Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.pvi_1414.001 Die Grundzüge dieses Unterschieds sind zum Theil schon in der Darstellung pvi_1414.005 pvi_1414.001 Die Grundzüge dieses Unterschieds sind zum Theil schon in der Darstellung pvi_1414.005 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0276" n="1414"/><lb n="pvi_1414.001"/> Musik und Tanz, fällt weg. Jnnigere Mischung des Ernsten und Komischen, <lb n="pvi_1414.002"/> Eintritt des Letzteren in die Tragödie und ernstes Jnteresse der Fabel in der <lb n="pvi_1414.003"/> Komödie folgt aus den innersten Bedingungen dieses Styls.</p> <lb n="pvi_1414.004"/> <p> <hi rendition="#et"> Die Grundzüge dieses Unterschieds sind zum Theil schon in der Darstellung <lb n="pvi_1414.005"/> des classisch idealen Styls ausgesprochen, da derselbe nur an seinem <lb n="pvi_1414.006"/> Gegensatze geschildert werden konnte, zum Theil müssen sie noch bei der <lb n="pvi_1414.007"/> folgenden Ziehung der bleibenden Theilungslinien zur Sprache kommen. <lb n="pvi_1414.008"/> Wir heben daher hier nur Weniges über einzelne Puncte hervor. Auf die <lb n="pvi_1414.009"/> dunkeln, großen Stoffe aus vorgeschichtlicher, sagenhafter Zeit mit ihren <lb n="pvi_1414.010"/> mythischen Motiven kann auch das Drama des naturwahren Styls nicht <lb n="pvi_1414.011"/> verzichten: die bedeutendsten Tragödien des Vaters des modernen Drama's, <lb n="pvi_1414.012"/> Shakespeare's, spielen auf solchem Boden. Die Begründung des charakteristischen <lb n="pvi_1414.013"/> Styls ist sein Werk, er sprang in voller Rüstung, wie Minerva, <lb n="pvi_1414.014"/> aus seinem Haupte. Seine sagenhaften Stoffe gehören der nordischen <lb n="pvi_1414.015"/> Welt; eignet sich der charakteristische Styl in dem Sinne, welcher zur Sprache <lb n="pvi_1414.016"/> kommen wird, den classischen an, so ist dadurch auch die Aufnahme antiker <lb n="pvi_1414.017"/> Sagenstoffe gegeben. Nur wird der Unterschied von den Alten nothwendig <lb n="pvi_1414.018"/> der sein, daß alle übernatürlichen Motive, welche diese Stoffe mit sich bringen, <lb n="pvi_1414.019"/> im Verlaufe der Handlung in's Jnnere verfolgt, zurückverlegt werden müssen. <lb n="pvi_1414.020"/> Das Schwere ist, dieß so zu behandeln, daß das Wunderbare zum Ausdruck <lb n="pvi_1414.021"/> einer inneren Wahrheit wird, ohne doch zur todten Allegorie sich <lb n="pvi_1414.022"/> auszuhöhlen; Shakespeare ist darin unübertroffen; er verbessert im Fortgang <lb n="pvi_1414.023"/> den mythischen Ausgang, seine Geister und Hexen werden zu Thatsachen <lb n="pvi_1414.024"/> des Bewußtseins und bewahren doch die ganze Schauer-Atmosphäre <lb n="pvi_1414.025"/> geglaubter Erscheinungen aus einem Reiche des Uebernatürlichen. Aehnlich <lb n="pvi_1414.026"/> verhält es sich mit den Furien in Göthe's Jphigenie; der Dichter verlegt <lb n="pvi_1414.027"/> sie von Anfang an nur in das Jnnere des Orestes und sie behalten doch <lb n="pvi_1414.028"/> die Lebens-Wahrheit uralter, geläufiger Tradition. Die wahre Heimath <lb n="pvi_1414.029"/> des modernen Drama ist aber allerdings die wunderlose Wirklichkeit der <lb n="pvi_1414.030"/> Geschichte. Es tritt mitten in die Bedingungen der Realität bis hinein in <lb n="pvi_1414.031"/> die engere Sphäre des Privat- und Familienlebens, das erst dem Jdeale <lb n="pvi_1414.032"/> der neueren Welt seine Wärme und innere Lebendigkeit erschlossen hat. Wie <lb n="pvi_1414.033"/> der Roman, so muß nun das Drama die Stellen aufsuchen, wo die prosaisch <lb n="pvi_1414.034"/> verstandene oder wirklich prosaische Ordnung der Geschichte durchbrochen <lb n="pvi_1414.035"/> wird, sich lüftet und ein Bild freierer Bewegung darbietet. Wir werden bei <lb n="pvi_1414.036"/> dem Unterschiede der Stoffe noch ein Wort über die Momente sagen, die <lb n="pvi_1414.037"/> der dramatische Dichter aufzusuchen hat; die Hinweisung liegt aber schon <lb n="pvi_1414.038"/> in dem, was der §. über die Charakterbehandlung und den Schicksalsbegriff <lb n="pvi_1414.039"/> des naturalistischen und individualisirenden Styls enthält. Die Transcendenz <lb n="pvi_1414.040"/> des Schicksals ist überwunden, dieß ergibt sich bereits aus der Forderung, </hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1414/0276]
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Musik und Tanz, fällt weg. Jnnigere Mischung des Ernsten und Komischen, pvi_1414.002
Eintritt des Letzteren in die Tragödie und ernstes Jnteresse der Fabel in der pvi_1414.003
Komödie folgt aus den innersten Bedingungen dieses Styls.
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Die Grundzüge dieses Unterschieds sind zum Theil schon in der Darstellung pvi_1414.005
des classisch idealen Styls ausgesprochen, da derselbe nur an seinem pvi_1414.006
Gegensatze geschildert werden konnte, zum Theil müssen sie noch bei der pvi_1414.007
folgenden Ziehung der bleibenden Theilungslinien zur Sprache kommen. pvi_1414.008
Wir heben daher hier nur Weniges über einzelne Puncte hervor. Auf die pvi_1414.009
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mythischen Motiven kann auch das Drama des naturwahren Styls nicht pvi_1414.011
verzichten: die bedeutendsten Tragödien des Vaters des modernen Drama's, pvi_1414.012
Shakespeare's, spielen auf solchem Boden. Die Begründung des charakteristischen pvi_1414.013
Styls ist sein Werk, er sprang in voller Rüstung, wie Minerva, pvi_1414.014
aus seinem Haupte. Seine sagenhaften Stoffe gehören der nordischen pvi_1414.015
Welt; eignet sich der charakteristische Styl in dem Sinne, welcher zur Sprache pvi_1414.016
kommen wird, den classischen an, so ist dadurch auch die Aufnahme antiker pvi_1414.017
Sagenstoffe gegeben. Nur wird der Unterschied von den Alten nothwendig pvi_1414.018
der sein, daß alle übernatürlichen Motive, welche diese Stoffe mit sich bringen, pvi_1414.019
im Verlaufe der Handlung in's Jnnere verfolgt, zurückverlegt werden müssen. pvi_1414.020
Das Schwere ist, dieß so zu behandeln, daß das Wunderbare zum Ausdruck pvi_1414.021
einer inneren Wahrheit wird, ohne doch zur todten Allegorie sich pvi_1414.022
auszuhöhlen; Shakespeare ist darin unübertroffen; er verbessert im Fortgang pvi_1414.023
den mythischen Ausgang, seine Geister und Hexen werden zu Thatsachen pvi_1414.024
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geglaubter Erscheinungen aus einem Reiche des Uebernatürlichen. Aehnlich pvi_1414.026
verhält es sich mit den Furien in Göthe's Jphigenie; der Dichter verlegt pvi_1414.027
sie von Anfang an nur in das Jnnere des Orestes und sie behalten doch pvi_1414.028
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des modernen Drama ist aber allerdings die wunderlose Wirklichkeit der pvi_1414.030
Geschichte. Es tritt mitten in die Bedingungen der Realität bis hinein in pvi_1414.031
die engere Sphäre des Privat- und Familienlebens, das erst dem Jdeale pvi_1414.032
der neueren Welt seine Wärme und innere Lebendigkeit erschlossen hat. Wie pvi_1414.033
der Roman, so muß nun das Drama die Stellen aufsuchen, wo die prosaisch pvi_1414.034
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wird, sich lüftet und ein Bild freierer Bewegung darbietet. Wir werden bei pvi_1414.036
dem Unterschiede der Stoffe noch ein Wort über die Momente sagen, die pvi_1414.037
der dramatische Dichter aufzusuchen hat; die Hinweisung liegt aber schon pvi_1414.038
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des Schicksals ist überwunden, dieß ergibt sich bereits aus der Forderung,
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