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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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hoffe der Leser soll, nachdem er dieses Buch aufmerksam gelesen und
sich mitseinem Inhalte vertraut gemacht hat, wissen, was ein Insekt,
eine Qualle, ein Fisch, ein Säugethier ist, wie die Lebensverrichtungen
der Thiere zu Stande kommen, auf welche Weise sie sich von andern
Thieren unterscheiden und welche Stelle sie in dem Bilde einnehmen,
welches die Thierwelt vor uns aufrollt. Die Wiedergabe eines solchen
unermeßlichen Bildes in so kleinem Rahmen, wie der unsrige, kann
nur in ähnlicher Weise erreicht werden, wie bei einem Landschafts-
bilde, wo die einzelnen Blätter und Grashalme, Steinchen und Was-
sertropfen verschwinden, aber Wald und Wiese, Fluß und Hügel,
Berg und Thal dem Beschauer dennoch aus gewisser Ferne entgegen treten.

Wenn jemals, so darf ich sagen, daß ich mit Lust und Liebe an
diesem Bilde gemalt habe, das mir in seinen ersten Umrissen schon
vorschwebte, als ich das Gebiet der Wissenschaft betrat und dessen
einzelne Parthieen ich stets durch eigene Beobachtung und das Stu-
dium Anderer zu vervollkommnen gesucht habe. Nach dem traurigen
Mißlingen der deutschen Revolution, die sich hoffentlich bald wieder
glänzender aus ihrer Asche erheben wird, kann ich einem Ministerium
des liberalsten Sinnes nur dankbar sein, wenn es mich für unwürdig
erklärt, der zum Dienste eines christlich-germanischen Duodez-Staates be-
stimmten studirenden Jugend Naturgeschichte vorzutragen, und der fort-
schreitenden Reaction darf ich zutrauen, daß sie durch stete Verschlimme-
rung der unleidlichen Zustände Deutschlands nicht den Wunsch in mir
aufkommen läßt, während der Ausarbeitung meines Werkes die freie Luft
der Schweiz mit der Schwüle meines Geburtslandes zu vertauschen.
Ich bin dadurch in den Stand gesetzt, einen Lieblingsgedanken auszu-
führen, den ich seit langer Zeit hegte.

Zweck und Plan des Buches habe ich schon angedeutet. Ich wollte,
so viel an mir, den Grundplan verständlich machen, nach welchem
das Thierreich in seinen verschiedenen Richtungen sich darstellt und
in früheren Perioden der Geschichte unseres Erdballs ausgebildet hat.
Die einseitige Kenntniß der lebenden Thiere würde hierzu nicht ge-
nügt haben -- der innere Zusammenhang der einzelnen Gruppen, die
Verbindung so mancher, scheinbar isolirt stehender Typen wird erst
ersichtlich, wenn auch die früheren Bewohner unseres Planeten in Be-
rücksichtigung gezogen werden. Jede Naturgeschichte des Thierreiches,
welche nur die lebende Schöpfung zusammenfaßt, bleibt Flickwerk. --
Ich habe demnach die fossilen Thierreste, die Versteinerungen in dem-
selben Umfange und mit derselben Gleichberechtigung behandelt, wie
die lebenden Thiere.


hoffe der Leſer ſoll, nachdem er dieſes Buch aufmerkſam geleſen und
ſich mitſeinem Inhalte vertraut gemacht hat, wiſſen, was ein Inſekt,
eine Qualle, ein Fiſch, ein Säugethier iſt, wie die Lebensverrichtungen
der Thiere zu Stande kommen, auf welche Weiſe ſie ſich von andern
Thieren unterſcheiden und welche Stelle ſie in dem Bilde einnehmen,
welches die Thierwelt vor uns aufrollt. Die Wiedergabe eines ſolchen
unermeßlichen Bildes in ſo kleinem Rahmen, wie der unſrige, kann
nur in ähnlicher Weiſe erreicht werden, wie bei einem Landſchafts-
bilde, wo die einzelnen Blätter und Grashalme, Steinchen und Waſ-
ſertropfen verſchwinden, aber Wald und Wieſe, Fluß und Hügel,
Berg und Thal dem Beſchauer dennoch aus gewiſſer Ferne entgegen treten.

Wenn jemals, ſo darf ich ſagen, daß ich mit Luſt und Liebe an
dieſem Bilde gemalt habe, das mir in ſeinen erſten Umriſſen ſchon
vorſchwebte, als ich das Gebiet der Wiſſenſchaft betrat und deſſen
einzelne Parthieen ich ſtets durch eigene Beobachtung und das Stu-
dium Anderer zu vervollkommnen geſucht habe. Nach dem traurigen
Mißlingen der deutſchen Revolution, die ſich hoffentlich bald wieder
glänzender aus ihrer Aſche erheben wird, kann ich einem Miniſterium
des liberalſten Sinnes nur dankbar ſein, wenn es mich für unwürdig
erklärt, der zum Dienſte eines chriſtlich-germaniſchen Duodez-Staates be-
ſtimmten ſtudirenden Jugend Naturgeſchichte vorzutragen, und der fort-
ſchreitenden Reaction darf ich zutrauen, daß ſie durch ſtete Verſchlimme-
rung der unleidlichen Zuſtände Deutſchlands nicht den Wunſch in mir
aufkommen läßt, während der Ausarbeitung meines Werkes die freie Luft
der Schweiz mit der Schwüle meines Geburtslandes zu vertauſchen.
Ich bin dadurch in den Stand geſetzt, einen Lieblingsgedanken auszu-
führen, den ich ſeit langer Zeit hegte.

Zweck und Plan des Buches habe ich ſchon angedeutet. Ich wollte,
ſo viel an mir, den Grundplan verſtändlich machen, nach welchem
das Thierreich in ſeinen verſchiedenen Richtungen ſich darſtellt und
in früheren Perioden der Geſchichte unſeres Erdballs ausgebildet hat.
Die einſeitige Kenntniß der lebenden Thiere würde hierzu nicht ge-
nügt haben — der innere Zuſammenhang der einzelnen Gruppen, die
Verbindung ſo mancher, ſcheinbar iſolirt ſtehender Typen wird erſt
erſichtlich, wenn auch die früheren Bewohner unſeres Planeten in Be-
rückſichtigung gezogen werden. Jede Naturgeſchichte des Thierreiches,
welche nur die lebende Schöpfung zuſammenfaßt, bleibt Flickwerk. —
Ich habe demnach die foſſilen Thierreſte, die Verſteinerungen in dem-
ſelben Umfange und mit derſelben Gleichberechtigung behandelt, wie
die lebenden Thiere.


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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/13>, abgerufen am 28.04.2024.