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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Die Entwicklung der einzelnen Typen des Thierreiches kann nicht
aus den äußeren Formen, nicht aus den dürftigen Notizen über den
inneren Bau, die man in den meisten Schulbüchern oder populären
Naturgeschichten findet, noch weniger aus den stets wiedergekäuten
amüsanten Histörchen alter und neuer Scharteken erkannt werden.
Das Leben der Thiere kennt für alle Erscheinungen die es bietet, nur
zwei große Triebfedern, welche alle Kräfte und Fähigkeiten in Bewe-
gung setzen, die Erhaltung des Individuums und die Erhaltung der
Art -- Ernährung und Fortpflanzung. Beide Seiten des Thierlebens
forderten gleiche Sorgfalt der Behandlung. Es war unvermeidlich, bei
Besprechung der letzteren Seite auf manche Organe und Functionen
einzugehen, welche eine, meines Erachtens höchst übel angebrachte Prü-
derie aus den meisten Lehrbüchern der Naturgeschichte verbannt hat.
Die unbefangene, einfache Behandlung dieser Verhältnisse scheint mir
zweckmäßiger, als die reizende, geflissentliche Verhüllung. Bei dem
heutigen Stande der Wissenschaft, welche den Bau ihres Systemes,
die Erkenntniß der Verwandtschaft zwischen den einzelnen Gruppen
und Typen wesentlich auf die Entstehungsgeschichte der Thiere im Ei,
von dem ersten Augenblicke ihres Keimens an, und auf die Verwand-
lungen, welche sie im Leben erleiden, stützt, ist es unmöglich, eine klare
Einsicht in die Thierwelt zu verschaffen, wenn man diese Entstehungs-
geschichte zur Seite läßt. -- Ich habe also die Zeugungs- und Ent-
wicklungsgeschichte der Thiere, die vergleichende Embryologie, über
die man sonst nur spärliche Notizen findet, mit besonderer Aufmerk-
samkeit behandelt.

Zur Versinnlichung des Abgehandelten waren Figuren nothwen-
dig. Der Leser wird der Verlagshandlung dankbar sein können für
die reiche Ausstattung, welche sie gewährte. Dieselbe würde noch voll-
ständiger in Beziehung auf die Versteinerungen geworden sein, wenn
ein anderer Buchhändler, in dessen freundschaftliche Beziehungen zu
mir die politischen Ueberzeugungen störend eingegriffen zu haben schei-
nen, nicht stillschweigend die Mittheilung der Holzschnitte eines meiner
eigenen Werke versagt hätte, zu welchen ich selbst vor mehren Jah-
ren die Zeichnungen gefertigt hatte.

Bern am 1. September 1850.


Die Entwicklung der einzelnen Typen des Thierreiches kann nicht
aus den äußeren Formen, nicht aus den dürftigen Notizen über den
inneren Bau, die man in den meiſten Schulbüchern oder populären
Naturgeſchichten findet, noch weniger aus den ſtets wiedergekäuten
amüſanten Hiſtörchen alter und neuer Scharteken erkannt werden.
Das Leben der Thiere kennt für alle Erſcheinungen die es bietet, nur
zwei große Triebfedern, welche alle Kräfte und Fähigkeiten in Bewe-
gung ſetzen, die Erhaltung des Individuums und die Erhaltung der
Art — Ernährung und Fortpflanzung. Beide Seiten des Thierlebens
forderten gleiche Sorgfalt der Behandlung. Es war unvermeidlich, bei
Beſprechung der letzteren Seite auf manche Organe und Functionen
einzugehen, welche eine, meines Erachtens höchſt übel angebrachte Prü-
derie aus den meiſten Lehrbüchern der Naturgeſchichte verbannt hat.
Die unbefangene, einfache Behandlung dieſer Verhältniſſe ſcheint mir
zweckmäßiger, als die reizende, gefliſſentliche Verhüllung. Bei dem
heutigen Stande der Wiſſenſchaft, welche den Bau ihres Syſtemes,
die Erkenntniß der Verwandtſchaft zwiſchen den einzelnen Gruppen
und Typen weſentlich auf die Entſtehungsgeſchichte der Thiere im Ei,
von dem erſten Augenblicke ihres Keimens an, und auf die Verwand-
lungen, welche ſie im Leben erleiden, ſtützt, iſt es unmöglich, eine klare
Einſicht in die Thierwelt zu verſchaffen, wenn man dieſe Entſtehungs-
geſchichte zur Seite läßt. — Ich habe alſo die Zeugungs- und Ent-
wicklungsgeſchichte der Thiere, die vergleichende Embryologie, über
die man ſonſt nur ſpärliche Notizen findet, mit beſonderer Aufmerk-
ſamkeit behandelt.

Zur Verſinnlichung des Abgehandelten waren Figuren nothwen-
dig. Der Leſer wird der Verlagshandlung dankbar ſein können für
die reiche Ausſtattung, welche ſie gewährte. Dieſelbe würde noch voll-
ſtändiger in Beziehung auf die Verſteinerungen geworden ſein, wenn
ein anderer Buchhändler, in deſſen freundſchaftliche Beziehungen zu
mir die politiſchen Ueberzeugungen ſtörend eingegriffen zu haben ſchei-
nen, nicht ſtillſchweigend die Mittheilung der Holzſchnitte eines meiner
eigenen Werke verſagt hätte, zu welchen ich ſelbſt vor mehren Jah-
ren die Zeichnungen gefertigt hatte.

Bern am 1. September 1850.


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[8/0014] Die Entwicklung der einzelnen Typen des Thierreiches kann nicht aus den äußeren Formen, nicht aus den dürftigen Notizen über den inneren Bau, die man in den meiſten Schulbüchern oder populären Naturgeſchichten findet, noch weniger aus den ſtets wiedergekäuten amüſanten Hiſtörchen alter und neuer Scharteken erkannt werden. Das Leben der Thiere kennt für alle Erſcheinungen die es bietet, nur zwei große Triebfedern, welche alle Kräfte und Fähigkeiten in Bewe- gung ſetzen, die Erhaltung des Individuums und die Erhaltung der Art — Ernährung und Fortpflanzung. Beide Seiten des Thierlebens forderten gleiche Sorgfalt der Behandlung. Es war unvermeidlich, bei Beſprechung der letzteren Seite auf manche Organe und Functionen einzugehen, welche eine, meines Erachtens höchſt übel angebrachte Prü- derie aus den meiſten Lehrbüchern der Naturgeſchichte verbannt hat. Die unbefangene, einfache Behandlung dieſer Verhältniſſe ſcheint mir zweckmäßiger, als die reizende, gefliſſentliche Verhüllung. Bei dem heutigen Stande der Wiſſenſchaft, welche den Bau ihres Syſtemes, die Erkenntniß der Verwandtſchaft zwiſchen den einzelnen Gruppen und Typen weſentlich auf die Entſtehungsgeſchichte der Thiere im Ei, von dem erſten Augenblicke ihres Keimens an, und auf die Verwand- lungen, welche ſie im Leben erleiden, ſtützt, iſt es unmöglich, eine klare Einſicht in die Thierwelt zu verſchaffen, wenn man dieſe Entſtehungs- geſchichte zur Seite läßt. — Ich habe alſo die Zeugungs- und Ent- wicklungsgeſchichte der Thiere, die vergleichende Embryologie, über die man ſonſt nur ſpärliche Notizen findet, mit beſonderer Aufmerk- ſamkeit behandelt. Zur Verſinnlichung des Abgehandelten waren Figuren nothwen- dig. Der Leſer wird der Verlagshandlung dankbar ſein können für die reiche Ausſtattung, welche ſie gewährte. Dieſelbe würde noch voll- ſtändiger in Beziehung auf die Verſteinerungen geworden ſein, wenn ein anderer Buchhändler, in deſſen freundſchaftliche Beziehungen zu mir die politiſchen Ueberzeugungen ſtörend eingegriffen zu haben ſchei- nen, nicht ſtillſchweigend die Mittheilung der Holzſchnitte eines meiner eigenen Werke verſagt hätte, zu welchen ich ſelbſt vor mehren Jah- ren die Zeichnungen gefertigt hatte. Bern am 1. September 1850.

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/14>, abgerufen am 22.12.2024.