Güte.' A. E. konnte es nicht leiden, nicht ausstehen. Dieser Kinderbrei, pflegte er zu sagen, reize zu ent¬ brannter Opposition, bei so zuckerigem Lobpreis müsse es Jedem, der kein Dummkopf sei, gerade recht ein¬ fallen, daß in der Natur ebensoviel, wenn nicht mehr teuflische Grausamkeit als Güte herrsche; gebe es dar¬ über einen Trost, so sei der mit kräftigen Gedanken mannhaft zu erringen, zu erkämpfen, zu ertrotzen, denn er ruhe auf einem: trotzdem; solchen Trost sauge man nicht aus dem Kinderschnuller. Nun, erinnern Sie sich der Melodie; bitte, vergegenwärtigen Sie sich, wie sie klingt bei den Worten: ,Der mit verhärtetem Gemüthe'. Zwei ausdrucksvolle Noten fallen gerade auf die be¬ deutungslosen Biegungssylben des Worts: ,verhär¬ tetem', und ebendiese zwei Noten sang Zunger so gefühlsinnig, so höchst seelenvoll, daß allerdings ein gründlich komischer Widerspruch zwischen Sinnwerth und Tonwerth entstand; er schwelgte förmlich in diesem gefühlten ,tetem'. A. E. war zum Lachkrampf dis¬ ponirt. Er versteckte sich, da er dieß Uebel anpochen fühlte, unter den Zuhörern, aber es schüttelte ihn so, daß es nicht zu verbergen war, und ihm blieb nichts als ausbrechen, entwischen, abstürzen. Von da an führte bei ihm Zunger den Namen ,Tetem', Frau Hedwig eignete sich die Nomenclatur auch an, weiter¬ hin ich und Mehrere. Tetem nun erfuhr um dieselbe Zeit von der verrückten Grabschrift und erklärte, wie
Güte.' A. E. konnte es nicht leiden, nicht ausſtehen. Dieſer Kinderbrei, pflegte er zu ſagen, reize zu ent¬ brannter Oppoſition, bei ſo zuckerigem Lobpreis müſſe es Jedem, der kein Dummkopf ſei, gerade recht ein¬ fallen, daß in der Natur ebenſoviel, wenn nicht mehr teufliſche Grauſamkeit als Güte herrſche; gebe es dar¬ über einen Troſt, ſo ſei der mit kräftigen Gedanken mannhaft zu erringen, zu erkämpfen, zu ertrotzen, denn er ruhe auf einem: trotzdem; ſolchen Troſt ſauge man nicht aus dem Kinderſchnuller. Nun, erinnern Sie ſich der Melodie; bitte, vergegenwärtigen Sie ſich, wie ſie klingt bei den Worten: ‚Der mit verhärtetem Gemüthe'. Zwei ausdrucksvolle Noten fallen gerade auf die be¬ deutungsloſen Biegungsſylben des Worts: ‚verhär¬ tetem‘, und ebendieſe zwei Noten ſang Zunger ſo gefühlsinnig, ſo höchſt ſeelenvoll, daß allerdings ein gründlich komiſcher Widerſpruch zwiſchen Sinnwerth und Tonwerth entſtand; er ſchwelgte förmlich in dieſem gefühlten ‚tetem'. A. E. war zum Lachkrampf dis¬ ponirt. Er verſteckte ſich, da er dieß Uebel anpochen fühlte, unter den Zuhörern, aber es ſchüttelte ihn ſo, daß es nicht zu verbergen war, und ihm blieb nichts als ausbrechen, entwiſchen, abſtürzen. Von da an führte bei ihm Zunger den Namen ‚Tetem', Frau Hedwig eignete ſich die Nomenclatur auch an, weiter¬ hin ich und Mehrere. Tetem nun erfuhr um dieſelbe Zeit von der verrückten Grabſchrift und erklärte, wie
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Güte.' A. E. konnte es nicht leiden, nicht ausſtehen.
Dieſer Kinderbrei, pflegte er zu ſagen, reize zu ent¬
brannter Oppoſition, bei ſo zuckerigem Lobpreis müſſe
es Jedem, der kein Dummkopf ſei, gerade recht ein¬
fallen, daß in der Natur ebenſoviel, wenn nicht mehr
teufliſche Grauſamkeit als Güte herrſche; gebe es dar¬
über einen Troſt, ſo ſei der mit kräftigen Gedanken
mannhaft zu erringen, zu erkämpfen, zu ertrotzen, denn
er ruhe auf einem: trotzdem; ſolchen Troſt ſauge man
nicht aus dem Kinderſchnuller. Nun, erinnern Sie ſich
der Melodie; bitte, vergegenwärtigen Sie ſich, wie ſie
klingt bei den Worten: ‚Der mit verhärtetem Gemüthe'.
Zwei ausdrucksvolle Noten fallen gerade auf die be¬
deutungsloſen Biegungsſylben des Worts: ‚verhär¬
tetem‘, und ebendieſe zwei Noten ſang Zunger ſo
gefühlsinnig, ſo höchſt ſeelenvoll, daß allerdings ein
gründlich komiſcher Widerſpruch zwiſchen Sinnwerth und
Tonwerth entſtand; er ſchwelgte förmlich in dieſem
gefühlten ‚tetem'. A. E. war zum Lachkrampf dis¬
ponirt. Er verſteckte ſich, da er dieß Uebel anpochen
fühlte, unter den Zuhörern, aber es ſchüttelte ihn ſo,
daß es nicht zu verbergen war, und ihm blieb nichts
als ausbrechen, entwiſchen, abſtürzen. Von da an
führte bei ihm Zunger den Namen ‚Tetem', Frau
Hedwig eignete ſich die Nomenclatur auch an, weiter¬
hin ich und Mehrere. Tetem nun erfuhr um dieſelbe
Zeit von der verrückten Grabſchrift und erklärte, wie
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/52>, abgerufen am 24.11.2024.
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