Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
pvi_1180.001 Was die Persönlichkeit des Dichters betrifft, so ist ihm durch den pvi_1180.026 §. 840. pvi_1180.038Da aber die Wirkungen der andern Künste in der Dichtkunst sich so wiederholen, pvi_1180.039
pvi_1180.001 Was die Persönlichkeit des Dichters betrifft, so ist ihm durch den pvi_1180.026 §. 840. pvi_1180.038Da aber die Wirkungen der andern Künste in der Dichtkunst sich so wiederholen, pvi_1180.039 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0042" n="1180"/><lb n="pvi_1180.001"/> Regel einzuführen, und die Vorkämpfer selbst giengen unter Vorgang Lessing's <lb n="pvi_1180.002"/> im Nathan auf die gebundene Form zurück. Eine Vergleichung der ersten <lb n="pvi_1180.003"/> und zweiten Bearbeitung von Göthe's Jphigenie gibt die interessantesten <lb n="pvi_1180.004"/> Belege für unsern Satz (vgl. Göthe's Jph. auf T. in ihrer ersten Gestalt <lb n="pvi_1180.005"/> herausgeg. v. Ad. Stahr). Jm bürgerlichen Lustspiel oder nach Shakespeare's <lb n="pvi_1180.006"/> Vorgang in komischen Scenen, die sich in das ernste Drama mischen, <lb n="pvi_1180.007"/> behauptet dagegen die Prosa ihr Recht, eben weil sie anzeigt, daß hier das <lb n="pvi_1180.008"/> Gewöhnliche jene Geltung hat, welche ihm an sich im Komischen gebührt. <lb n="pvi_1180.009"/> Die Auflösung des Epos in den Roman war zugleich ein Uebertritt dieser <lb n="pvi_1180.010"/> Gattung auf den Boden der Realität mit ihren prosaischen Bedingungen <lb n="pvi_1180.011"/> und ebendaher auch eine Auflösung der rhythmischen Sprache in die Prosa; <lb n="pvi_1180.012"/> die Frage über Bedeutung und Berechtigung dieser Form kann hier noch <lb n="pvi_1180.013"/> nicht aufgenommen werden. Ueberall jedoch muß die prosaische Rede in der <lb n="pvi_1180.014"/> Poesie wenigstens durch einen Anklang des Rhythmischen, den Numerus, <lb n="pvi_1180.015"/> ausdrücken, daß hier geweihter Boden ist, und ihren Eintritt rechtfertigen. – <lb n="pvi_1180.016"/> Es wirkt aber ferner die rhythmische Sprachform auf die Thätigkeit des <lb n="pvi_1180.017"/> Dichters auch in dem positiven Sinne zurück, daß sie im Einzelnen poetische <lb n="pvi_1180.018"/> Gedanken in ihm weckt, welche in der Jntention des Ganzen noch nicht <lb n="pvi_1180.019"/> angelegt waren. Auch hier hat die Musik=ähnlich gehobene Sprache etwas <lb n="pvi_1180.020"/> von der Natur eines Materials: es ist mehrmals, namentlich in §. 518, 1. <lb n="pvi_1180.021"/> gesagt, daß der Kampf mit dem Materiale auf die Erfindung so zurückwirkt, <lb n="pvi_1180.022"/> daß er Motive weckt. Wie manche schöne Dichterstelle verdankt ihren <lb n="pvi_1180.023"/> Ursprung dem Zwang und Drang eines metrischen Verhältnisses, eines <lb n="pvi_1180.024"/> Reims!</hi> </p> <lb n="pvi_1180.025"/> <p> <hi rendition="#et"> Was die Persönlichkeit des Dichters betrifft, so ist ihm durch den <lb n="pvi_1180.026"/> wesentlichen Unterschied zwischen dem bloßen Analogon von Musik in der <lb n="pvi_1180.027"/> rhythmischen Behandlung der Sprache und der wirklichen Tonkunst die <lb n="pvi_1180.028"/> Strenge und Länge der Schule erspart, welche der Musiker, wie der bildende <lb n="pvi_1180.029"/> Künstler bedarf. Dieß ist schon §. 520, Anm. 2. berührt. Der Dichter <lb n="pvi_1180.030"/> braucht überhaupt, da er mit einem wenig widerstrebenden Vehikel in dem <lb n="pvi_1180.031"/> flüchtigen Elemente der Phantasie arbeitet, seiner Kunst nicht das Ganze <lb n="pvi_1180.032"/> seiner Lebensbestimmung zu widmen, wenn ihm nur Geschäft, Amt u. s. w., <lb n="pvi_1180.033"/> dem er daneben sich widmen mag und das gegen die Versuchung zu überhitztem <lb n="pvi_1180.034"/> Phantasieleben den heilsamen Widerhalt einer gesunden Trockenheit <lb n="pvi_1180.035"/> gibt, die unentbehrliche Muße läßt. Freilich liegt in dieser größeren Freiheit <lb n="pvi_1180.036"/> vom Handwerk auch die stärkere Verlockung zum Dilettantismus.</hi> </p> <lb n="pvi_1180.037"/> <p> <hi rendition="#c">§. 840.</hi> </p> <lb n="pvi_1180.038"/> <p> Da aber die Wirkungen der andern Künste in der Dichtkunst sich so wiederholen, <lb n="pvi_1180.039"/> daß sie in ein schlechthin neues Element versetzt werden, wodurch allein </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1180/0042]
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Regel einzuführen, und die Vorkämpfer selbst giengen unter Vorgang Lessing's pvi_1180.002
im Nathan auf die gebundene Form zurück. Eine Vergleichung der ersten pvi_1180.003
und zweiten Bearbeitung von Göthe's Jphigenie gibt die interessantesten pvi_1180.004
Belege für unsern Satz (vgl. Göthe's Jph. auf T. in ihrer ersten Gestalt pvi_1180.005
herausgeg. v. Ad. Stahr). Jm bürgerlichen Lustspiel oder nach Shakespeare's pvi_1180.006
Vorgang in komischen Scenen, die sich in das ernste Drama mischen, pvi_1180.007
behauptet dagegen die Prosa ihr Recht, eben weil sie anzeigt, daß hier das pvi_1180.008
Gewöhnliche jene Geltung hat, welche ihm an sich im Komischen gebührt. pvi_1180.009
Die Auflösung des Epos in den Roman war zugleich ein Uebertritt dieser pvi_1180.010
Gattung auf den Boden der Realität mit ihren prosaischen Bedingungen pvi_1180.011
und ebendaher auch eine Auflösung der rhythmischen Sprache in die Prosa; pvi_1180.012
die Frage über Bedeutung und Berechtigung dieser Form kann hier noch pvi_1180.013
nicht aufgenommen werden. Ueberall jedoch muß die prosaische Rede in der pvi_1180.014
Poesie wenigstens durch einen Anklang des Rhythmischen, den Numerus, pvi_1180.015
ausdrücken, daß hier geweihter Boden ist, und ihren Eintritt rechtfertigen. – pvi_1180.016
Es wirkt aber ferner die rhythmische Sprachform auf die Thätigkeit des pvi_1180.017
Dichters auch in dem positiven Sinne zurück, daß sie im Einzelnen poetische pvi_1180.018
Gedanken in ihm weckt, welche in der Jntention des Ganzen noch nicht pvi_1180.019
angelegt waren. Auch hier hat die Musik=ähnlich gehobene Sprache etwas pvi_1180.020
von der Natur eines Materials: es ist mehrmals, namentlich in §. 518, 1. pvi_1180.021
gesagt, daß der Kampf mit dem Materiale auf die Erfindung so zurückwirkt, pvi_1180.022
daß er Motive weckt. Wie manche schöne Dichterstelle verdankt ihren pvi_1180.023
Ursprung dem Zwang und Drang eines metrischen Verhältnisses, eines pvi_1180.024
Reims!
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Was die Persönlichkeit des Dichters betrifft, so ist ihm durch den pvi_1180.026
wesentlichen Unterschied zwischen dem bloßen Analogon von Musik in der pvi_1180.027
rhythmischen Behandlung der Sprache und der wirklichen Tonkunst die pvi_1180.028
Strenge und Länge der Schule erspart, welche der Musiker, wie der bildende pvi_1180.029
Künstler bedarf. Dieß ist schon §. 520, Anm. 2. berührt. Der Dichter pvi_1180.030
braucht überhaupt, da er mit einem wenig widerstrebenden Vehikel in dem pvi_1180.031
flüchtigen Elemente der Phantasie arbeitet, seiner Kunst nicht das Ganze pvi_1180.032
seiner Lebensbestimmung zu widmen, wenn ihm nur Geschäft, Amt u. s. w., pvi_1180.033
dem er daneben sich widmen mag und das gegen die Versuchung zu überhitztem pvi_1180.034
Phantasieleben den heilsamen Widerhalt einer gesunden Trockenheit pvi_1180.035
gibt, die unentbehrliche Muße läßt. Freilich liegt in dieser größeren Freiheit pvi_1180.036
vom Handwerk auch die stärkere Verlockung zum Dilettantismus.
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§. 840.
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Da aber die Wirkungen der andern Künste in der Dichtkunst sich so wiederholen, pvi_1180.039
daß sie in ein schlechthin neues Element versetzt werden, wodurch allein
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