nimmt sie immer bestimmtere Charaktere an und steht endlich bei den höheren Thieren als Muskelfaser in zwei Typen da, je nachdem sie der willkürlichen oder der unwillkürlichen Bewegung dient. In ebenso eigenthümlicher Weise, als Hohlfaser mit besonderem Inhalt, bildet sich die Nervenfaser allmählig mit unterscheidenden Charakteren hervor.
Es wäre unmöglich, die Charaktere der verschiedenen Formele- mente der thierischen Körper auch nur übersichtlich auseinander zu setzen. Auch dürfte dies um so mehr unthunlich erscheinen, als bei den niederen Thieren namentlich das meiste noch der späteren Forschung überlassen bleibt.
Vierter Brief. Die Fortpflanzung und die darauf gegründete Eintheilung.
Alles Lebende entsteht aus einem Eie, hatte der alte Harvey ge- sagt, und lange Zeit galt sein Ausspruch für eine unumstößliche Wahr- heit. Man stritt sich nur darüber, ob die Eier oder Keime der Thiere neu in dem mütterlichen Individuum entstünden, oder ob sie in dem- selben in unendlicher Kleinheit in einander geschachtelt vorhanden seien, so daß das Mutterthier gleichsam bei seiner Erschaffung sämmtliche Keime bis zum Untergange seiner Nachkommenschaft vorgebildet im Leibe tragen sollte. Neben diesen beiden Ansichten erstreckte sich freilich ein noch vergessenes Feld, von dem man lieber schwieg, als daß man die schwachen Seiten hätte aufdecken sollen. Die Fortpflanzung der Eingeweidewürmer und mancher anderen Schmarotzer, sowie derjenigen Wesen, die in außerordentlicher Fülle und Kleinheit die Gewässer be- völkern, war für beide streitende Parteien in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt. Indessen führte doch die Nothwendigkeit und der zu- nehmende Gebrauch der Vergrößerungsgläser immer wieder auf diese Gebiete zurück und um manche außerordentliche Erscheinungen zu er- klären, nahm man endlich seine Zuflucht zu der Ansicht, daß viele nie- dere Thierwesen nicht von Eltern ihrer Art abstammten, sondern un- mittelbar aus dem organischen Stoffe durch Urzeugung (Generatio aequivoca) entstünden. Von gewissen Thieren galt diese Ansicht seit uralten Zeiten; ja Aristoteles hatte schon behauptet, die Aale erzeugten sich aus dem Schlamme, das Ungeziefer aus dem Kothe und Kehricht. Die
4*
nimmt ſie immer beſtimmtere Charaktere an und ſteht endlich bei den höheren Thieren als Muskelfaſer in zwei Typen da, je nachdem ſie der willkürlichen oder der unwillkürlichen Bewegung dient. In ebenſo eigenthümlicher Weiſe, als Hohlfaſer mit beſonderem Inhalt, bildet ſich die Nervenfaſer allmählig mit unterſcheidenden Charakteren hervor.
Es wäre unmöglich, die Charaktere der verſchiedenen Formele- mente der thieriſchen Körper auch nur überſichtlich auseinander zu ſetzen. Auch dürfte dies um ſo mehr unthunlich erſcheinen, als bei den niederen Thieren namentlich das meiſte noch der ſpäteren Forſchung überlaſſen bleibt.
Vierter Brief. Die Fortpflanzung und die darauf gegründete Eintheilung.
Alles Lebende entſteht aus einem Eie, hatte der alte Harvey ge- ſagt, und lange Zeit galt ſein Ausſpruch für eine unumſtößliche Wahr- heit. Man ſtritt ſich nur darüber, ob die Eier oder Keime der Thiere neu in dem mütterlichen Individuum entſtünden, oder ob ſie in dem- ſelben in unendlicher Kleinheit in einander geſchachtelt vorhanden ſeien, ſo daß das Mutterthier gleichſam bei ſeiner Erſchaffung ſämmtliche Keime bis zum Untergange ſeiner Nachkommenſchaft vorgebildet im Leibe tragen ſollte. Neben dieſen beiden Anſichten erſtreckte ſich freilich ein noch vergeſſenes Feld, von dem man lieber ſchwieg, als daß man die ſchwachen Seiten hätte aufdecken ſollen. Die Fortpflanzung der Eingeweidewürmer und mancher anderen Schmarotzer, ſowie derjenigen Weſen, die in außerordentlicher Fülle und Kleinheit die Gewäſſer be- völkern, war für beide ſtreitende Parteien in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt. Indeſſen führte doch die Nothwendigkeit und der zu- nehmende Gebrauch der Vergrößerungsgläſer immer wieder auf dieſe Gebiete zurück und um manche außerordentliche Erſcheinungen zu er- klären, nahm man endlich ſeine Zuflucht zu der Anſicht, daß viele nie- dere Thierweſen nicht von Eltern ihrer Art abſtammten, ſondern un- mittelbar aus dem organiſchen Stoffe durch Urzeugung (Generatio aequivoca) entſtünden. Von gewiſſen Thieren galt dieſe Anſicht ſeit uralten Zeiten; ja Ariſtoteles hatte ſchon behauptet, die Aale erzeugten ſich aus dem Schlamme, das Ungeziefer aus dem Kothe und Kehricht. Die
4*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0057"n="51"/>
nimmt ſie immer beſtimmtere Charaktere an und ſteht endlich bei den<lb/>
höheren Thieren als Muskelfaſer in zwei Typen da, je nachdem ſie<lb/>
der willkürlichen oder der unwillkürlichen Bewegung dient. In ebenſo<lb/>
eigenthümlicher Weiſe, als Hohlfaſer mit beſonderem Inhalt, bildet ſich<lb/>
die Nervenfaſer allmählig mit unterſcheidenden Charakteren hervor.</p><lb/><p>Es wäre unmöglich, die Charaktere der verſchiedenen Formele-<lb/>
mente der thieriſchen Körper auch nur überſichtlich auseinander zu<lb/>ſetzen. Auch dürfte dies um ſo mehr unthunlich erſcheinen, als bei<lb/>
den niederen Thieren namentlich das meiſte noch der ſpäteren Forſchung<lb/>
überlaſſen bleibt.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Vierter Brief.</hi><lb/>
Die Fortpflanzung und die darauf gegründete Eintheilung.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">A</hi>lles Lebende entſteht aus einem Eie, hatte der alte Harvey ge-<lb/>ſagt, und lange Zeit galt ſein Ausſpruch für eine unumſtößliche Wahr-<lb/>
heit. Man ſtritt ſich nur darüber, ob die Eier oder Keime der Thiere<lb/>
neu in dem mütterlichen Individuum entſtünden, oder ob ſie in dem-<lb/>ſelben in unendlicher Kleinheit in einander geſchachtelt vorhanden ſeien,<lb/>ſo daß das Mutterthier gleichſam bei ſeiner Erſchaffung ſämmtliche<lb/>
Keime bis zum Untergange ſeiner Nachkommenſchaft vorgebildet im<lb/>
Leibe tragen ſollte. Neben dieſen beiden Anſichten erſtreckte ſich freilich<lb/>
ein noch vergeſſenes Feld, von dem man lieber ſchwieg, als daß man<lb/>
die ſchwachen Seiten hätte aufdecken ſollen. Die Fortpflanzung der<lb/>
Eingeweidewürmer und mancher anderen Schmarotzer, ſowie derjenigen<lb/>
Weſen, die in außerordentlicher Fülle und Kleinheit die Gewäſſer be-<lb/>
völkern, war für beide ſtreitende Parteien in ein undurchdringliches<lb/>
Dunkel gehüllt. Indeſſen führte doch die Nothwendigkeit und der zu-<lb/>
nehmende Gebrauch der Vergrößerungsgläſer immer wieder auf dieſe<lb/>
Gebiete zurück und um manche außerordentliche Erſcheinungen zu er-<lb/>
klären, nahm man endlich ſeine Zuflucht zu der Anſicht, daß viele nie-<lb/>
dere Thierweſen nicht von Eltern ihrer Art abſtammten, ſondern un-<lb/>
mittelbar aus dem organiſchen Stoffe durch <hirendition="#g">Urzeugung</hi> (<hirendition="#aq">Generatio<lb/>
aequivoca</hi>) entſtünden. Von gewiſſen Thieren galt dieſe Anſicht ſeit<lb/>
uralten Zeiten; ja Ariſtoteles hatte ſchon behauptet, die Aale erzeugten ſich<lb/>
aus dem Schlamme, das Ungeziefer aus dem Kothe und Kehricht. Die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">4*</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[51/0057]
nimmt ſie immer beſtimmtere Charaktere an und ſteht endlich bei den
höheren Thieren als Muskelfaſer in zwei Typen da, je nachdem ſie
der willkürlichen oder der unwillkürlichen Bewegung dient. In ebenſo
eigenthümlicher Weiſe, als Hohlfaſer mit beſonderem Inhalt, bildet ſich
die Nervenfaſer allmählig mit unterſcheidenden Charakteren hervor.
Es wäre unmöglich, die Charaktere der verſchiedenen Formele-
mente der thieriſchen Körper auch nur überſichtlich auseinander zu
ſetzen. Auch dürfte dies um ſo mehr unthunlich erſcheinen, als bei
den niederen Thieren namentlich das meiſte noch der ſpäteren Forſchung
überlaſſen bleibt.
Vierter Brief.
Die Fortpflanzung und die darauf gegründete Eintheilung.
Alles Lebende entſteht aus einem Eie, hatte der alte Harvey ge-
ſagt, und lange Zeit galt ſein Ausſpruch für eine unumſtößliche Wahr-
heit. Man ſtritt ſich nur darüber, ob die Eier oder Keime der Thiere
neu in dem mütterlichen Individuum entſtünden, oder ob ſie in dem-
ſelben in unendlicher Kleinheit in einander geſchachtelt vorhanden ſeien,
ſo daß das Mutterthier gleichſam bei ſeiner Erſchaffung ſämmtliche
Keime bis zum Untergange ſeiner Nachkommenſchaft vorgebildet im
Leibe tragen ſollte. Neben dieſen beiden Anſichten erſtreckte ſich freilich
ein noch vergeſſenes Feld, von dem man lieber ſchwieg, als daß man
die ſchwachen Seiten hätte aufdecken ſollen. Die Fortpflanzung der
Eingeweidewürmer und mancher anderen Schmarotzer, ſowie derjenigen
Weſen, die in außerordentlicher Fülle und Kleinheit die Gewäſſer be-
völkern, war für beide ſtreitende Parteien in ein undurchdringliches
Dunkel gehüllt. Indeſſen führte doch die Nothwendigkeit und der zu-
nehmende Gebrauch der Vergrößerungsgläſer immer wieder auf dieſe
Gebiete zurück und um manche außerordentliche Erſcheinungen zu er-
klären, nahm man endlich ſeine Zuflucht zu der Anſicht, daß viele nie-
dere Thierweſen nicht von Eltern ihrer Art abſtammten, ſondern un-
mittelbar aus dem organiſchen Stoffe durch Urzeugung (Generatio
aequivoca) entſtünden. Von gewiſſen Thieren galt dieſe Anſicht ſeit
uralten Zeiten; ja Ariſtoteles hatte ſchon behauptet, die Aale erzeugten ſich
aus dem Schlamme, das Ungeziefer aus dem Kothe und Kehricht. Die
4*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/57>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.