pvi_1181.001 ihre Vereinigung möglich wird, so muß ihre Aufnahme auch mit einem pvi_1181.002 großen Verluste verbunden sein: das Leben des Gefühls kann entfernt nicht pvi_1181.003 mit der Jnnigkeit erschöpft werden, wie in der Musik, das Sichtbare verliert pvi_1181.004 die Schärfe, Deutlichkeit, geschlossene Objectivität, welche ihm die bildende Kunst pvi_1181.005 gibt, und der Versuch, diesen Mangel durch verweilende Ausführung zu heben, pvi_1181.006 geräth, sowie die Darstellung des Gleichzeitigen, durch den Widerspruch mit der pvi_1181.007 Grundform der zeitlichen Fortbewegung in tiefe Schwierigkeiten.
pvi_1181.008
Wenn sich mit der Jnnigkeit des Gefühls die Deutlichkeit der Vorstellung pvi_1181.009 des Sichtbaren verbindet, wenn es nicht mehr in seiner Reinheit pvi_1181.010 durch Töne, sondern vermittelst genannter Objecte ausgesprochen wird, pvi_1181.011 wenn dieß Tageslicht in sein Helldunkel fällt, so entweicht nothwendig ein pvi_1181.012 gutes Theil seines eigenthümlichen Wesens; es bleibt nur warme Dunsthülle, pvi_1181.013 die einen lichten Kern umgibt, welcher von anderer Natur ist. Daß pvi_1181.014 es nach anderer Seite umfangreicher zur Darstellung kommt, haben wir im pvi_1181.015 vorh. §. gezeigt, bereits aber auch ausgesprochen, daß damit ein Verlust pvi_1181.016 in der Qualität verbunden sein muß. Und doch behält die Poesie von pvi_1181.017 der Musik gerade so viel bei, um dadurch auch nach anderer Seite einen pvi_1181.018 starken Verlust zu begründen. Musikalisch können wir nämlich ihre Jnnerlichkeit pvi_1181.019 überhaupt nennen, ihr Wesen, sofern sie sich blos an die innerlich pvi_1181.020 gesetzte Sinnlichkeit wendet: und dadurch wird nun auch die Vorführung pvi_1181.021 des Sichtbaren, wodurch sie die bildende Kunst in sich erneuert, mit einem pvi_1181.022 tiefen Mangel unvermeidlich behaftet. Die innerlich gesetzte Sinnlichkeit, pvi_1181.023 sofern in ihr der Proceß der Umbildung des Aufgenommenen beginnt, pvi_1181.024 heißt Einbildungskraft. Mit dieser Hereinziehung in das Jnnere verliert pvi_1181.025 die Anschauung nothwendig an Schärfe und Bestimmtheit, vergl. §. 388, 1. pvi_1181.026 Dieser Mangel wird auch durch die Phantasie als die zur Jdeal=bildenden pvi_1181.027 Thätigkeit erhobene Einbildung nicht ganz getilgt. Wenn dem reinen Bilde, pvi_1181.028 das sie im Jnnern erzeugt, volle Objectivität (§. 391), sogar ganze sinnliche pvi_1181.029 Lebendigkeit (§. 398) zuerkannt worden ist, so kann dieß nur relativen Sinn pvi_1181.030 haben; der Objectivität als blos innerem Gegenüberstellen kommt nicht die pvi_1181.031 Kraft der Unterscheidung zu, wie dem Gegenschlage zwischen Subject und pvi_1181.032 wirklichem, äußerem Object, dem lebendig sinnlichen Bilde, das nur innerer pvi_1181.033 Schein ist, nicht die Deutlichkeit, wie der eigentlichen, realen Erscheinung. pvi_1181.034 Ebendadurch war ja der Uebergang der Phantasie in die Kunst gefordert, pvi_1181.035 welche dem innern Bilde wieder die Objectivität und Deutlichkeit des Naturschönen pvi_1181.036 verleiht (§. 492, vergl. dazu besonders §. 510). Die Kunst selbst pvi_1181.037 aber, nachdem sie die Hauptformen der Darstellung in sinnlichem Materiale pvi_1181.038 durchlaufen hat, kehrt nun auf höherer Stufe zu dem Standpuncte der pvi_1181.039 Phantasie vor der Kunst zurück. "Auf höherer Stufe," denn der Unterschied pvi_1181.040 ist klar: die Phantasie als Dichtkunst ist ja von der Phantasie,
pvi_1181.001 ihre Vereinigung möglich wird, so muß ihre Aufnahme auch mit einem pvi_1181.002 großen Verluste verbunden sein: das Leben des Gefühls kann entfernt nicht pvi_1181.003 mit der Jnnigkeit erschöpft werden, wie in der Musik, das Sichtbare verliert pvi_1181.004 die Schärfe, Deutlichkeit, geschlossene Objectivität, welche ihm die bildende Kunst pvi_1181.005 gibt, und der Versuch, diesen Mangel durch verweilende Ausführung zu heben, pvi_1181.006 geräth, sowie die Darstellung des Gleichzeitigen, durch den Widerspruch mit der pvi_1181.007 Grundform der zeitlichen Fortbewegung in tiefe Schwierigkeiten.
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Wenn sich mit der Jnnigkeit des Gefühls die Deutlichkeit der Vorstellung pvi_1181.009 des Sichtbaren verbindet, wenn es nicht mehr in seiner Reinheit pvi_1181.010 durch Töne, sondern vermittelst genannter Objecte ausgesprochen wird, pvi_1181.011 wenn dieß Tageslicht in sein Helldunkel fällt, so entweicht nothwendig ein pvi_1181.012 gutes Theil seines eigenthümlichen Wesens; es bleibt nur warme Dunsthülle, pvi_1181.013 die einen lichten Kern umgibt, welcher von anderer Natur ist. Daß pvi_1181.014 es nach anderer Seite umfangreicher zur Darstellung kommt, haben wir im pvi_1181.015 vorh. §. gezeigt, bereits aber auch ausgesprochen, daß damit ein Verlust pvi_1181.016 in der Qualität verbunden sein muß. Und doch behält die Poesie von pvi_1181.017 der Musik gerade so viel bei, um dadurch auch nach anderer Seite einen pvi_1181.018 starken Verlust zu begründen. Musikalisch können wir nämlich ihre Jnnerlichkeit pvi_1181.019 überhaupt nennen, ihr Wesen, sofern sie sich blos an die innerlich pvi_1181.020 gesetzte Sinnlichkeit wendet: und dadurch wird nun auch die Vorführung pvi_1181.021 des Sichtbaren, wodurch sie die bildende Kunst in sich erneuert, mit einem pvi_1181.022 tiefen Mangel unvermeidlich behaftet. Die innerlich gesetzte Sinnlichkeit, pvi_1181.023 sofern in ihr der Proceß der Umbildung des Aufgenommenen beginnt, pvi_1181.024 heißt Einbildungskraft. Mit dieser Hereinziehung in das Jnnere verliert pvi_1181.025 die Anschauung nothwendig an Schärfe und Bestimmtheit, vergl. §. 388, 1. pvi_1181.026 Dieser Mangel wird auch durch die Phantasie als die zur Jdeal=bildenden pvi_1181.027 Thätigkeit erhobene Einbildung nicht ganz getilgt. Wenn dem reinen Bilde, pvi_1181.028 das sie im Jnnern erzeugt, volle Objectivität (§. 391), sogar ganze sinnliche pvi_1181.029 Lebendigkeit (§. 398) zuerkannt worden ist, so kann dieß nur relativen Sinn pvi_1181.030 haben; der Objectivität als blos innerem Gegenüberstellen kommt nicht die pvi_1181.031 Kraft der Unterscheidung zu, wie dem Gegenschlage zwischen Subject und pvi_1181.032 wirklichem, äußerem Object, dem lebendig sinnlichen Bilde, das nur innerer pvi_1181.033 Schein ist, nicht die Deutlichkeit, wie der eigentlichen, realen Erscheinung. pvi_1181.034 Ebendadurch war ja der Uebergang der Phantasie in die Kunst gefordert, pvi_1181.035 welche dem innern Bilde wieder die Objectivität und Deutlichkeit des Naturschönen pvi_1181.036 verleiht (§. 492, vergl. dazu besonders §. 510). Die Kunst selbst pvi_1181.037 aber, nachdem sie die Hauptformen der Darstellung in sinnlichem Materiale pvi_1181.038 durchlaufen hat, kehrt nun auf höherer Stufe zu dem Standpuncte der pvi_1181.039 Phantasie vor der Kunst zurück. „Auf höherer Stufe,“ denn der Unterschied pvi_1181.040 ist klar: die Phantasie als Dichtkunst ist ja von der Phantasie,
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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/43>, abgerufen am 16.07.2024.
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