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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Volksmeinung ließ die Thiere unmittelbar aus der Substanz entstehen,
in der man sie zuerst als Junge fand.

Die naturphilosophische Periode unserer Wissenschaft bildete mit
besonderer Vorliebe die Theorie von der Erzeugung der niedern orga-
nischen Wesen durch Urzeugung aus. Man glaubte an die Existenz
eines organischen Grundstoffes, der überall verbreitet sein sollte. Die
Organe der höheren Thiere und Pflanzen, nahm man an, bildeten
sich aus diesem Grundstoffe hervor und würden wieder in ihn zurück-
geführt, sobald sie verfaulten und sich auflösten. Diese thierische Grund-
substanz nun (Urschleim, Eiweiß, Gallert) sollte die Fähigkeit haben,
unter dem gemeinsamen Einflusse von Luft und Wasser in thierischer
oder pflanzlicher Richtung sich zu organisiren und sich je nach den äußeren
Umständen zu bestimmten Formgestaltungen, zu bestimmten Pflanzen
und Thieren, besonders Schimmelfäden und Infusorien, zu entwickeln.
Ohne sich viel näher um die Organisation der entstehenden Pflanzen-
oder Thier-Wesen zu bekümmern und in derselben die Erklärung der
unendlichen Vervielfältigung jener meist mikroskopischen Wesen in Auf-
güssen organischer Substanzen zu suchen, mühte man sich ab, durch
vielfache und in ihrem Wesen stets ungenaue Versuche die Bedingun-
gen zu finden, unter welchen aus denselben Stoffen bald Pflanzen,
bald Thiere erzeugt würden. Man stellte auf mühevollen Umwegen
endlich so viel fest, daß zur Urzeugung organischer Wesen drei Bedin-
gungen nöthig seien: eine organische Substanz, sei sie nun thierischen
oder pflanzlichen Ursprungs, Wasser und Luft. Hinsichtlich der Ent-
stehung der Eingeweidewürmer waren die Aerzte einstimmig und die
Naturforscher mit ihnen der Ansicht, daß sie unmittelbar auf Kosten
des Thieres erzeugt würden, welches sie bewohnten. Wenn man auch
hätte annehmen wollen, daß die im Darmkanal befindlichen Würmer
als junge Thiere, oder in Gestalt von Eiern mit der Nahrung oder
dem Trinkwasser von Menschen und Thieren hinabgeschluckt seien, so
konnte man doch nach dem damaligen Stande der Wissenschaft unmög-
lich von den in geschlossenen Höhlen, im Muskelfleische, im Auge und
an ähnlichen Orten anwesenden Eingeweidewürmern glauben, daß sie
von Außen dort hin gelangt seien. Man war überzeugt, daß hier eine
falsche Plasticität des thierischen Organismus walte; der statt irgend
einer normalen, zum Körper gehörigen Bildung oder eines krankhaften
Aftergebildes ein thierisches Wesen niederer Art hervorbringe.

Die genaueren Untersuchungen der uns zunächst liegenden Zeit
stellten sich alsbald dieser allgemein verbreiteten Annahme einer Ur-
zeugung entgegen, und wenn auch in vielen Fällen unsere gegenwärtige

Volksmeinung ließ die Thiere unmittelbar aus der Subſtanz entſtehen,
in der man ſie zuerſt als Junge fand.

Die naturphiloſophiſche Periode unſerer Wiſſenſchaft bildete mit
beſonderer Vorliebe die Theorie von der Erzeugung der niedern orga-
niſchen Weſen durch Urzeugung aus. Man glaubte an die Exiſtenz
eines organiſchen Grundſtoffes, der überall verbreitet ſein ſollte. Die
Organe der höheren Thiere und Pflanzen, nahm man an, bildeten
ſich aus dieſem Grundſtoffe hervor und würden wieder in ihn zurück-
geführt, ſobald ſie verfaulten und ſich auflöſten. Dieſe thieriſche Grund-
ſubſtanz nun (Urſchleim, Eiweiß, Gallert) ſollte die Fähigkeit haben,
unter dem gemeinſamen Einfluſſe von Luft und Waſſer in thieriſcher
oder pflanzlicher Richtung ſich zu organiſiren und ſich je nach den äußeren
Umſtänden zu beſtimmten Formgeſtaltungen, zu beſtimmten Pflanzen
und Thieren, beſonders Schimmelfäden und Infuſorien, zu entwickeln.
Ohne ſich viel näher um die Organiſation der entſtehenden Pflanzen-
oder Thier-Weſen zu bekümmern und in derſelben die Erklärung der
unendlichen Vervielfältigung jener meiſt mikroſkopiſchen Weſen in Auf-
güſſen organiſcher Subſtanzen zu ſuchen, mühte man ſich ab, durch
vielfache und in ihrem Weſen ſtets ungenaue Verſuche die Bedingun-
gen zu finden, unter welchen aus denſelben Stoffen bald Pflanzen,
bald Thiere erzeugt würden. Man ſtellte auf mühevollen Umwegen
endlich ſo viel feſt, daß zur Urzeugung organiſcher Weſen drei Bedin-
gungen nöthig ſeien: eine organiſche Subſtanz, ſei ſie nun thieriſchen
oder pflanzlichen Urſprungs, Waſſer und Luft. Hinſichtlich der Ent-
ſtehung der Eingeweidewürmer waren die Aerzte einſtimmig und die
Naturforſcher mit ihnen der Anſicht, daß ſie unmittelbar auf Koſten
des Thieres erzeugt würden, welches ſie bewohnten. Wenn man auch
hätte annehmen wollen, daß die im Darmkanal befindlichen Würmer
als junge Thiere, oder in Geſtalt von Eiern mit der Nahrung oder
dem Trinkwaſſer von Menſchen und Thieren hinabgeſchluckt ſeien, ſo
konnte man doch nach dem damaligen Stande der Wiſſenſchaft unmög-
lich von den in geſchloſſenen Höhlen, im Muskelfleiſche, im Auge und
an ähnlichen Orten anweſenden Eingeweidewürmern glauben, daß ſie
von Außen dort hin gelangt ſeien. Man war überzeugt, daß hier eine
falſche Plaſticität des thieriſchen Organismus walte; der ſtatt irgend
einer normalen, zum Körper gehörigen Bildung oder eines krankhaften
Aftergebildes ein thieriſches Weſen niederer Art hervorbringe.

Die genaueren Unterſuchungen der uns zunächſt liegenden Zeit
ſtellten ſich alsbald dieſer allgemein verbreiteten Annahme einer Ur-
zeugung entgegen, und wenn auch in vielen Fällen unſere gegenwärtige

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[52/0058] Volksmeinung ließ die Thiere unmittelbar aus der Subſtanz entſtehen, in der man ſie zuerſt als Junge fand. Die naturphiloſophiſche Periode unſerer Wiſſenſchaft bildete mit beſonderer Vorliebe die Theorie von der Erzeugung der niedern orga- niſchen Weſen durch Urzeugung aus. Man glaubte an die Exiſtenz eines organiſchen Grundſtoffes, der überall verbreitet ſein ſollte. Die Organe der höheren Thiere und Pflanzen, nahm man an, bildeten ſich aus dieſem Grundſtoffe hervor und würden wieder in ihn zurück- geführt, ſobald ſie verfaulten und ſich auflöſten. Dieſe thieriſche Grund- ſubſtanz nun (Urſchleim, Eiweiß, Gallert) ſollte die Fähigkeit haben, unter dem gemeinſamen Einfluſſe von Luft und Waſſer in thieriſcher oder pflanzlicher Richtung ſich zu organiſiren und ſich je nach den äußeren Umſtänden zu beſtimmten Formgeſtaltungen, zu beſtimmten Pflanzen und Thieren, beſonders Schimmelfäden und Infuſorien, zu entwickeln. Ohne ſich viel näher um die Organiſation der entſtehenden Pflanzen- oder Thier-Weſen zu bekümmern und in derſelben die Erklärung der unendlichen Vervielfältigung jener meiſt mikroſkopiſchen Weſen in Auf- güſſen organiſcher Subſtanzen zu ſuchen, mühte man ſich ab, durch vielfache und in ihrem Weſen ſtets ungenaue Verſuche die Bedingun- gen zu finden, unter welchen aus denſelben Stoffen bald Pflanzen, bald Thiere erzeugt würden. Man ſtellte auf mühevollen Umwegen endlich ſo viel feſt, daß zur Urzeugung organiſcher Weſen drei Bedin- gungen nöthig ſeien: eine organiſche Subſtanz, ſei ſie nun thieriſchen oder pflanzlichen Urſprungs, Waſſer und Luft. Hinſichtlich der Ent- ſtehung der Eingeweidewürmer waren die Aerzte einſtimmig und die Naturforſcher mit ihnen der Anſicht, daß ſie unmittelbar auf Koſten des Thieres erzeugt würden, welches ſie bewohnten. Wenn man auch hätte annehmen wollen, daß die im Darmkanal befindlichen Würmer als junge Thiere, oder in Geſtalt von Eiern mit der Nahrung oder dem Trinkwaſſer von Menſchen und Thieren hinabgeſchluckt ſeien, ſo konnte man doch nach dem damaligen Stande der Wiſſenſchaft unmög- lich von den in geſchloſſenen Höhlen, im Muskelfleiſche, im Auge und an ähnlichen Orten anweſenden Eingeweidewürmern glauben, daß ſie von Außen dort hin gelangt ſeien. Man war überzeugt, daß hier eine falſche Plaſticität des thieriſchen Organismus walte; der ſtatt irgend einer normalen, zum Körper gehörigen Bildung oder eines krankhaften Aftergebildes ein thieriſches Weſen niederer Art hervorbringe. Die genaueren Unterſuchungen der uns zunächſt liegenden Zeit ſtellten ſich alsbald dieſer allgemein verbreiteten Annahme einer Ur- zeugung entgegen, und wenn auch in vielen Fällen unſere gegenwärtige

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/58>, abgerufen am 22.12.2024.