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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.

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meiner Erziehung. Allerdings hätte ich wohl in den späteren Jugendjahren pvi_X.002
mehr Willen und Beharrlichkeit gehabt, das Versäumte nachzuholen, pvi_X.003
wenn nicht Alles an einem tödtlichen Grauen vor Noten gescheitert pvi_X.004
wäre. Man versichert mich, daß ich ganz richtig höre, ich freue mich an pvi_X.005
der Musik, ich glaube Manches, weit mehr, als in jenem von mir ausgeführten pvi_X.006
Theil, über sie sagen können, und ich darf anführen, daß ein pvi_X.007
Kenner mir seine Verwunderung darüber ausgedrückt hat, wie erträglich pvi_X.008
die Ausführung der ganzen Lehre von dieser Kunst mir in den akademischen pvi_X.009
Vorlesungen gelungen sei. Jch bin aber allerdings mehr auf das Auge, pvi_X.010
als auf das Ohr angelegt und noch bestimmter muß ich bekennen, zu pvi_X.011
den unmathematischen Naturen zu gehören. So lernte ich denn kein pvi_X.012
Jnstrument und ein letzter, ganz später Versuch, mir theoretisch das pvi_X.013
Verständniß der Zeichenschrift der Musik anzueignen, war vergeblich. pvi_X.014
Wer aber keine Noten, kein Jnstrument versteht, hat ein für allemal pvi_X.015
kein Recht, über Musik zu schreiben; was er immer über sie gedacht haben pvi_X.016
mag, er würde bei jedem Schritt auf das Concrete stoßen, das er nicht pvi_X.017
berühren darf; ich wollte und konnte einen solchen Eiertanz nicht auf pvi_X.018
mich nehmen. Jch hatte nun die Wahl, entweder den Abschnitt über die pvi_X.019
Musik auf das Wenige zu beschränken, was ich gegeben, und so die pvi_X.020
Symmetrie meines Werkes zu opfern, oder dieselbe um den Preis zu pvi_X.021
retten, daß ich eine fremde Hand zu Hülfe rief. Der deutsche Sinn für pvi_X.022
Vollständigkeit und Ebenmäßigkeit zog das Erstere vor. Sagt man mir pvi_X.023
nun, wem es in einem so wesentlichen Stück fehle, der sei nicht berechtigt, pvi_X.024
eine Aesthetik zu schreiben, so muß ich es mir gefallen lassen und kann pvi_X.025
nur bedauern, daß es dennoch geschehen ist. - Auf dem Titel der pvi_X.026
Abtheilung von der Musik ist der Name meines Mitarbeiters nur darum pvi_X.027
nicht genannt, weil sich keine Bezeichnung darbot, welche in der Form pvi_X.028
und Kürze, wie es für diesen Zweck gefordert ist, seinen Antheil von pvi_X.029
dem meinigen unterschied.

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Zürich im Januar 1857.

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Fr. Vischer.

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meiner Erziehung. Allerdings hätte ich wohl in den späteren Jugendjahren pvi_X.002
mehr Willen und Beharrlichkeit gehabt, das Versäumte nachzuholen, pvi_X.003
wenn nicht Alles an einem tödtlichen Grauen vor Noten gescheitert pvi_X.004
wäre. Man versichert mich, daß ich ganz richtig höre, ich freue mich an pvi_X.005
der Musik, ich glaube Manches, weit mehr, als in jenem von mir ausgeführten pvi_X.006
Theil, über sie sagen können, und ich darf anführen, daß ein pvi_X.007
Kenner mir seine Verwunderung darüber ausgedrückt hat, wie erträglich pvi_X.008
die Ausführung der ganzen Lehre von dieser Kunst mir in den akademischen pvi_X.009
Vorlesungen gelungen sei. Jch bin aber allerdings mehr auf das Auge, pvi_X.010
als auf das Ohr angelegt und noch bestimmter muß ich bekennen, zu pvi_X.011
den unmathematischen Naturen zu gehören. So lernte ich denn kein pvi_X.012
Jnstrument und ein letzter, ganz später Versuch, mir theoretisch das pvi_X.013
Verständniß der Zeichenschrift der Musik anzueignen, war vergeblich. pvi_X.014
Wer aber keine Noten, kein Jnstrument versteht, hat ein für allemal pvi_X.015
kein Recht, über Musik zu schreiben; was er immer über sie gedacht haben pvi_X.016
mag, er würde bei jedem Schritt auf das Concrete stoßen, das er nicht pvi_X.017
berühren darf; ich wollte und konnte einen solchen Eiertanz nicht auf pvi_X.018
mich nehmen. Jch hatte nun die Wahl, entweder den Abschnitt über die pvi_X.019
Musik auf das Wenige zu beschränken, was ich gegeben, und so die pvi_X.020
Symmetrie meines Werkes zu opfern, oder dieselbe um den Preis zu pvi_X.021
retten, daß ich eine fremde Hand zu Hülfe rief. Der deutsche Sinn für pvi_X.022
Vollständigkeit und Ebenmäßigkeit zog das Erstere vor. Sagt man mir pvi_X.023
nun, wem es in einem so wesentlichen Stück fehle, der sei nicht berechtigt, pvi_X.024
eine Aesthetik zu schreiben, so muß ich es mir gefallen lassen und kann pvi_X.025
nur bedauern, daß es dennoch geschehen ist. – Auf dem Titel der pvi_X.026
Abtheilung von der Musik ist der Name meines Mitarbeiters nur darum pvi_X.027
nicht genannt, weil sich keine Bezeichnung darbot, welche in der Form pvi_X.028
und Kürze, wie es für diesen Zweck gefordert ist, seinen Antheil von pvi_X.029
dem meinigen unterschied.

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Zürich im Januar 1857.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. RX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/14>, abgerufen am 21.11.2024.