sie sie des Winters über halten. Außer der Sorge für die Nahrung und Fütterung der übrigen Glieder der Gesellschaft bestehen die haupt- sächlichsten Beschäftigungen der Arbeiter-Ameisen noch besonders in der Wartung der Puppen, der sogenannten Ameiseneier, welche sie beständig zwischen ihren Kiefern umherschleppen, um sie bald an die Sonne, bald tiefer hinab in die Gänge zu tragen, sowie in der Sorge für das Haus, dessen Zugänge am Morgen geöffnet, am Abend aber regelmäßig geschlossen werden.
Einige Arten von Ameisen zeigen noch verwickeltere Verhältnisse in ihrem Haushalte. Die geschlechtslosen Individuen der blutrothen und der röthlichen Ameise, welche in unseren Gegenden vorkommen, arbeiten selbst nicht, sondern machen nur förmliche Kriegszüge, um die Stöcke anderer Ameisen zu überfallen und die Puppen der Ar- beiter daraus zu rauben. Meistens ist ihre Taktik die, daß sie plötz- lich einen benachbarten Ameisenhaufen überfallen, und wenn seine Bewohner sich zur Wehre stellen, mit der Hauptmasse eine förmliche Schlacht liefern, während detachirte Haufen die Flügel des Feindes umgehen und den Stock desselben ausplündern. Das Schlachtfeld ist nach einem solchen Kampfe mit Leichen bedeckt, beide Theile beißen sich mit der größten Erbitterung herum; die Verwundeten und Kampf- unfähigen werden von ihren Freunden aus dem Getümmel an sichere Orte zurückgeschleppt. Die geraubten Puppen entwickeln sich später in der Wohnung der Räuber und versehen dort förmliche Sclaven- dienste, indem sie allein alle Arbeiten des Haushaltes übernehmen, ihre unthätigen Räuber füttern und deren Larven besorgen. So ent- stehen jene gemischten Ameisengesellschaften, in welchen viererlei Indi- viduen existiren: Männchen, Weibchen und kriegführende Individuen (sogenannte Amazonen) der einen Art und arbeitende Sclaven einer anderen Art.
Die Gründung neuer Ameisengesellschaften geschieht in folgender Weise: Im August verlassen ungeheuere Schwärme geflügelter Männ- chen und Weibchen am Nachmittage die Stöcke und begatten sich in der Luft. Die Männchen sterben fast unmittelbar nach der Begattung; die meisten Weibchen werden von den Arbeitern eingefangen und in den Stock zurückgebracht, wo sie besonders im nächsten Frühjahre Eier legen. Die nicht eingefangenen befruchteten Weibchen reißen sich zuerst selbst die Flügel aus, welche sehr lose auf Stummeln stehen, und höhlen dann einen Gang in der Erde aus, dem sie Kammern beifügen, in welche sie Arbeitereier legen. Sobald diese sich entwickelt
ſie ſie des Winters über halten. Außer der Sorge für die Nahrung und Fütterung der übrigen Glieder der Geſellſchaft beſtehen die haupt- ſächlichſten Beſchäftigungen der Arbeiter-Ameiſen noch beſonders in der Wartung der Puppen, der ſogenannten Ameiſeneier, welche ſie beſtändig zwiſchen ihren Kiefern umherſchleppen, um ſie bald an die Sonne, bald tiefer hinab in die Gänge zu tragen, ſowie in der Sorge für das Haus, deſſen Zugänge am Morgen geöffnet, am Abend aber regelmäßig geſchloſſen werden.
Einige Arten von Ameiſen zeigen noch verwickeltere Verhältniſſe in ihrem Haushalte. Die geſchlechtsloſen Individuen der blutrothen und der röthlichen Ameiſe, welche in unſeren Gegenden vorkommen, arbeiten ſelbſt nicht, ſondern machen nur förmliche Kriegszüge, um die Stöcke anderer Ameiſen zu überfallen und die Puppen der Ar- beiter daraus zu rauben. Meiſtens iſt ihre Taktik die, daß ſie plötz- lich einen benachbarten Ameiſenhaufen überfallen, und wenn ſeine Bewohner ſich zur Wehre ſtellen, mit der Hauptmaſſe eine förmliche Schlacht liefern, während detachirte Haufen die Flügel des Feindes umgehen und den Stock deſſelben ausplündern. Das Schlachtfeld iſt nach einem ſolchen Kampfe mit Leichen bedeckt, beide Theile beißen ſich mit der größten Erbitterung herum; die Verwundeten und Kampf- unfähigen werden von ihren Freunden aus dem Getümmel an ſichere Orte zurückgeſchleppt. Die geraubten Puppen entwickeln ſich ſpäter in der Wohnung der Räuber und verſehen dort förmliche Sclaven- dienſte, indem ſie allein alle Arbeiten des Haushaltes übernehmen, ihre unthätigen Räuber füttern und deren Larven beſorgen. So ent- ſtehen jene gemiſchten Ameiſengeſellſchaften, in welchen viererlei Indi- viduen exiſtiren: Männchen, Weibchen und kriegführende Individuen (ſogenannte Amazonen) der einen Art und arbeitende Sclaven einer anderen Art.
Die Gründung neuer Ameiſengeſellſchaften geſchieht in folgender Weiſe: Im Auguſt verlaſſen ungeheuere Schwärme geflügelter Männ- chen und Weibchen am Nachmittage die Stöcke und begatten ſich in der Luft. Die Männchen ſterben faſt unmittelbar nach der Begattung; die meiſten Weibchen werden von den Arbeitern eingefangen und in den Stock zurückgebracht, wo ſie beſonders im nächſten Frühjahre Eier legen. Die nicht eingefangenen befruchteten Weibchen reißen ſich zuerſt ſelbſt die Flügel aus, welche ſehr loſe auf Stummeln ſtehen, und höhlen dann einen Gang in der Erde aus, dem ſie Kammern beifügen, in welche ſie Arbeitereier legen. Sobald dieſe ſich entwickelt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0692"n="686"/>ſie ſie des Winters über halten. Außer der Sorge für die Nahrung<lb/>
und Fütterung der übrigen Glieder der Geſellſchaft beſtehen die haupt-<lb/>ſächlichſten Beſchäftigungen der Arbeiter-Ameiſen noch beſonders in<lb/>
der Wartung der Puppen, der ſogenannten Ameiſeneier, welche ſie<lb/>
beſtändig zwiſchen ihren Kiefern umherſchleppen, um ſie bald an die<lb/>
Sonne, bald tiefer hinab in die Gänge zu tragen, ſowie in der Sorge<lb/>
für das Haus, deſſen Zugänge am Morgen geöffnet, am Abend aber<lb/>
regelmäßig geſchloſſen werden.</p><lb/><p>Einige Arten von Ameiſen zeigen noch verwickeltere Verhältniſſe<lb/>
in ihrem Haushalte. Die geſchlechtsloſen Individuen der blutrothen<lb/>
und der röthlichen Ameiſe, welche in unſeren Gegenden vorkommen,<lb/>
arbeiten ſelbſt nicht, ſondern machen nur förmliche Kriegszüge, um<lb/>
die Stöcke anderer Ameiſen zu überfallen und die Puppen der Ar-<lb/>
beiter daraus zu rauben. Meiſtens iſt ihre Taktik die, daß ſie plötz-<lb/>
lich einen benachbarten Ameiſenhaufen überfallen, und wenn ſeine<lb/>
Bewohner ſich zur Wehre ſtellen, mit der Hauptmaſſe eine förmliche<lb/>
Schlacht liefern, während detachirte Haufen die Flügel des Feindes<lb/>
umgehen und den Stock deſſelben ausplündern. Das Schlachtfeld iſt<lb/>
nach einem ſolchen Kampfe mit Leichen bedeckt, beide Theile beißen<lb/>ſich mit der größten Erbitterung herum; die Verwundeten und Kampf-<lb/>
unfähigen werden von ihren Freunden aus dem Getümmel an ſichere<lb/>
Orte zurückgeſchleppt. Die geraubten Puppen entwickeln ſich ſpäter<lb/>
in der Wohnung der Räuber und verſehen dort förmliche Sclaven-<lb/>
dienſte, indem ſie allein alle Arbeiten des Haushaltes übernehmen,<lb/>
ihre unthätigen Räuber füttern und deren Larven beſorgen. So ent-<lb/>ſtehen jene gemiſchten Ameiſengeſellſchaften, in welchen viererlei Indi-<lb/>
viduen exiſtiren: Männchen, Weibchen und kriegführende Individuen<lb/>
(ſogenannte Amazonen) der einen Art und arbeitende Sclaven einer<lb/>
anderen Art.</p><lb/><p>Die Gründung neuer Ameiſengeſellſchaften geſchieht in folgender<lb/>
Weiſe: Im Auguſt verlaſſen ungeheuere Schwärme geflügelter Männ-<lb/>
chen und Weibchen am Nachmittage die Stöcke und begatten ſich in<lb/>
der Luft. Die Männchen ſterben faſt unmittelbar nach der Begattung;<lb/>
die meiſten Weibchen werden von den Arbeitern eingefangen und in<lb/>
den Stock zurückgebracht, wo ſie beſonders im nächſten Frühjahre<lb/>
Eier legen. Die nicht eingefangenen befruchteten Weibchen reißen ſich<lb/>
zuerſt ſelbſt die Flügel aus, welche ſehr loſe auf Stummeln ſtehen,<lb/>
und höhlen dann einen Gang in der Erde aus, dem ſie Kammern<lb/>
beifügen, in welche ſie Arbeitereier legen. Sobald dieſe ſich entwickelt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[686/0692]
ſie ſie des Winters über halten. Außer der Sorge für die Nahrung
und Fütterung der übrigen Glieder der Geſellſchaft beſtehen die haupt-
ſächlichſten Beſchäftigungen der Arbeiter-Ameiſen noch beſonders in
der Wartung der Puppen, der ſogenannten Ameiſeneier, welche ſie
beſtändig zwiſchen ihren Kiefern umherſchleppen, um ſie bald an die
Sonne, bald tiefer hinab in die Gänge zu tragen, ſowie in der Sorge
für das Haus, deſſen Zugänge am Morgen geöffnet, am Abend aber
regelmäßig geſchloſſen werden.
Einige Arten von Ameiſen zeigen noch verwickeltere Verhältniſſe
in ihrem Haushalte. Die geſchlechtsloſen Individuen der blutrothen
und der röthlichen Ameiſe, welche in unſeren Gegenden vorkommen,
arbeiten ſelbſt nicht, ſondern machen nur förmliche Kriegszüge, um
die Stöcke anderer Ameiſen zu überfallen und die Puppen der Ar-
beiter daraus zu rauben. Meiſtens iſt ihre Taktik die, daß ſie plötz-
lich einen benachbarten Ameiſenhaufen überfallen, und wenn ſeine
Bewohner ſich zur Wehre ſtellen, mit der Hauptmaſſe eine förmliche
Schlacht liefern, während detachirte Haufen die Flügel des Feindes
umgehen und den Stock deſſelben ausplündern. Das Schlachtfeld iſt
nach einem ſolchen Kampfe mit Leichen bedeckt, beide Theile beißen
ſich mit der größten Erbitterung herum; die Verwundeten und Kampf-
unfähigen werden von ihren Freunden aus dem Getümmel an ſichere
Orte zurückgeſchleppt. Die geraubten Puppen entwickeln ſich ſpäter
in der Wohnung der Räuber und verſehen dort förmliche Sclaven-
dienſte, indem ſie allein alle Arbeiten des Haushaltes übernehmen,
ihre unthätigen Räuber füttern und deren Larven beſorgen. So ent-
ſtehen jene gemiſchten Ameiſengeſellſchaften, in welchen viererlei Indi-
viduen exiſtiren: Männchen, Weibchen und kriegführende Individuen
(ſogenannte Amazonen) der einen Art und arbeitende Sclaven einer
anderen Art.
Die Gründung neuer Ameiſengeſellſchaften geſchieht in folgender
Weiſe: Im Auguſt verlaſſen ungeheuere Schwärme geflügelter Männ-
chen und Weibchen am Nachmittage die Stöcke und begatten ſich in
der Luft. Die Männchen ſterben faſt unmittelbar nach der Begattung;
die meiſten Weibchen werden von den Arbeitern eingefangen und in
den Stock zurückgebracht, wo ſie beſonders im nächſten Frühjahre
Eier legen. Die nicht eingefangenen befruchteten Weibchen reißen ſich
zuerſt ſelbſt die Flügel aus, welche ſehr loſe auf Stummeln ſtehen,
und höhlen dann einen Gang in der Erde aus, dem ſie Kammern
beifügen, in welche ſie Arbeitereier legen. Sobald dieſe ſich entwickelt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 686. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/692>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.