Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

ficirt werden können; selbst in nahverwandten Thiergattungen ist die
Möglichkeit der Veränderungen oft sehr verschieden. Die Unterschiede
zwischen unserm gewöhnlichen Fuchs und dem brasilianischen sind bei
weitem nicht so groß, als diejenigen zwischen einem Dachshunde und
einem Windhunde und dennoch sind die beiden Füchse gewiß verschie-
dene Arten, während die beiden Hunde derselben Art angehören und
nur Varietäten darstellen. Es begreift sich darnach, wie so viele
Streitigkeiten sich entspinnen konnten über die Grenzen der Art-Cha-
raktere und wie es möglich war, daß der eine Naturforscher zwei
Thiere als verschiedene Arten auffassen konnte, während der andere in
ihnen nur Varietäten derselben Art erblickte.

Von ungemeiner Wichtigkeit ist die Schlichtung dieser Streitig-
keiten, besonders für die Bestimmung derjenigen Reste, welche wir nur
im versteinerten Zustande kennen. Während hier eine große Partei be-
hauptet, die Perioden der Erdgeschichte seien durch gewaltige Revolu-
tionen von einander getrennt, durch welche alles Lebende vernichtet
wurde und nach denen neue Arten entsta[n]den seien, welche von den
Arten der vorhergehenden Periode vollkommen verschieden waren, so
läugnet die andere Partei zwar diese Revolutionen nicht, schreibt ihnen
aber nur partielle Wirkungen zu und sucht die Veränderung der ein-
zelnen Arten aus der Veränderung der Erdverhältnisse zu erklären.
Die Einen behaupten, es finde kein Uebergang statt, die Andern wol-
len, daß die jetzigen Thiere ihre Stammeltern und zwar ihre direkten
Stammeltern in den untergegangenen Schöpfungen besitzen. Dieselben
Charaktere fossiler Muscheln, welche der Eine zum Beweis anführt,
daß eine Species untergegangen und eine neue entstanden sei, dieselben
Charaktere dienen dem Andern als Stützpunkte für seine Behauptung,
daß die Art sich im Laufe der Jahrhunderte umgewandelt habe. Wem
nun hier Recht geben, wo die Entscheidung durch direkte Beobachtung
nicht möglich und die aus der Analogie hergenommene Wahrscheinlich-
keit stets dem Angriffe ausgesetzt ist? Indeß läßt sich auch die Lösung
in der Folge hoffen. Da wo die übergebliebenen Reste wichtigen und
charakteristischen Theilen angehören, sind diese Diskussionen über die
Abgrenzung der Arten allmählig von selbst erloschen. Ueber fossile
Säugethiere z. B., deren vollständige Zahnreihen und charakteristische
Gliederknochen man kennt, taucht nur selten ein Streit auf; aber
bei Muscheln und Schneckenschalen, die doch nur unwesentliche Theile
des Körpers bilden und über deren Veränderlichkeit wir noch bei kei-
ner einzigen Art eine genügende Beobachtungsreihe besitzen, bei diesen
brennt der Streit jetzt noch häufig fort; er wird auch hier seine Er-

ficirt werden können; ſelbſt in nahverwandten Thiergattungen iſt die
Möglichkeit der Veränderungen oft ſehr verſchieden. Die Unterſchiede
zwiſchen unſerm gewöhnlichen Fuchs und dem braſilianiſchen ſind bei
weitem nicht ſo groß, als diejenigen zwiſchen einem Dachshunde und
einem Windhunde und dennoch ſind die beiden Füchſe gewiß verſchie-
dene Arten, während die beiden Hunde derſelben Art angehören und
nur Varietäten darſtellen. Es begreift ſich darnach, wie ſo viele
Streitigkeiten ſich entſpinnen konnten über die Grenzen der Art-Cha-
raktere und wie es möglich war, daß der eine Naturforſcher zwei
Thiere als verſchiedene Arten auffaſſen konnte, während der andere in
ihnen nur Varietäten derſelben Art erblickte.

Von ungemeiner Wichtigkeit iſt die Schlichtung dieſer Streitig-
keiten, beſonders für die Beſtimmung derjenigen Reſte, welche wir nur
im verſteinerten Zuſtande kennen. Während hier eine große Partei be-
hauptet, die Perioden der Erdgeſchichte ſeien durch gewaltige Revolu-
tionen von einander getrennt, durch welche alles Lebende vernichtet
wurde und nach denen neue Arten entſta[n]den ſeien, welche von den
Arten der vorhergehenden Periode vollkommen verſchieden waren, ſo
läugnet die andere Partei zwar dieſe Revolutionen nicht, ſchreibt ihnen
aber nur partielle Wirkungen zu und ſucht die Veränderung der ein-
zelnen Arten aus der Veränderung der Erdverhältniſſe zu erklären.
Die Einen behaupten, es finde kein Uebergang ſtatt, die Andern wol-
len, daß die jetzigen Thiere ihre Stammeltern und zwar ihre direkten
Stammeltern in den untergegangenen Schöpfungen beſitzen. Dieſelben
Charaktere foſſiler Muſcheln, welche der Eine zum Beweis anführt,
daß eine Species untergegangen und eine neue entſtanden ſei, dieſelben
Charaktere dienen dem Andern als Stützpunkte für ſeine Behauptung,
daß die Art ſich im Laufe der Jahrhunderte umgewandelt habe. Wem
nun hier Recht geben, wo die Entſcheidung durch direkte Beobachtung
nicht möglich und die aus der Analogie hergenommene Wahrſcheinlich-
keit ſtets dem Angriffe ausgeſetzt iſt? Indeß läßt ſich auch die Löſung
in der Folge hoffen. Da wo die übergebliebenen Reſte wichtigen und
charakteriſtiſchen Theilen angehören, ſind dieſe Diskuſſionen über die
Abgrenzung der Arten allmählig von ſelbſt erloſchen. Ueber foſſile
Säugethiere z. B., deren vollſtändige Zahnreihen und charakteriſtiſche
Gliederknochen man kennt, taucht nur ſelten ein Streit auf; aber
bei Muſcheln und Schneckenſchalen, die doch nur unweſentliche Theile
des Körpers bilden und über deren Veränderlichkeit wir noch bei kei-
ner einzigen Art eine genügende Beobachtungsreihe beſitzen, bei dieſen
brennt der Streit jetzt noch häufig fort; er wird auch hier ſeine Er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="23"/>
ficirt werden können; &#x017F;elb&#x017F;t in nahverwandten Thiergattungen i&#x017F;t die<lb/>
Möglichkeit der Veränderungen oft &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden. Die Unter&#x017F;chiede<lb/>
zwi&#x017F;chen un&#x017F;erm gewöhnlichen Fuchs und dem bra&#x017F;iliani&#x017F;chen &#x017F;ind bei<lb/>
weitem nicht &#x017F;o groß, als diejenigen zwi&#x017F;chen einem Dachshunde und<lb/>
einem Windhunde und dennoch &#x017F;ind die beiden Füch&#x017F;e gewiß ver&#x017F;chie-<lb/>
dene Arten, während die beiden Hunde der&#x017F;elben Art angehören und<lb/>
nur Varietäten dar&#x017F;tellen. Es begreift &#x017F;ich darnach, wie &#x017F;o viele<lb/>
Streitigkeiten &#x017F;ich ent&#x017F;pinnen konnten über die Grenzen der Art-Cha-<lb/>
raktere und wie es möglich war, daß der eine Naturfor&#x017F;cher zwei<lb/>
Thiere als ver&#x017F;chiedene Arten auffa&#x017F;&#x017F;en konnte, während der andere in<lb/>
ihnen nur Varietäten der&#x017F;elben Art erblickte.</p><lb/>
        <p>Von ungemeiner Wichtigkeit i&#x017F;t die Schlichtung die&#x017F;er Streitig-<lb/>
keiten, be&#x017F;onders für die Be&#x017F;timmung derjenigen Re&#x017F;te, welche wir nur<lb/>
im ver&#x017F;teinerten Zu&#x017F;tande kennen. Während hier eine große Partei be-<lb/>
hauptet, die Perioden der Erdge&#x017F;chichte &#x017F;eien durch gewaltige Revolu-<lb/>
tionen von einander getrennt, durch welche alles Lebende vernichtet<lb/>
wurde und nach denen neue Arten ent&#x017F;ta<supplied>n</supplied>den &#x017F;eien, welche von den<lb/>
Arten der vorhergehenden Periode vollkommen ver&#x017F;chieden waren, &#x017F;o<lb/>
läugnet die andere Partei zwar die&#x017F;e Revolutionen nicht, &#x017F;chreibt ihnen<lb/>
aber nur partielle Wirkungen zu und &#x017F;ucht die Veränderung der ein-<lb/>
zelnen Arten aus der Veränderung der Erdverhältni&#x017F;&#x017F;e zu erklären.<lb/>
Die Einen behaupten, es finde kein Uebergang &#x017F;tatt, die Andern wol-<lb/>
len, daß die jetzigen Thiere ihre Stammeltern und zwar ihre direkten<lb/>
Stammeltern in den untergegangenen Schöpfungen be&#x017F;itzen. Die&#x017F;elben<lb/>
Charaktere fo&#x017F;&#x017F;iler Mu&#x017F;cheln, welche der Eine zum Beweis anführt,<lb/>
daß eine Species untergegangen und eine neue ent&#x017F;tanden &#x017F;ei, die&#x017F;elben<lb/>
Charaktere dienen dem Andern als Stützpunkte für &#x017F;eine Behauptung,<lb/>
daß die Art &#x017F;ich im Laufe der Jahrhunderte umgewandelt habe. Wem<lb/>
nun hier Recht geben, wo die Ent&#x017F;cheidung durch direkte Beobachtung<lb/>
nicht möglich und die aus der Analogie hergenommene Wahr&#x017F;cheinlich-<lb/>
keit &#x017F;tets dem Angriffe ausge&#x017F;etzt i&#x017F;t? Indeß läßt &#x017F;ich auch die Lö&#x017F;ung<lb/>
in der Folge hoffen. Da wo die übergebliebenen Re&#x017F;te wichtigen und<lb/>
charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen Theilen angehören, &#x017F;ind die&#x017F;e Disku&#x017F;&#x017F;ionen über die<lb/>
Abgrenzung der Arten allmählig von &#x017F;elb&#x017F;t erlo&#x017F;chen. Ueber fo&#x017F;&#x017F;ile<lb/>
Säugethiere z. B., deren voll&#x017F;tändige Zahnreihen und charakteri&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Gliederknochen man kennt, taucht nur &#x017F;elten ein Streit auf; aber<lb/>
bei Mu&#x017F;cheln und Schnecken&#x017F;chalen, die doch nur unwe&#x017F;entliche Theile<lb/>
des Körpers bilden und über deren Veränderlichkeit wir noch bei kei-<lb/>
ner einzigen Art eine genügende Beobachtungsreihe be&#x017F;itzen, bei die&#x017F;en<lb/>
brennt der Streit jetzt noch häufig fort; er wird auch hier &#x017F;eine Er-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0029] ficirt werden können; ſelbſt in nahverwandten Thiergattungen iſt die Möglichkeit der Veränderungen oft ſehr verſchieden. Die Unterſchiede zwiſchen unſerm gewöhnlichen Fuchs und dem braſilianiſchen ſind bei weitem nicht ſo groß, als diejenigen zwiſchen einem Dachshunde und einem Windhunde und dennoch ſind die beiden Füchſe gewiß verſchie- dene Arten, während die beiden Hunde derſelben Art angehören und nur Varietäten darſtellen. Es begreift ſich darnach, wie ſo viele Streitigkeiten ſich entſpinnen konnten über die Grenzen der Art-Cha- raktere und wie es möglich war, daß der eine Naturforſcher zwei Thiere als verſchiedene Arten auffaſſen konnte, während der andere in ihnen nur Varietäten derſelben Art erblickte. Von ungemeiner Wichtigkeit iſt die Schlichtung dieſer Streitig- keiten, beſonders für die Beſtimmung derjenigen Reſte, welche wir nur im verſteinerten Zuſtande kennen. Während hier eine große Partei be- hauptet, die Perioden der Erdgeſchichte ſeien durch gewaltige Revolu- tionen von einander getrennt, durch welche alles Lebende vernichtet wurde und nach denen neue Arten entſtanden ſeien, welche von den Arten der vorhergehenden Periode vollkommen verſchieden waren, ſo läugnet die andere Partei zwar dieſe Revolutionen nicht, ſchreibt ihnen aber nur partielle Wirkungen zu und ſucht die Veränderung der ein- zelnen Arten aus der Veränderung der Erdverhältniſſe zu erklären. Die Einen behaupten, es finde kein Uebergang ſtatt, die Andern wol- len, daß die jetzigen Thiere ihre Stammeltern und zwar ihre direkten Stammeltern in den untergegangenen Schöpfungen beſitzen. Dieſelben Charaktere foſſiler Muſcheln, welche der Eine zum Beweis anführt, daß eine Species untergegangen und eine neue entſtanden ſei, dieſelben Charaktere dienen dem Andern als Stützpunkte für ſeine Behauptung, daß die Art ſich im Laufe der Jahrhunderte umgewandelt habe. Wem nun hier Recht geben, wo die Entſcheidung durch direkte Beobachtung nicht möglich und die aus der Analogie hergenommene Wahrſcheinlich- keit ſtets dem Angriffe ausgeſetzt iſt? Indeß läßt ſich auch die Löſung in der Folge hoffen. Da wo die übergebliebenen Reſte wichtigen und charakteriſtiſchen Theilen angehören, ſind dieſe Diskuſſionen über die Abgrenzung der Arten allmählig von ſelbſt erloſchen. Ueber foſſile Säugethiere z. B., deren vollſtändige Zahnreihen und charakteriſtiſche Gliederknochen man kennt, taucht nur ſelten ein Streit auf; aber bei Muſcheln und Schneckenſchalen, die doch nur unweſentliche Theile des Körpers bilden und über deren Veränderlichkeit wir noch bei kei- ner einzigen Art eine genügende Beobachtungsreihe beſitzen, bei dieſen brennt der Streit jetzt noch häufig fort; er wird auch hier ſeine Er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/29
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/29>, abgerufen am 22.12.2024.