Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
pvi_1269.001 §. 867. pvi_1269.027Weiter folgt aus der Grundbestimmung, daß der Held nicht isolirt auf-1. pvi_1269.028 Die epische Poesie setzt Massen, ja ganze Völker in Bewegung, denn pvi_1269.037
pvi_1269.001 §. 867. pvi_1269.027Weiter folgt aus der Grundbestimmung, daß der Held nicht isolirt auf-1. pvi_1269.028 Die epische Poesie setzt Massen, ja ganze Völker in Bewegung, denn pvi_1269.037 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0131" n="1269"/><lb n="pvi_1269.001"/> Götter, in denen das Subjective selbst objectiv erscheint, so sind es Umstände, <lb n="pvi_1269.002"/> allgemeine Lebensmächte, moralische Nothwendigkeiten, die wie Naturnothwendigkeiten <lb n="pvi_1269.003"/> auf das Jnnere wirken, Jnstincte. Zu dieser Seite <lb n="pvi_1269.004"/> gehört noch wesentlich, daß im epischen Helden nicht die Straffheit seines <lb n="pvi_1269.005"/> Zweckes die übrige Mannigfaltigkeit einer reichen Menschennatur beschränken <lb n="pvi_1269.006"/> und streng zusammenspannen darf: er muß ein voller, in reichen Beziehungen <lb n="pvi_1269.007"/> gegen die Welt geöffneter, allseitig empfänglicher, in mancherlei Verhältnissen <lb n="pvi_1269.008"/> sich bewegender Mensch sein (vergl. Hegel's schöne Darstellung Aesth. B. 1, <lb n="pvi_1269.009"/> S. 304. 305; B. 3, S. 361 ff.) Es folgt dieß aus dem Charakter der <lb n="pvi_1269.010"/> Sächlichkeit, der Substantialität, der realen Bedingtheit; wo das Weltwesen <lb n="pvi_1269.011"/> waltet, muß die Vielheit seiner Fäden vor Allem gerade in der Beziehung <lb n="pvi_1269.012"/> auf das Centrum der Persönlichkeit sich behaupten, nach demselben hin und <lb n="pvi_1269.013"/> von ihm wieder auslaufen. Die andere Seite liegt auf dem Puncte, wo <lb n="pvi_1269.014"/> das Jnnerliche sich erschließt. Es gilt trotz dem Obigen, daß das Epos <lb n="pvi_1269.015"/> mehr den außer sich wirkenden, als den nach innen geführten Menschen <lb n="pvi_1269.016"/> behandelt (Briefwechsel zwischen Göthe und Schiller a. a. O. S. 375. 376). <lb n="pvi_1269.017"/> Der innere Proceß muß selbst schon darauf angelegt sein, daß er auf ein <lb n="pvi_1269.018"/> breites, Massenbewegendes Wirken geht; geschieht dieß nicht in dem Sinne, <lb n="pvi_1269.019"/> daß die Handlung vor Allem die sinnlichen Organe des Menschen selbst <lb n="pvi_1269.020"/> gewaltig, heldenmäßig und dadurch erst große äußere Massen (<hi rendition="#aq">tantae <lb n="pvi_1269.021"/> molis erat, Romanam condere gentem</hi> ist ächt episch) in Bewegung setzt, <lb n="pvi_1269.022"/> so muß doch in anderer Form, in Reisen, Unternehmungen und Thätigkeiten <lb n="pvi_1269.023"/> jeder Art, die in's Weite gehen und sich beziehungsreich in die Weltverkettung <lb n="pvi_1269.024"/> einflechten, das im Jnnern Gewordene diesen in's Aeußere stetig <lb n="pvi_1269.025"/> auslaufenden Charakter offenbaren.</hi> </p> <lb n="pvi_1269.026"/> <p> <hi rendition="#c">§. 867.</hi> </p> <lb n="pvi_1269.027"/> <p> Weiter folgt aus der Grundbestimmung, daß der Held nicht isolirt auf-<note place="right">1.</note> <lb n="pvi_1269.028"/> tritt, sondern in instinctartiger Gesellung <hi rendition="#g">Viele</hi> zusammenwirken. Mit der <lb n="pvi_1269.029"/> massenhaften Fülle der Personen theilt sich die Handlung in eine Mannigfaltigkeit <lb n="pvi_1269.030"/> untergeordneter Handlungen. Neben den Menschen und ihn bewegend tritt<note place="right">2.</note> <lb n="pvi_1269.031"/> auf gleiche Höhe des Jnteresses das ganze übrige Dasein in seiner Breite: die <lb n="pvi_1269.032"/> sämmtlichen Culturformen und vor Allem die <hi rendition="#g">Natur</hi> in der geschlossenen Gesetzmäßigkeit <lb n="pvi_1269.033"/> ihres Lebens und Bildens. Daher wird auch das Geschichtliche <lb n="pvi_1269.034"/> mehr im Elemente des allgemein Menschlichen aufgefaßt und ist das Epos dem <lb n="pvi_1269.035"/> <hi rendition="#g">Sittenbilde</hi> verwandt.</p> <lb n="pvi_1269.036"/> <p> <hi rendition="#et"> Die epische Poesie setzt Massen, ja ganze Völker in Bewegung, denn <lb n="pvi_1269.037"/> sind die innern Motive einmal sächlich, substantiell gefaßt, so wollen sie <lb n="pvi_1269.038"/> auch große Bahnen, worauf Viele mitgehen. Sie wirken instinctiv, man </hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1269/0131]
pvi_1269.001
Götter, in denen das Subjective selbst objectiv erscheint, so sind es Umstände, pvi_1269.002
allgemeine Lebensmächte, moralische Nothwendigkeiten, die wie Naturnothwendigkeiten pvi_1269.003
auf das Jnnere wirken, Jnstincte. Zu dieser Seite pvi_1269.004
gehört noch wesentlich, daß im epischen Helden nicht die Straffheit seines pvi_1269.005
Zweckes die übrige Mannigfaltigkeit einer reichen Menschennatur beschränken pvi_1269.006
und streng zusammenspannen darf: er muß ein voller, in reichen Beziehungen pvi_1269.007
gegen die Welt geöffneter, allseitig empfänglicher, in mancherlei Verhältnissen pvi_1269.008
sich bewegender Mensch sein (vergl. Hegel's schöne Darstellung Aesth. B. 1, pvi_1269.009
S. 304. 305; B. 3, S. 361 ff.) Es folgt dieß aus dem Charakter der pvi_1269.010
Sächlichkeit, der Substantialität, der realen Bedingtheit; wo das Weltwesen pvi_1269.011
waltet, muß die Vielheit seiner Fäden vor Allem gerade in der Beziehung pvi_1269.012
auf das Centrum der Persönlichkeit sich behaupten, nach demselben hin und pvi_1269.013
von ihm wieder auslaufen. Die andere Seite liegt auf dem Puncte, wo pvi_1269.014
das Jnnerliche sich erschließt. Es gilt trotz dem Obigen, daß das Epos pvi_1269.015
mehr den außer sich wirkenden, als den nach innen geführten Menschen pvi_1269.016
behandelt (Briefwechsel zwischen Göthe und Schiller a. a. O. S. 375. 376). pvi_1269.017
Der innere Proceß muß selbst schon darauf angelegt sein, daß er auf ein pvi_1269.018
breites, Massenbewegendes Wirken geht; geschieht dieß nicht in dem Sinne, pvi_1269.019
daß die Handlung vor Allem die sinnlichen Organe des Menschen selbst pvi_1269.020
gewaltig, heldenmäßig und dadurch erst große äußere Massen (tantae pvi_1269.021
molis erat, Romanam condere gentem ist ächt episch) in Bewegung setzt, pvi_1269.022
so muß doch in anderer Form, in Reisen, Unternehmungen und Thätigkeiten pvi_1269.023
jeder Art, die in's Weite gehen und sich beziehungsreich in die Weltverkettung pvi_1269.024
einflechten, das im Jnnern Gewordene diesen in's Aeußere stetig pvi_1269.025
auslaufenden Charakter offenbaren.
pvi_1269.026
§. 867.
pvi_1269.027
Weiter folgt aus der Grundbestimmung, daß der Held nicht isolirt auf- pvi_1269.028
tritt, sondern in instinctartiger Gesellung Viele zusammenwirken. Mit der pvi_1269.029
massenhaften Fülle der Personen theilt sich die Handlung in eine Mannigfaltigkeit pvi_1269.030
untergeordneter Handlungen. Neben den Menschen und ihn bewegend tritt pvi_1269.031
auf gleiche Höhe des Jnteresses das ganze übrige Dasein in seiner Breite: die pvi_1269.032
sämmtlichen Culturformen und vor Allem die Natur in der geschlossenen Gesetzmäßigkeit pvi_1269.033
ihres Lebens und Bildens. Daher wird auch das Geschichtliche pvi_1269.034
mehr im Elemente des allgemein Menschlichen aufgefaßt und ist das Epos dem pvi_1269.035
Sittenbilde verwandt.
1.
2. pvi_1269.036
Die epische Poesie setzt Massen, ja ganze Völker in Bewegung, denn pvi_1269.037
sind die innern Motive einmal sächlich, substantiell gefaßt, so wollen sie pvi_1269.038
auch große Bahnen, worauf Viele mitgehen. Sie wirken instinctiv, man
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |