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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.

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Chaos der Abentheuer verwirren sich die ewigen, rein menschlichen Grundgefühle, pvi_1298.003
namentlich ist der Begriff der Treue schwankend geworden. Gervinus pvi_1298.004
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Gesunde des nationalen Heldengedichts von dem Ungesunden des ritterlichen pvi_1298.006
Epos fest geschieden zu haben.

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2. Die Legende setzt eigentlich das religiöse Epos voraus, indem pvi_1298.008
sie meist die Lebenswendung einer Person erzählt, die mit der Welt bricht pvi_1298.009
und in den neuen Olymp der Heiligkeit aufsteigt. Sie ist ein Fragment pvi_1298.010
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Menschen aus dieser in sie herüberzieht, ein Gegenbild des ritterlichen pvi_1298.012
Lebensgangs, aber ein kürzeres, weil hier die weltliche Fülle abgewiesen pvi_1298.013
ist, und kein reines, weil auch des Ritters höchstes Ziel ein jenseitiges, pvi_1298.014
ein Tempeldienst des heil. Graals u. s. w. ist. Sie kann sich auch auf pvi_1298.015
momentanere Wunder beschränken, ist aber immer zu bezeichnen als Darstellung pvi_1298.016
eines einzelnen Actes aus der großen Geschichte der Auflösung der pvi_1298.017
Welt in das Jenseits. Der §. nennt sie auch mystische Erzählung; wir könnten pvi_1298.018
sagen: kirchliche Novelle, wenn wir die letztere Bezeichnung schon eingeführt pvi_1298.019
hätten. Wirklich hat aber das reine Mittelalter wohl gewußt, warum pvi_1298.020
es das große Ganze der religiösen Sage nicht zu einem besondern Epos pvi_1298.021
verarbeitete, den Weg des Heliand und der Evangelienharmonie von Otfried pvi_1298.022
nicht verfolgte, genügenden epischen Jnhalt vielmehr nur in der Verbindung pvi_1298.023
der mystischen Sage mit der weltlichen suchte. Wir werden dieß pvi_1298.024
im Folgenden begründen. So konnte wirklich nur das Fragment eines pvi_1298.025
vorausgesetzten, rein religiösen Dichtungskreises aufkommen. Es ist aber pvi_1298.026
die Legende keine Form von bleibendem poetischem Werthe; ihr ascetischer pvi_1298.027
Geist macht sie zu einer Spezialität des Mittelalters. Die religiöse Weltanschauung pvi_1298.028
enthält allerdings in der Jronie, welche die weltliche Betrachtung pvi_1298.029
der Dinge umkehrt, eine Möglichkeit humoristischer Behandlung, die pvi_1298.030
auch den modernen Dichter auf dieß Gebiet führen mag, wo denn Erfreuliches pvi_1298.031
zu Tage kommt, wenn statt des kirchlich obligaten Motivs ein pvi_1298.032
gesund ethisches in Wirkung gesetzt wird, wie in Göthe's trefflicher Legende pvi_1298.033
von Petrus und dem Hufeisen.

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3. Das Mährchen führen wir, wiewohl es der classischen Welt an pvi_1298.035
dieser Form auch nicht fehlte, hier auf, weil es inniger zur Romantik gehört, pvi_1298.036
die ja mitten im Epos schon halb Mährchen war, da hier neben dem pvi_1298.037
eigentlichen Mythus des Mittelalters, den göttlichen Personen, ihren Wundern, pvi_1298.038
ihrer mystischen Gegenwart an besonderem Orte (h. Graal) die Feen, pvi_1298.039
Elfen, Zwerge u. s. w. ihre bekannte starke Rolle spielen und so das Mythische pvi_1298.040
als Phantastisches auftritt. Wenn wir das Orientalische ausführlicher pvi_1298.041
zu behandeln den Raum gehabt hätten, so hätte es ebensogut schon dort

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/160>, abgerufen am 21.11.2024.