was doch
Kleider, namentlich Stiefel, ein Gefühl von Halt
geben! -- Da unten ist's unheimlich; an der Schiffwand
höre ich mitten unter dem dumpfen Brummstoß der
Wellen und dem Aechzen aller Rippen des hohlen
Baues manchmal etwas wie Saugen und Gurgeln,
als lutschten da draußen die Mollusken so vorläufig
am Holz in Aussicht auf bessere Speise. Auf der
Treppe sitzt ein großer, schöner Kerl mit langem Bart,
in flotter Uniform, Leibjäger irgend eines vornehmen
Herrn, und weint wie ein Kind; -- vielleicht ein
andermal beherzt; sind halbantike Menschen, lassen
Alles heraus. Im Damenkabinet liegt eine seekranke
Frau mit Kind; ruft alle Viertelstund: cameriere!
come sta?
Und der sagt jedesmal: cosi, cosi. Die
Laterne hängt in immer spitzerem Winkel von der
Decke; wenn sie mit ihr gar keinen Winkel mehr bildet,
sondern parallele Linie, so sind wir fertig. Kommt
ein Kapuziner und bittet mich, mit halbem Leib in

Klippe: wenn einmal doch, dann auch recht! —
Weinen, Jammern, Beten ringsum. Ich laſſe mir
ſtark den Syrakuſaner munden; der Kellner preßt ſich,
um einſchenken zu können, an Maſtbaum oder Wand,
wenn ich dann nicht ſchnell trinke, iſt der Wein fort,
als ſchlüge Jemand mit Gewalt unten an's Glas.
Nacht, unmöglich oben zu bleiben, ich muß hinab in
meine Koje und wie ich entkleidet bin, beſchleicht mich
eine kurze Anwandlung von Feigheit. Was doch
Kleider, namentlich Stiefel, ein Gefühl von Halt
geben! — Da unten iſt's unheimlich; an der Schiffwand
höre ich mitten unter dem dumpfen Brummſtoß der
Wellen und dem Aechzen aller Rippen des hohlen
Baues manchmal etwas wie Saugen und Gurgeln,
als lutſchten da draußen die Mollusken ſo vorläufig
am Holz in Ausſicht auf beſſere Speiſe. Auf der
Treppe ſitzt ein großer, ſchöner Kerl mit langem Bart,
in flotter Uniform, Leibjäger irgend eines vornehmen
Herrn, und weint wie ein Kind; — vielleicht ein
andermal beherzt; ſind halbantike Menſchen, laſſen
Alles heraus. Im Damenkabinet liegt eine ſeekranke
Frau mit Kind; ruft alle Viertelſtund: cameriere!
come ſta?
Und der ſagt jedesmal: cosi, cosi. Die
Laterne hängt in immer ſpitzerem Winkel von der
Decke; wenn ſie mit ihr gar keinen Winkel mehr bildet,
ſondern parallele Linie, ſo ſind wir fertig. Kommt
ein Kapuziner und bittet mich, mit halbem Leib in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0432" n="419"/>
Klippe: wenn einmal doch, dann auch recht! &#x2014;<lb/>
Weinen, Jammern, Beten ringsum. Ich la&#x017F;&#x017F;e mir<lb/>
&#x017F;tark den Syraku&#x017F;aner munden; der Kellner preßt &#x017F;ich,<lb/>
um ein&#x017F;chenken zu können, an Ma&#x017F;tbaum oder Wand,<lb/>
wenn ich dann nicht &#x017F;chnell trinke, i&#x017F;t der Wein fort,<lb/>
als &#x017F;chlüge Jemand mit Gewalt unten an's Glas.<lb/>
Nacht, unmöglich oben zu bleiben, ich muß hinab in<lb/>
meine Koje und wie ich entkleidet bin, be&#x017F;chleicht mich<lb/>
eine kurze Anwandlung von Feigheit. Was doch<lb/>
Kleider, namentlich Stiefel, ein Gefühl von Halt<lb/>
geben! &#x2014; Da unten i&#x017F;t's unheimlich; an der Schiffwand<lb/>
höre ich mitten unter dem dumpfen Brumm&#x017F;toß der<lb/>
Wellen und dem Aechzen aller Rippen des hohlen<lb/>
Baues manchmal etwas wie Saugen und Gurgeln,<lb/>
als lut&#x017F;chten da draußen die Mollusken &#x017F;o vorläufig<lb/>
am Holz in Aus&#x017F;icht auf be&#x017F;&#x017F;ere Spei&#x017F;e. Auf der<lb/>
Treppe &#x017F;itzt ein großer, &#x017F;chöner Kerl mit langem Bart,<lb/>
in flotter Uniform, Leibjäger irgend eines vornehmen<lb/>
Herrn, und weint wie ein Kind; &#x2014; vielleicht ein<lb/>
andermal beherzt; &#x017F;ind halbantike Men&#x017F;chen, la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Alles heraus. Im Damenkabinet liegt eine &#x017F;eekranke<lb/>
Frau mit Kind; ruft alle Viertel&#x017F;tund: <hi rendition="#aq">cameriere!<lb/>
come &#x017F;ta?</hi> Und der &#x017F;agt jedesmal: <hi rendition="#aq">cosi, cosi.</hi> Die<lb/>
Laterne hängt in immer &#x017F;pitzerem Winkel von der<lb/>
Decke; wenn &#x017F;ie mit ihr gar keinen Winkel mehr bildet,<lb/>
&#x017F;ondern parallele Linie, &#x017F;o &#x017F;ind wir fertig. Kommt<lb/>
ein Kapuziner und bittet mich, mit halbem Leib in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0432] Klippe: wenn einmal doch, dann auch recht! — Weinen, Jammern, Beten ringsum. Ich laſſe mir ſtark den Syrakuſaner munden; der Kellner preßt ſich, um einſchenken zu können, an Maſtbaum oder Wand, wenn ich dann nicht ſchnell trinke, iſt der Wein fort, als ſchlüge Jemand mit Gewalt unten an's Glas. Nacht, unmöglich oben zu bleiben, ich muß hinab in meine Koje und wie ich entkleidet bin, beſchleicht mich eine kurze Anwandlung von Feigheit. Was doch Kleider, namentlich Stiefel, ein Gefühl von Halt geben! — Da unten iſt's unheimlich; an der Schiffwand höre ich mitten unter dem dumpfen Brummſtoß der Wellen und dem Aechzen aller Rippen des hohlen Baues manchmal etwas wie Saugen und Gurgeln, als lutſchten da draußen die Mollusken ſo vorläufig am Holz in Ausſicht auf beſſere Speiſe. Auf der Treppe ſitzt ein großer, ſchöner Kerl mit langem Bart, in flotter Uniform, Leibjäger irgend eines vornehmen Herrn, und weint wie ein Kind; — vielleicht ein andermal beherzt; ſind halbantike Menſchen, laſſen Alles heraus. Im Damenkabinet liegt eine ſeekranke Frau mit Kind; ruft alle Viertelſtund: cameriere! come ſta? Und der ſagt jedesmal: cosi, cosi. Die Laterne hängt in immer ſpitzerem Winkel von der Decke; wenn ſie mit ihr gar keinen Winkel mehr bildet, ſondern parallele Linie, ſo ſind wir fertig. Kommt ein Kapuziner und bittet mich, mit halbem Leib in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/432
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/432>, abgerufen am 04.12.2024.