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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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gesagt, er werde nie dulden, daß ein Stein mit solcher
Inschrift auf dem Kirchhof stehe; man muß ja wohl auch
zugeben, daß er es wirklich nicht konnte, nicht durfte.
A. E. aber war darin unbillig, ja unvernünftig, hat
ihm von da an gezürnt, daß er ihm sein ,schönes' Epi¬
taphium unterdrücke, dieß Zeugniß edler und gerechter
Selbstachtung, das er sich nach seinem Tode vor der
Welt auszustellen gedenke. Vom Tetem muß ich rüh¬
men, daß er ihm sein Zürnen nicht nachgetragen, daß
er ihm eine nach Möglichkeit dogmenfreie, nach Kräften
verständnißvolle, ja schöne Grabrede gehalten hat."

Wir waren auf den Kirchhof eingetreten. Wie
ernst-andächtig hatte ich mir diesen Moment voraus¬
gedacht! Wie anders sollte es kommen! Ich mußte
mir immer den frommen Sänger mit seiner gefühl¬
vollen Partizip-Deklinationsendung und dahinter den
lachkrämpfigen A. E. vorstellen, mit aller innern An¬
strengung konnte ich das alberne Bild nicht los werden,
vergeblich sagte ich mir, wie schmachvoll es wäre, wenn
ich lachend an den Todtenhügel träte; das wäre ja,
so ermahnte ich mich, nicht ein entlastendes, rührungs¬
volles Lachen wie jenes, das mich am Vormittag mit
der guten Frau Hedwig in Einer Stimmung ver¬
einigte, sondern häßlich, mit bösem Gewissen behaftet,
armensündermäßig, wüst, schnöd, ja bübisch; gerade
die grausame Anspannung des Willens gegen eine
solche erniedrigende Naturgewalt wirkte mit dem Reize

geſagt, er werde nie dulden, daß ein Stein mit ſolcher
Inſchrift auf dem Kirchhof ſtehe; man muß ja wohl auch
zugeben, daß er es wirklich nicht konnte, nicht durfte.
A. E. aber war darin unbillig, ja unvernünftig, hat
ihm von da an gezürnt, daß er ihm ſein ‚ſchönes‘ Epi¬
taphium unterdrücke, dieß Zeugniß edler und gerechter
Selbſtachtung, das er ſich nach ſeinem Tode vor der
Welt auszuſtellen gedenke. Vom Tetem muß ich rüh¬
men, daß er ihm ſein Zürnen nicht nachgetragen, daß
er ihm eine nach Möglichkeit dogmenfreie, nach Kräften
verſtändnißvolle, ja ſchöne Grabrede gehalten hat.“

Wir waren auf den Kirchhof eingetreten. Wie
ernſt-andächtig hatte ich mir dieſen Moment voraus¬
gedacht! Wie anders ſollte es kommen! Ich mußte
mir immer den frommen Sänger mit ſeiner gefühl¬
vollen Partizip-Deklinationsendung und dahinter den
lachkrämpfigen A. E. vorſtellen, mit aller innern An¬
ſtrengung konnte ich das alberne Bild nicht los werden,
vergeblich ſagte ich mir, wie ſchmachvoll es wäre, wenn
ich lachend an den Todtenhügel träte; das wäre ja,
ſo ermahnte ich mich, nicht ein entlaſtendes, rührungs¬
volles Lachen wie jenes, das mich am Vormittag mit
der guten Frau Hedwig in Einer Stimmung ver¬
einigte, ſondern häßlich, mit böſem Gewiſſen behaftet,
armenſündermäßig, wüſt, ſchnöd, ja bübiſch; gerade
die grauſame Anſpannung des Willens gegen eine
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[40/0053] geſagt, er werde nie dulden, daß ein Stein mit ſolcher Inſchrift auf dem Kirchhof ſtehe; man muß ja wohl auch zugeben, daß er es wirklich nicht konnte, nicht durfte. A. E. aber war darin unbillig, ja unvernünftig, hat ihm von da an gezürnt, daß er ihm ſein ‚ſchönes‘ Epi¬ taphium unterdrücke, dieß Zeugniß edler und gerechter Selbſtachtung, das er ſich nach ſeinem Tode vor der Welt auszuſtellen gedenke. Vom Tetem muß ich rüh¬ men, daß er ihm ſein Zürnen nicht nachgetragen, daß er ihm eine nach Möglichkeit dogmenfreie, nach Kräften verſtändnißvolle, ja ſchöne Grabrede gehalten hat.“ Wir waren auf den Kirchhof eingetreten. Wie ernſt-andächtig hatte ich mir dieſen Moment voraus¬ gedacht! Wie anders ſollte es kommen! Ich mußte mir immer den frommen Sänger mit ſeiner gefühl¬ vollen Partizip-Deklinationsendung und dahinter den lachkrämpfigen A. E. vorſtellen, mit aller innern An¬ ſtrengung konnte ich das alberne Bild nicht los werden, vergeblich ſagte ich mir, wie ſchmachvoll es wäre, wenn ich lachend an den Todtenhügel träte; das wäre ja, ſo ermahnte ich mich, nicht ein entlaſtendes, rührungs¬ volles Lachen wie jenes, das mich am Vormittag mit der guten Frau Hedwig in Einer Stimmung ver¬ einigte, ſondern häßlich, mit böſem Gewiſſen behaftet, armenſündermäßig, wüſt, ſchnöd, ja bübiſch; gerade die grauſame Anſpannung des Willens gegen eine ſolche erniedrigende Naturgewalt wirkte mit dem Reize

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/53>, abgerufen am 21.05.2024.